1. Startseite
  2. Kultur
  3. Theater

„Lady Macbeth von Mzensk“ in Frankfurt: So viel will sie gar nicht

KommentareDrucken

Boris schikaniert seine Schwiegertochter: Dmitry Belosselskiy und Anja Kampe
Boris schikaniert seine Schwiegertochter: Dmitry Belosselskiy und Anja Kampe © -

Grandiose Musik, vage Bilder, aber auf der Bühne zutiefst lebendige Menschen: „Lady Macbeth von Mzensk“ an der Oper Frankfurt.

Der 21-jährige Dmitri Schostakowitsch konzipierte, der 26-jährige vollendete eine Oper, in der man sich auch mit dem Abstand von 85 Jahren nicht zurechtfindet. Hier werden Verhältnisse scharf kritisiert, aber damals wie heute scheinen sie zwar ein Stück weit weg zu sein, fallen jedoch knüppeldick – und lautstark – auf die jeweilige Gegenwart und ihre Hörerwartungen zurück.

Es ist zum Beispiel unwahrscheinlich, dass das sowjetische Publikum 1934 in der restlos korrupten zaristischen Polizei nicht doch auch die Polizeimethoden sowie das Denunziantentum vor der eigenen Haustür erkannte. Beunruhigend eine Musik, die grelle, aber mitreißende Tänze für Kapitalisten und Popen, für Verführer, Belästiger, Vergewaltiger und andere Schurken bietet. Musik, die eine Mörderin durchaus traditionsbewusst um den soeben bedenkenlos – und, so muss man, moralisch bereits aus dem Gleichgewicht gebracht, sagen: zu Recht – Gemordeten klagen lässt. Musik, die schönste, friedlichste russisch-melancholische Weise ausgerechnet bereithält, als es ins Lager nach Sibirien geht. Damit sich das Vertraute und Süße mit dem Schrecken vermischt und die ungeheuerlichen Widersprüche des Lebens unter Menschen umso deutlicher zutage treten.

Zwei Jahre nach der gefeierten Uraufführung der „Lady Macbeth von Mzensk“ 1934 in Leningrad, sofort landauf, landab nachgespielt, kam es zu einer vehementen Kampagne gegen den Komponisten und das Werk. Die Bedrohung, die der berüchtigte „Prawda“-Artikel „Chaos statt Musik“ im Stalinismus hervorrief (alle verstanden und plapperten gehorsam nach), richtete sich nicht gegen eine hoffnungsvolle Karriere, sondern gegen eine Existenz im wörtlichen Sinne.

Die Rezeptionsgeschichte doppelt dadurch bis heute die Schrecken der Handlung. Sie spiegelt die Beklemmung und das Belauertwerden praktisch aus der Oper heraus in die Welt. Vielleicht wirkt es darum so besonders zwingend, musikalisch aufs Ganze zu gehen, der Musik zu ihrem Recht zu verhelfen, und mehr davon, als jetzt an der Oper Frankfurt geboten wurde, ist kaum denkbar.

Es donnert, es gleißt, es schießt scharf, es tanzt auf dem Vulkan. Es ist irre laut. Es hört eiskalt wieder auf, irre laut zu sein. Die zentrale Heldenrolle des langen, großen Opernabends, der auch ein großes Sinfoniekonzert ist, gehört dem Orchester unter der Leitung von Generalmusikdirektor Sebastian Weigle. Am heldischsten die Bläsergruppen: das Blech als strahlendes, diszipliniertes, aber auch unbarmherziges Edelmetall, und die Posaune bekommt den komischsten Moment der auch an Komik nicht armen Oper – das Abschlaffen in jenem beträchtlichen Abwärtsglissando zum Schluss des berüchtigten 124-Takte-Beischlafs, einem Feuerwerk, einer Eruption. Das versteht jeder, aber zur Sicherheit sieht man es hier außerdem, dezent und eindeutig.

Die Holzblasinstrumente mischen kommentierend wie menschliche Stimmen mit, lamentierend, japsend, betrübt. Die Streicher erscheinen sämig im Ganzen, brillant im Einzelnen. Wie ein weitergedrehtes Kaleidoskop kann sich minütlich alles neu zusammensetzen, das Gigantomanische verlangt äußerste Beweglichkeit und bekommt sie.

Aus diesem lebendigen Meer der Orchestermusik scheint sich alles weitere zu ergeben. Es ist so dominant, als setzte es die Figuren und die Handlung durch seine eigene Bewegung und Aufregung überhaupt erst in Gang. Ein ausgezeichnetes Ensemble steht dafür auf der Bühne zur Verfügung. Regisseur Anselm Weber, der Frankfurter Schauspielintendant, lässt es zutiefst menschlich spielen, eigentlich wird hier auch nicht gespielt, sondern gesehnt und gelitten, dies allerdings in einer nicht sehr überzeugenden Umgebung.

Das ist merkwürdig: Während die Musik also nämlich aufs Ganze geht, begnügt sich die Bildwelt der Frankfurter „Lady Macbeth“ mit Einfällen, die so dahinter zurückbleiben, dass man eine Absicht – weitere Brüche – vermuten könnte. Dafür spricht aber wenig. Weber und sein Ausstatter Kaspar Glarner entwerfen das vage bleibende Szenario einer nahen Dystopie. Dass es sich irgendwie um eine Welt nach einem Strahlenunfall handeln könnte, traut man sich überhaupt erst zu schreiben, nachdem man es im Programmheft gelesen hat. Tatsächlich tragen Teile der Arbeiter modern wirkende Schutzanzüge. Die Einheitsbühne zeigt einen runden Raum – auf Dauer eng, ohne klaustrophobisch zu sein (was offensichtlich ein Gewinn wäre), und für den Weg nach Sibirien dann auch unselig, obwohl sich Lösungen für alles finden, selbst für den Todessprung in die Wolga. Die glatte, dunkle Hülle könnte nun eine Art Schutzbunker sein, bietet aber auch die Projektionsfläche für die virtuelle Realität, in der die zu Tode gelangweilte Katerina mithilfe einer entsprechenden Brille Trost sucht.

Auch andere probieren nachher die Brille aus, nur durch sie gibt es noch Wälder, Blumen und Sonnenlicht. Das leuchtet theoretisch und ganz allgemein ein – ja, so mag es wohl kommen, wenn wir so weitermachen –, ist aber zugleich de facto szenisch ähnlich läppisch wie später der Einsatz eines Smartphones.

Erst in einem recht aufwendigen Verfahren gleitet zwischendurch ein Stück der Wand futuristisch zurück, und ein Gang wird frei, um die Bühne zu betreten. Das Schlafzimmer / Lotterbett befindet sich in einem Jules-Verne-würdigen zylinderförmigen Objekt, das von oben heruntergelassen werden kann. Der mutmaßliche Versuch, Gleichzeitigkeiten zu schaffen, wirkt aber letztlich unkonzentriert. Bei der Polizei handelt es sich um ein Sonderkommando von übermorgen. Es gibt eine ausgeprägte Überwachungstechnik. Gleichwohl sind auch klassische Kostüme zu sehen, die einer Handlung im 19. Jahrhundert gut anstehen. Selten führt das zu wirklich starken Bildern, so etwa, wenn Peter Marsh als prächtiger Schäbiger mit Langohrenmütze höchst markant sein Sauflied im leeren kalten Rund singt.

Denn dem Überbau zum Trotz sind glücklicherweise einfach Menschen zu sehen. Im Zentrum der Handlung und der Inszenierung steht Katerina Ismailowa selbst, Anja Kampe, deren hochdramatische, jede Emotion unmittelbar widerspiegelnde Stimme in einem reizvollen Kontrast zu ihrem undivenhaft schlichten Auftreten steht. Die Szene, in der sie ihrem Schwiegervater Boris, dem fabelhaften, raumsprengenden russischen Bassisten Dmitry Belosselskiy (im 4. Akt auch der alte Zwangsarbeiter, man hört sich nicht satt an ihm) das vergiftete Pilzgericht überreicht, ist ohne Attitüde ergreifend und fesselnd.

Mit Pagenschnittperücke überzeugt sie als schicke Frau von heute, aber sie verlangt gar nicht so viel vom Leben. Nur so wenig, wie sie an der Seite ihres empfindsam singenden, aber sonst arg uninteressanten Mannes Sinowi, Evgeny Akimov, bekommt, sollte es dann doch nicht sein. Das Angebot des robusteren, sozusagen virileren Tenors Sergei, Dmitry Golovnin, beinhaltet ebenfalls so gut wie nichts. Aber die 124 Takte und ihre ungemein sympathische Sehnsucht nach Liebe und Nähe überzeugen Katerina. Auch der zweite Mord, von ihr und ihrem Liebhaber gemeinsam begangen am Ehemann, verläuft so lapidar und grob, wie es wohl sein mag. Ein einziges Mal sieht man Sergeis leichtfertiges Gesicht hier gleichwohl zur entsetzten Maske erstarrt. Ein Mord ist ein Mord.

Das große Tableau der zahlreichen kleineren Rollen ist glänzend bestückt. Was Alfred Reiter als Pop leistet, ist stimmlich vom Feinsten und als gewitzte Miniaturstudie enorm (auch wenn es von der Inszenierungsidee her ein wenig – rätselhaft bleibt). Zanda Svede ist eine fesch und frech zwitschernde Sonjetka. Iain Mac Neil macht alles aus seiner satirischen Rolle als schamloser Polizeichef. Julia Dawson ist eine sanfte, melancholische Axinja, wendig und stark gefordert als Opfer einer so offen wie geschickt dargestellten Gewaltszene. Der von Tilman Michael einstudierte Chor spricht mit einer Stimme. Sein Schlussauftritt im Zuschauersaal ist akustisch intensiv, szenisch verschenken die Frankfurter doch eines der erschütterndsten uns bekannten Opernenden.

Oper Frankfurt: 7., 10., 14., 17., 22., 29. November. 8., 12. Dezember. www.oper-frankfurt.de

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wir erweitern den Kommentarbereich um viele neue Funktionen. Während des Umbaus ist der Kommentarbereich leider vorübergehend geschlossen. Aber keine Sorge: In Kürze geht es wieder los – mit mehr Komfort und spannenden Diskussionen. Sie können sich aber jetzt schon auf unserer Seite mit unserem Login-Service USER.ID kostenlos registrieren, um demnächst die neue Kommentarfunktion zu nutzen.

Bis dahin bitten wir um etwas Geduld.
Danke für Ihr Verständnis!