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Konzertante Barbier-Auszüge in bunten Käfigen
Die steigenden Corona-Zahlen treffen auch die Kulturschaffenden hart. Ab 2.
November müssen alle Theater in Deutschland wieder schließen, zunächst bis Ende
November. Der relativ hohe Inzidenzwert in Wuppertal hat schon in der
vergangenen Woche dazu geführt, dass die beiden für das Wochenende angesetzten
Aufführungen von Mozarts Zauberflöte abgesagt werden mussten. An der
zweiten Spielzeitpremiere der Oper am 31. Oktober 2020 wollte man allerdings
unbedingt festhalten, und als klar war, dass der ursprünglich geplante
Doppelabend mit dem Vorspiel aus Richard Strauss' Ariadne auf Naxos und
Béla Bartóks Herzog Blaubarts Burg in der vorgesehenen Form nicht
umsetzbar sein würde, hat man sich für eine Kurzfassung von Gioachino Rossinis
unverwüstlichem Barbier von Sevilla entschieden, konzertant zwar, damit
das Sinfonieorchester Wuppertal in überschaubarer Besetzung auf der Bühne unter
Einhaltung der erforderlichen Abstände Platz findet, dafür allerdings in einer
unkonventionellen szenischen Einrichtung von Inga Levant, die in Wuppertal
bereits bei dem "Giulietta"-Akt in Offenbachs Hoffmanns Erzählungen und
bei
Julietta von Bohuslav Martinů Regie geführt hat. Wegen einer
Allgemeinverfügung der Stadt Wuppertal müssen zwar die Zuschauerzahlen im
Saal des Opernhauses noch weiter drastisch beschränkt werden, aber wie sagt
Generalmusikdirektorin Julia Jones am Ende der Vorstellung so schön: "Für uns
Künstler und Künstlerinnen spielt es keine Rolle, ob wir vor einem vollen Haus
oder vor 100 Leuten spielen. Hauptsache, wir dürfen überhaupt spielen!" Wie
recht sie hat.
Ensemble in Käfigen: von links: Bartolo
(Sebastian Campione), Rosina (Iris Marie Sojer), Figaro (Simon Stricker),
Almaviva (Siyabonga Maqungo) und Basilio (Nicolai Karnolsky)
Rossinis Il barbiere di Siviglia gilt nicht nur als die bekannteste Oper
des Schwans von Pesaro, dessen Werke nicht zuletzt dank der beiden ihm
gewidmeten Festivals in seiner Geburtsstadt und in Bad Wildbad wieder viel mehr
Aufmerksamkeit erfahren, sondern auch als die älteste italienische Oper, die seit
ihrer Premiere nie aus dem Opernrepertoire verschwunden ist. Dieser große
Bekanntheitsgrad muss auch vorausgesetzt werden, denn von der Handlung versteht
man bei der konzertanten Aufführung in Wuppertal nichts. Zwar ist dem
Programmheft ein gekürztes Textbuch beigefügt worden, das wohl die fehlenden
Übertitel ersetzen soll, aber die einzelnen Arien sind in eine völlig andere
Reihenfolge gebracht und folgen keineswegs dem Handlungsablauf der Geschichte.
Laut Inga Levant soll das eine Anlehnung an den Dadaismus sein, der damals auch
als Reaktion auf die vor 100 Jahren grassierende Spanische Grippe verstanden
werden könne, die gewisse Parallelen zur derzeitigen Pandemie aufweise. So
sollen auch die abstrakten Kostüme von Sarah Prinz erklärt werden, die mit
opulenten geometrischen Formen in knallbunten Farbtönen arbeiten. Lediglich die
Titelpartie wirkt wie ein Joker in einem Kartenspiel. Für jede Figur ist ein
geometrischer Käfig vor dem Orchester aufgebaut. Diese Kästen unterscheiden sich
nicht nur in der Farbe sondern auch in der Form. Ganz links steht Doktor
Bartolo, daneben Rosina, in der Mitte Figaro, dann folgen Almaviva und Don
Basilio. Für die Hausangestellte Berta ist kein eigener Kasten aufgebaut. Sie
tritt kurz vor dem Finale aus dem Zuschauerraum auf und platziert sich ganz
links neben Bartolo unter eine bunte Fahne. Chorsänger Javier Horacio Zapata
Vera ergänzt das Ensemble als Gitarrist mit einem Zwischenspiel in der Mitte des
Abends.
Simon Stricker als Figaro
In diesem Ambiente hört man nun die größtenteils bekannten Auszüge aus der Oper.
Julia Jones eröffnet den Abend mit dem frisch aufspielenden Sinfonieorchester
Wuppertal mit der Ouvertüre. Es folgt die berühmte Arie des Figaro "Largo al
factotum". Simon Stricker, der schon als Papageno in der Zauberflöte zum
Publikumsliebling avancierte, glänzt auch in dieser Paraderolle für jeden
Bariton. Mit beweglichen Läufen, die absolut lässig klingen, und selbstbewusstem
Spiel zeichnet er diesen Lebenskünstler, den man einfach mögen muss. Stricker
arbeitet die Komik der Figur genauso gut heraus wie seine pfiffige
Verschlagenheit. Erst anschließend tritt der Graf auf, um der von ihm verehrten
Rosina das Ständchen "Ecco ridente in cielo" zu bringen. Für die Partie des
Grafen hat man den in Südafrika geborenen jungen Tenor Siyabonga Maqungo
engagiert. Maqungo verfügt über einen weichen lyrischen Tenor, der in den Höhen
allerdings ein wenig forcieren muss. Darstellerisch überzeugt er als schmachtend
liebender junger Mann. Da verwundert es nicht, dass er mit Figaro ins Geschäft
kommt. Im Duett "All' idea di quel metallo" erläutert ihm Stricker anschließend
sehr wortgewandt, wie er sich der angebeteten Rosina nähern soll, um den
misstrauischen Doktor Bartolo zu umgehen, der seinem Mündel jeglichen Kontakt
mit anderen Männern untersagt, da er aus finanziellen Gründen die junge Frau
selbst ehelichen möchte.
Sebastian Campione als Bartolo
Bevor nun Rosina mit ihrer berühmten Arie "Una voce poco fa" zu Wort kommt,
tritt in Wuppertal erst einmal Sebastian Campione als Bartolo auf. Er verkündet
selbstbewusst in seiner großen Arie "A un dottor della mia sorte", dass er
sich nicht so leicht hereinlegen lässt. Dass man diesen Doktor nicht ernst
nehmen kann, wird auch durch sein Kostüm unterstützt, dass ihn mit gold glänzendem
Gesicht und einem ausladenden Goldkragen mit blauen Troddeln ein wenig
lächerlich wirken lässt. Stimmlich überzeugt er mit beweglichem Bassbariton.
Inhaltlich unklar bleibt allerdings, wieso er seinem Mündel mit dieser Arie
die Leviten liest, bevor es überhaupt zu einem Treffen mit Almaviva als
getarntem Lindoro gekommen ist. Das erste Treffen folgt nämlich erst im
Anschluss, genauso wie Rosinas berühmte Arie.
Iris Marie Sojer als Rosina
Die Partie der Rosina ist in
Wuppertal mit der Mezzosopranistin Iris Marie Sojer besetzt und folgt damit der
ursprünglichen Fassung. Die Transponierung der Rolle in die Sopranstimme, die
diese Nummer zum Standardrepertoire jeder Koloratursopranistin machte, erfolgte
erst später. Sojer begeistert mit dunkel gefärbtem Mezzosopran und zeigt mit
beweglichen Läufen, dass auch in einer tieferen Stimmlage die Koketterie der
jungen Frau absolut glaubhaft bleibt. Im folgenden Treffen zwischen Almaviva und
Rosina werden nun unterschiedliche Szenen verwoben. Zum einen geht es um den
Brief, den Rosina für das heimliche Treffen geschrieben hat, dann bereits um den
Fluchtversuch im zweiten Akt, wenn sie über den Balkon mit Hilfe einer Leiter
das Haus verlassen wollen.
Erst im Anschluss folgt der Auftritt des Musiklehrers Don Basilio mit der
bekannten Arie "La calunnia è un venticello". Für die Partie des Basilio hat man
Nicolai Karnolsky nach Wuppertal geholt, der viele Jahre in Gelsenkirchen am
Musiktheater im Revier zum festen Ensemble gehörte. Mit profunden Tiefen macht
er deutlich, wie sich aus dem kleinen Lüftchen der Verleumdung ein gewaltiger Orkan
entwickeln kann. Das lässt die anderen Figuren auf der Bühne in ihren Käfigen
erzittern. Nach einem kurzen Zwischenspiel folgt Almavivas Auftritt als
getarnter Musiklehrer im zweiten Akt und das großartige Quintett aus dem zweiten
Akt, in dem Figaro, Rosina und Almaviva versuchen, den plötzlich auftauchenden
Don Basilio wieder aus dem Haus zu katapultieren, ohne dass Bartolo den
Schwindel merkt. Hier agieren Sojer, Stricker, Maqungo, Campione und Karnolsky
mit großartiger Komik. Dann geht es zurück zum Ende des ersten Aktes. Almaviva
tritt nun als scheinbar betrunkener Soldat auf, der Einlass in Bartolos Haus
fordert. Die Szene kulminiert in dem furiosen Finale des ersten Aktes "Mi par
d'esser colla testa", in dem alle drohen, den Verstand zu verlieren. Das
Publikum bedankt sich für diesen Abend mit großem Applaus, der nach der
Ansprache des Intendanten Berthold Schneider und der Generalmusikdirektorin
Julia Jones nicht enden will. Scheinbar haben alle den Wunsch, noch so lange wie
eben möglich im Opernhaus zu bleiben, bevor der Vorhang erneut für
mindestens vier Wochen fällt.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Szenische Einrichtung Kostüme Dramaturgie
Sinfonieorchester Wuppertal
Gitarre BesetzungGraf Almaviva Figaro Bartolo Rosina Basilio Berta
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- Fine -