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„Tristan und Isolde“ an der Oper Frankfurt: Von des Tages Schein betroffen

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Vincent Wolfsteiner und Rachel Nicholls im zweiten Aufzug.
Vincent Wolfsteiner und Rachel Nicholls im zweiten Aufzug. Foto: © Barbara Aumüller

Die Oper Frankfurt zeigt Richard Wagners „Tristan und Isolde“.

Eine musikalisch große, szenisch etwas bescheidene, aber doch packende, sich dicht an den Figuren entlangarbeitende Produktion von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ ist jetzt an der Oper Frankfurt buchstäblich zu erleben. Denn in keiner anderen Wagner-Oper werden die Empfindungen von Liebe und Todessehnsucht so skrupellos eins zu eins der zuhörenden Person aufgezwungen. Diese Empfindungen sind absolut und gewissermaßen engstirnig – für etwas anderes ist einfach kein Platz mehr im Kopf der beiden. Darum ist es nicht schlecht, dass sie nach alter Sage einen oft als überflüssige Plattheit kritisierten Zaubertrank zu sich nehmen müssen: Liebe und Magie müssen sich wohl schon vereinen, um eine solche Wucht hervorzurufen.

Es ist ehrenwert, dass immer wieder versucht wird, auf tiefere Verstrickungen hinzuweisen. In der Inszenierung von Katharina Thoma zum Beispiel ist vor allem Tristan früh von Todessehnsucht erfasst, wäre offenkundig schon eher zum gemeinsamen Suizid bereit und laboriert am frühen Tod seiner Eltern, die er beide nicht mehr kennengelernt hat. Das ist überlegenswert, visuell aber vielleicht doch nicht imposant genug umgesetzt – die gesichtslosen Elterngeister, die dem Halluzinierenden im dritten Aufzug dezent und unaggressiv erscheinen, lassen einen jedenfalls eine Weile herumraten.

Und ist nicht ohnehin der schmalspurige Tristan der interessantere? Wagner merkt im Text eigens an, dass Tristan dem betrogenen und sehr, sehr ausführlich darüber klagenden König Marke mit „zunehmender Trauer“ zuhöre und schließlich „mitleidig das Auge“ zu ihm „hebt“. Musik und gesprochenes Wort erzählen jedoch etwas anderes: Recht lakonisch fertigt Tristan seinen König nun ab (vergiss es, du verstehst es eh nicht), um übergangslos und musikalisch auf einer völlig anderen Ebene Isolde aufzufordern, mit ihm, nach ihm zu sterben.

Beide Szenen, am Anfang der Trank und nachher die endgültige Entscheidung zu sterben, werden in Frankfurt schön ausgeführt. In traumartigen Bildern bereits zur Ouvertüre dokumentiert Katharina Thoma, dass Tristan und Isolde sich schon näher waren und vielleicht innerlich auch jetzt näher sind, als es ihnen selbst zu Beginn der Oper bewusst ist. Tristan, Vincent Wolfsteiner, verschanzt sich sicherheitshalber hinter eine Sonnenbrille. Der goldfarbene Trank aus den Whiskeygläsern kehrt bloß das Innere nach außen, aber was heißt hier „bloß“.

Als das Paar einen Akt später in flagranti ertappt wird, lässt Thoma den König fast schon abgehen, was etwas schlicht gestaltet ist – Andreas Bauer Kanabas setzt halt seine Melone auf und dreht sich weg –, aber an für sich eine gute Idee: Während Marke begreift, dass es vorbei ist, treibt hier der Dummkopf und seinerseits eifersüchtige Melot, Iain Mac Neil, die Sache weiter (als eine Art Judas-Figur, denn ohne ihn würde die Geschichte in Frankfurt offenbar anders verlaufen).

Oper Frankfurt:  25. Januar, 1., 9., 14., 23., 29. Februar, weitere Vorstellungen (weiterhin mit Nicholls/Wolfsteiner) im Juni/Juli. www.oper-frankfurt.de

Vor allem allerdings treibt das Opern- und Museumsorchester die Sache weiter, das unter der Leitung von Generalmusikdirektor Sebastian Weigle wirklich der Motor unter, über und im Geschehen ist: Unter dem Geschehen, indem es der extrem konzentrierten Situation – „Tristan und Isolde“ darin das totale Gegenteil des „Rings“ – mit einer sonst im Leben als Unmöglichkeit anzusehenden disziplinierten Ekstase begegnet; einer milden, fast unaufdringlichen und dadurch umso intensiveren Dauerekstase, die einen Bogen von der Ouvertüre zu Liebestod und Verklärung schlägt. Über dem Geschehen, indem es die Hysterie dem Bühnenpersonal überlässt. Im Geschehen, indem beispielsweise die Ernste und die Heitere Weise im dritten Aufzug auf der Bühne gespielt werden, unter Inkaufnahme einer Spaltung, einer Drittelung der Hirtenfigur: Tianji Lin aus dem Opernstudio singt, Romain Curt spielt das Englischhorn, Matthias Kowalczyk die Holztrompete für die Heitere Weise – hier sieht man sie also einmal, die Spezialkonstruktion, die auf Wagners Wunsch hin angefertigt wurde, etwas Alphornartiges einzusetzen.

Die Bläsersoli sind so makellos, wie es nur selten zu hören ist, die Süße der Streichersoli ist zuweilen merkwürdig, aber auch bezaubernd: Die Musik ist von Anbeginn an todessüchtig, aber Orchester und Dirigent verlieren nicht aus dem Blick, dass das ein zutiefst romantisches Gefühl ist. Und dass ein romantisches Gefühl kein lahmes oder fahles sein muss. Es braucht hier zudem keine faktische Langsamkeit, um die Zeit stillstehen zu lassen.

Sehr rücksichtsvoll ist das Orchester gegenüber dem quicken Personal auf der Bühne, das allerdings auch seinerseits viel zu bieten hat: Ensemblemitglied Vincent Wolfsteiner in Hemd und Hose (Kostüme: Irina Bartels) singt sich geradezu in einen Rausch, und ohne sich von Aufzug 2 an irgendetwas aufzusparen (eingangs scheint er durchaus noch zu dosieren), bietet er ausreichende Kraftreserven für sein endloses Finale. An Erschöpfung erklingt darin nur so viel, wie es einem sterbenden Tenor geziemt. Eine enorme Leistung, zumal kein schreiender, sondern ein recht lyrischer Wohlklang-Tristan zu hören ist.

Stimmlich geht das ideal zusammen mit der chic eingekleideten Isolde der Britin Rachel Nicholls und ihrem jugendlich frischen, lebhaften, gut artikulierenden Sopran. Dass in der ausgeflippten Phase des Duetts im zweiten Aufzug momentweise die Durchschlagskraft fehlte, machen die exzellenten, glasklaren Höhen wett. Im Finale bietet sie eine flattrige, aber souveräne Isolde, ein Erlebnis (das bestimmt nicht das Buh verdient hat, ohne das ausgerechnet ein „Tristan“ anscheinend nicht enden darf. Man denkt dann immer: Womit hat dieser Typ die letzten fünf Stunden verbracht, dass er im Anschluss an diese Musik solche Geräusche produzieren kann?). Auch als Paar leuchten die beiden ein.

Thoma bemüht sich weitgehend, nicht zu stilisieren, sondern natürliche Bewegungsabläufe von Freude, Leid und Ingrimm zu nutzen. Dadurch wird das meiste unpeinlich, was für eine „Tristan und Isolde“-Inszenierung beachtlich ist. Zugleich fehlt es dann doch an Abrundung und zwingenden Einfällen. In der klugerweise unrealistischen, abstrakten Situation des ersten Aufzugs hat Brangäne, die herrlich aufsingende Claudia Mahnke im leicht trutschigen Kostüm, dann doch einen praktischen Rollkoffer dabei. Marke in staatsmännischem Zivil bleibt als Person ziemlich außen vor, während Bauer Kanabas sängerisch einen Weltklasseauftritt absolviert.

Vielleicht auch typisch: Die große schwarze Trennwand im zweiten Aufzug, die sich um die eigene Achse drehen kann, kommt zwar immer wieder in Bewegung. Aber es entsteht kein unerbittlicher Ablauf daraus, wie man ihn sich hier gut vorstellen könnte.

Das markante Bühnenbild von Johannes Leiacker arbeitet in jedem Akt mit einem schwarzen Mittelpunkt zwischen weißen Wänden, die oben mit einem vielfach eingesetzten Neonröhren-Fries und unten mit etlichen schlichten Türen versehen sind. Schlichte Türen zu benutzen, hat in „Tristan und Isolde“ eine prosaische Seite. Der schwarze Mittelpunkt hingegen kann faszinieren: Im ersten Aufzug eine von oben einschwebende große Platte, auf der Isolde quasi gefangengehalten wird, zugleich aber Schutz gegen die nahenden, recht einfach wirkenden Matrosen aus dem hochkultivierten Herrenchor (Tilman Michael) findet. Außerdem tummeln sich hier Michael Porter als frecher und schnittiger Junger Seemann und Christoph Pohl als feiner Kurwenal mit langem Atem, den Isolde allerdings kurzzeitig am Schlafittchen zu packen bekommt.

Im zweiten Aufzug hat sich die Platte in die Wand verwandelt, im dritten in einen zerklüfteten Berg, die Klippen bei der Burg Kareol. Immer vorhanden auch ein Ruderboot, erst schwarz, dann weiß, dann wieder schwarz in etwas vager Symbolik (wobei die Bedeutung von Schwarz und Weiß in der Tristan-Geschichte an sich klar ist). Starke Lichtverhältnisse (Olaf Winter) bietet naheliegenderweise der zweite Aufzug, in dem es nächtlich werden darf.

Zum Liebestod bleibt Isolde allein in der nun entleerten weißen Box. Das Licht erbarmungslos. Man muss sagen, dass sie aller Voraussicht nach nicht stirbt. Das ist kein neuer, aber ein weiterhin theoretisch wirkender Einfall.

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