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„Getreue Alceste“ in Schwetzingen: Große, kleine, keine Liebe

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Alceste und ihr toter Admete. Es geht aber gut aus.
Alceste und ihr toter Admete. Es geht aber gut aus. © Susanne Reichardt

Georg Caspar Schürmanns „Getreue Alceste“ als wunderbares Fundstück in Schwetzingen.

Der Schatz wurde bereits 2016 gehoben, als in Hamburg eine halbszenische Aufführung von Georg Caspar Schürmanns jetzt fast genau 300 Jahre alter und wirklich verschütt gegangener Oper „Die getreue Alceste“ zu erleben war. Glücklicherweise ging daraus eine musikalisch treffliche (wenn auch nicht vollständige) Aufnahme hervor, denn auch der Besuch der Inszenierung im Rokokotheater Schwetzingen animiert unbedingt zum Weiterhören.

Bedingungslosigkeit ist das Thema des Abends: Alceste kann ihren Mann retten, indem sie an seiner statt stirbt. Nicht Schurken, sondern Götter haben sich dieses schändliche Verfahren ausgedacht, für das übrigens auch jede andere Person in Frage käme. Aber in Schwetzingen, wo Jan Eßinger Regie führt, ist schön zu sehen, wie sich Admetes Freunde und Bekannte verlegen in die Büsche schlagen. Ja, es ist eine Herausforderung, für einen anderen zu sterben, und es ist eine Herausforderung, ein solches Opfer anzunehmen.

Anders als in Willibald Glucks 50 Jahre jüngerer Vertonung, geht es bei Schürmann aber nicht um ein aktlanges Nein-ich-nein-ich-Gezerre der glaubhaft glücklich und opferwillig Liebenden, sondern ganz schnell: Admete ist so gut wie tot, hat jedenfalls längst aufgehört zu singen, und als er zu sich kommt, ist Alceste bereits in der Unterwelt.

Im Libretto des seinerzeit recht bekannten Dichters Johann Ulrich König ist der Konflikt zudem munterer und vielfältiger gelagert. Alceste, eine auch von anderen heiß begehrte Frau, war nämlich zum Zeitpunkt seines und dann ihres Todes noch Junggesellin. Und Hercules holt sie nicht etwa aus dem Hades zurück, um sie ihrem Verlobten zu übergeben, sondern mit dem Vorsatz, sie selbst zu ehelichen. Im ersten Akt mussten Admete und er die Braut bereits aus den Händen eines dritten, gleichfalls bis über die Ohren verliebten Mannes – Stefan Sbonnik als rasender Tenor – befreien. Anwesend sind weitere Liebende, deren Begehr aus unterschiedlichen Gründen gegenwärtig nicht zu erfüllen ist. In Schwetzingen fällt der Anfang entsprechend gesellig aus. Ausstatterin Benita Roth gibt jungen Leuten von heute Gelegenheit, sich auf einer schmucken weißen Terrasse in der Sommersonne zu aalen. Eßinger macht aus der psychologisch aufgeladenen Ausgangssituation ein reizend bewegtes, dabei dezentes Belauern und Umkreisen, Lockendrehen und Beleidigt-Sein.

Nachher verdüstert sich die Szene, Alcestes Abschied vom Leben wird von der eindrucksvollen Sopranistin Sophie Junker mit so viel Würde wie Innigkeit vermittelt, wobei alles bemerkenswert unaufwendig bleibt. Ausgezeichnet gelingt das Bild, das Charon in seinem Nachen, hier einem Ruderboot, zeigt: unterm braunen Mantel im braunen Bötchen eingeigelt, und er rollt sich nur aus, wenn Kundschaft kommt, oder Lars Conrad zu singen hat.

Die stille Melancholie gipfelt im Ende, das durch Hercules’ Verzicht in letzter Minute zwar gut ist – alle Paare finden sich, teils selig, teils genügsam –, aber nun greift mit sanftem Nachdruck die Musik ein: Dirigentin Christina Pluhar, namhafte Lautenistin und vielfach ausgezeichnete Alte-Musik-Spezialistin, lässt dem optimistischen Finale ein zweites, ebenfalls nicht trübsinniges, aber zarteres folgen, das a cappella ausklingt – wie neulich im Frankfurter „Tamerlano“, eine unwiderstehliche Methode, sich ohne Derbheit vom allzu unwahrscheinlich und harmlos guten Ausgang zu distanzieren. Dazu eine sich allmählich verlaufende kleine Prozession nach hinten weg ins Gegenlicht.

Die Musik des Bach-Zeitgenossen Schürmann (1672-1751) ist in ihrer Süße, ihrem unerschöpflich wirkenden melodischen Reichtum in Arien und Ensembles unmittelbar ansprechend. Das Einfallsreiche und Unorthodoxe wird in Pluhars Arrangements noch betont. Schwer zu sagen, ob es wirklich immer Schürmann selbst ist, der die Formelhaftigkeit im Arienaufbau so dermaßen erfrischend beiseite lässt. Überzeugend, wie die durch einige Barockexperten verstärkten Mitglieder des Philharmonischen Orchesters Heidelberg die Leichtigkeit und Intensität der Musik vermitteln. Ein Höhepunkt die Einleitung zum Unterweltsakt mit 1-A-Geräuschkulisse, in der man zum ersten Mal im Leben eine Nagelgeige hört. Sofern das eine Nagelgeige ist.

Das genau für ein solches Opernformat gedachte Theater lässt dem großen, zutiefst spielfreudigen, sozusagen gut aufgehobenen Ensemble auch bei erheblicher Klangfülle Platz zum Singen und Atmen. Junkers großer, aber kultivierter Sopran passt hier noch knapp hinein, Rupert Enticknap überzeugt als Admetus und milder Counter – aparterweise, lernt man von Pluhar, wurde die Rolle ursprünglich von einem Tenor gesungen, in der Braunschweiger Uraufführung 1719 von Schürmann persönlich. Apca Ramanovic ist der entsprechend kräftige Hercules-Bariton.

Lebhaft im Getümmel: Die Sopranistin Elisabeth Breuer als Hercules’ verkleideter, aber gar lieblich zwitschernder Schwarm, Emmanuelle de Negri als gescheite, stimmlich geschmeidige Cephise, die sich leider in die incognito auftretende Amazone verliebt hat, oder Lars Conrad als Strato, der Cephise liebt. Amor, der fiese kleine Fratz.

Relativ gut ist die Textverständlichkeit, auf die man in der deutschen Oper später keinen Pfennig mehr setzen kann. Sicherheitshalber gibt es aber Übertitel. Der hiermit eröffnete „Schwetzinger Winter“, bestritten vom Theater Heidelberg, will sich in den nächsten Jahren dem deutschsprachigen Barock zuwenden. Mehr Verheißung können zweieinhalb Stunden Musik nicht vermitteln.

Rokokotheater Schwetzingen: 5., 15., 17., 21., 23., 27. Dezember. 11., 16., 26., 31. Januar. www.theaterheidelberg.de

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