Die Geschichte von Abbé Prévosts Manon Lescaut, die Giacomo Puccini seinen ersten großen Opernerfolg bescherte, ist eigentlich völlig zeitlos. Die Inszenierung von Robert Carsen, die 2005 an der Wiener Staatsoper ihre Premiere erlebte und nun für eine Aufführungsserie auf den Spielplan zurückkehrt, funktioniert allerdings seit jeher nur zur Hälfte wirklich gut.

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Asmik Grigorian (Manon Lescaut)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper GmbH

Die Shopping-Mall mit Hotel im ersten Akt und das Penthouse samt begehbarem Kleiderschrank voller Luxusroben und teurem Schmuck des zweiten Akts bieten zunächst noch einen idealen Rahmen für die Geschichte einer zwischen wahrer Liebe und Leben im Luxus Hinundhergerissenen; wenn aber im dritten Akt von Deportation die Rede ist, ergibt dieses Setting plötzlich wenig Sinn. Und auch der Tod durch Verdursten in der (mittlerweile wenigstens geschlossenen und heruntergekommenen) Shopping-Mall des ersten Akts spießt sich schlussendlich furchtbar mit der Handlung und dem Libretto. Immerhin tröstet in dieser Aufführungsserie eine starke Besetzung über diese nicht durchgehend überzeugende Szenerie hinweg.

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Boris Pinkhasovich (Lescaut) und Asmik Grigorian (Manon Lescaut)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper GmbH

Als Manon Lescaut war Asmik Grigorian nun endlich auch am Haus am Ring zu erleben und sie machte ihrem Ruf als vollkommene Sängerdarstellerin alle Ehre. Schauspielerisch zeigte sie ein ausgefeiltes Rollenporträt, wobei ihre Manon nicht einfach eine dumme Nuss mit Hang zum Luxus ist, sondern eine relativ unerfahrene junge Frau, die permanent zwischen ihrer Liebe zu Des Grieux und einem ausschweifenden Lebensstil hin und hergerissen ist. An der stimmlichen Gestaltung faszinierten an diesem Abend die technische Finesse (etwa in Form eines herrlichen Morendo bei „In quelle trine morbide“), die honigsanfte Zartheit, die Grigorian in das eher herbe Timbre ihres Soprans mischte, wann immer Manon ihre Liebe zu Des Grieux bekundete und die in jedem Ton vermittelten Emotionen. In der Arie „Sola, perduta, abbandonata“ setzte Grigorian schließlich auf resignierende Trostlosigkeit,  Gesangslinie und  Klangschönheit wurden in den finalen Szenen dabei allerdings keinen verzweifelt deklamierten Phrasen geopfert; dennoch – oder genau deswegen – traf sie mitten ins Herz.

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Brian Jagde (Chevalier Des Grieux)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper GmbH

Neben einer so einnehmenden Bühnenpartnerin nicht zu verblassen, ist zweifellos eine Herausforderung, die Brian Jadge an diesem Abend aber gut zu meistern verstand. Mit virilem Tenor, der sich mehr durch einen metallischen Kern denn durch Schmelz im Timbre auszeichnet, gestaltete er packend die Gefühlswelt des Des Grieux von der schwärmerischen Liebe auf den ersten Blick bis hin zur Bereitschaft, der Geliebten in den Tod zu folgen. Etwas mehr Feinschliff – insbesondere in Bezug auf die passagenweise doch sehr lauten Fortissimo-Ausbrüche, in denen die Stimme an Farben und Nuancen verlor – hätten der Gestaltung des Charakters allerdings zusätzlich ganz gut gestanden.

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Asmik Grigorian (Manon Lescaut)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper GmbH

Manons zwielichtigen Bruder Lescaut legte Boris Pinkhasovich im ersten Akt als ziemlich ungehobelten Proleten an, der am sozialen und finanziellen Aufstieg selbst mindestens ebenso interessiert ist, wie seine Schwester; auch in seiner stimmlichen Gestaltung spiegelte sich hier diese Lesart wider. Wie schön klingend sein Bariton fließen kann, stellte er dann jedoch im zweiten Akt eindrucksvoll unter Beweis – die Stimme war in den gemeinsamen Szenen mit Manon in allen Lagen perfekt kontrolliert, fokussiert und strahlte wärmenden Schimmer aus. Den Edmondo sang Josh Lovell mit ebenso charmantem wie frischem Klang, wobei er zu Beginn des ersten Akts noch Probleme hatte, mit seinem schmelzend timbrierten Tenor gegen das Orchester anzukommen. Dank Carsens Inszenierung kommt die Rolle aber auch im zweiten und vierten Akt vor – als Tanzmeister bzw. Laternenwärter – und hier kam seine Stimme dank des zurückgenommeneren Klangs aus dem Graben besser zur Geltung. Sehr polternd und harsch in der vokalen Gestaltung legte Artyom Wasnetsov den Geronte di Ravoir an; dass er als junger Sänger in der Rolle außerdem keinesfalls glaubwürdig wirkte, ist ihm hingegen nicht wirklich vorzuwerfen.

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Asmik Grigorian (Manon Lescaut) und Brian Jagde (Chevalier Des Grieux)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper GmbH

Bei seinem Debüt an der Wiener Staatsoper setzte Francesco Ivan Ciampa im ersten Akt noch auf allzu hektische Tempi, Staatsopernorchester und Chor hinterließen dabei insbesondere in den Ensembleszenen bedingt durch etliche Abstimmungsprobleme einen unausgewogenen Eindruck. Takt für Takt legten sich diese anfänglichen Schwierigkeiten jedoch und spätestens beim Intermezzo waren Dirigent und Musiker dann merklich besser beieinander angekommen. So gab es nach der Pause auch herrlich viel Pathos und schönes Leiden aus dem Graben zu hören – herzergreifend war etwa die Oboe in Manons finaler Arie oder auch die Celli, deren berückend erklingendes Klagen den Tränentod meines Make-ups endgültig besiegelte.

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