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„Die Walküre“ in Stuttgart: Lauter Sackgassen

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Schön: Ulla von Brandenburgs Walküren im poppige Wellengebirg’.
Schön: Ulla von Brandenburgs Walküren im poppigen Wellengebirg’. © Martin Sigmund

Der spektakuläre Versuch, die „Walküre“ auf drei Regieteams zu verteilen, führt in Stuttgart ins Leere.

Selbst die „New York Times“ wurde neugierig und berichtete vorab. Denn die Staatsoper Stuttgart, um die Jahrtausendwende Ort eines markanten „Rings“, bei dem die Regie von Richard Wagners Tetralogie auf vier Teams verteilt wurde, dreht die Schraube jetzt noch weiter. Für den neuen gemischten „Ring“, im November 2021 wenig nachhaltig gestartet mit Stephan Kimmigs „Rheingold“, wurde die „Walküre“ in ihre einzelnen Aufzüge zerlegt. Neben dem prinzipiellen Spaß am Sezieren und Experimentieren muss das Ziel offensichtlich sein: zu dokumentieren, was passiert, wenn man die Szene im Hause Hunding, die eskalierende Konfliktlage in Wotans Patchworkfamilie sowie das traurige Ende der schönsten aller Vater-Tochter-Beziehungen jeweils ganz für sich betrachtet, ohne Vorgeschichten und Konsequenzen. Eine Wahnsinnsgelegenheit, radikal ungenutzt verstrichen.

Zuerst verspielt das Kollektiv Hotel Modern den Hunding-Akt. Dann inszeniert der von der Beleuchtung kommende Urs Schönebaum den Walhall-Akt so konventionell, als gälte es bloß rasch eine Lösung zu finden. Dann ist der Schlussakt der Künstlerin Ulla von Brandenburg eine poppige Unverbindlichkeit. Man ist da aber so weit, dass man sich an den Farben freut. Und daran, wie gut sich die Walküren bewegen. Denn gemeinsam ist allen drei Aufzügen ein unglaublich statisches Personal, dramatischster Beleg dafür, dass es hier um Ausstattungs- und zu keinem (erkennbaren) Zeitpunkt ernsthaft um Interpretationsfragen ging.

Die 1997 in Rotterdam gegründete Künstlergruppe Hotel Modern hat sich auf Puppenfilme in Miniaturkulissen spezialisiert. Die Bühne ist also rundum mit Arbeitstischen bestückt, auf denen man die Modelle ahnt, oben Leisten mit Scheinwerferchen. Zum nervösen Vorspiel wird eine niedliche kleine Ratte, vermutlich aus Filz, von einer Rattenmeute gejagt, zu verfolgen auf einer Leinwand, die wie die Baumkrone zum in der Bühnenmitte platzierten Holzstumpf (der in unterschiedlichen Restformen auftauchenden Weltesche) geformt ist.

Auch im Folgenden werden die Filmaufnahmen das Geschehen dominieren, dystopische Landschaften, morbide Wälder, teils heillos verregnet, dann vereist. Mal mit den kleinen Ratten, mal ohne sie. Das Team von Hotel Modern ist immer auf der Bühne, räumt die liebevoll mit den Modelllandschaften bestückten Platten nach hier, nach dort, bedient die Kameras. Sie haben in der Vergangenheit bewiesen, dass das nicht albern sein muss, sie sind still, geschäftig und müssen sich irgendwie in dieses Konzept hineingesteigert haben – eine totale Parallelaktion zu Wagner und zu den Sängern und der Sängerin, die ja, verflixt, auch noch da sind.

Sieglinde, Siegmund und Hunding stehen herum wie bestellt und nicht abgeholt. Sie tragen beim Auftreten Rattenköpfe (da wird man melancholisch und denkt an Hans Neuenfels’ Ratten- „Lohengrin“, eine Ausgeburt an Nachdenklichkeit, wie sich jetzt zeigt). Zum Singen nehmen sie sie ab, legen sie später ein bisschen verlegen zur Seite. Nothung, das Schwert, bei dem man sich auch die ganze Zeit über fragt, wo das nun herkommen soll, wird mit einigem Aufwand von oben heruntergelassen. Ein Riesenteil, aber schlabbrig, so dass es sich am Ende bis zum Schaft nach unten wegklappen kann. Im Schaft ein letztes Filmchen, eine Maus, die zwei Mäuschen säugt. Süß und peinlich, mehr peinlich als süß.

Urs Schönebaums Bühne ist noch leerer und dunkler, in der Mitte vorerst ein Museums-Ast, den Wotan mit seinen Zwillingen anschaut. Finstere Gesellen schieben den Ast nachher fort, auch dies wieder schon rein handwerklich eine solche Verlegenheitslösung, dass man sich geniert.

Siegmund und Sieglinde sind offensichtlich dieselben wie aus dem ersten Aufzug, jedoch gealtert und verstaubt (Kostüme: Yashi), sie sollen sich wohl weiterhin praktisch nicht bewegen. Auch Wotan (ein eleganter Herr des 19. Jahrhunderts) und Brünnhilde: minimalistisch. Etwas agiler die attraktive Fricka, die – zarter Ansatz einer Personenführung – ihren Mann entgegen der allgemeinen Annahme durchaus noch zu verführen weiß. In diesem immer etwas anstrengenden, aber auch herausfordernden Akt geschieht ansonsten nichts außerhalb der engsten Routinen. Nur benutzt Brünnhilde eine Armbrust, überhaupt kommen diverse Schuss- und Stichwaffen zum Einsatz.

Vor allem ersticht Wotan Siegmund dann so leidenschaftlich und ausführlich mit einem Messer (ungewöhnlich), dass aus dem Rang ein Frechdachs herunterrief: „noch mal“. Und der ungezogene Mensch rief es bereits zu Recht, dabei war Wotan noch lange nicht fertig.

Ulla von Brandenburg schickt die Walküren im Schlussakt ins popbunte Wellengebirg’. Das sieht schön aus. Nachdem Brünnhilde sich einigermaßen bequem hingelegt hat, wird hinten ein illuminierbarer Ring hochgezogen, in dem ein Brünnhilde-Double ruht. Die Walküre im Mond. Am Ende ist das Dekoration.

Cornelius Meister – vor seinem Bayreuth-Debüt mit „Tristan und Isolde“ im Sommer – dirigiert voller Leben gegen die Oberflächen und Einfallslosigkeiten an. Im Hotel-Modern-Film sieht man ihn einmal kurz, da hat man fast den Eindruck, traulich und treu ist’s nur in der Tiefe. Na ja, das ist jetzt etwas übertrieben.

Das Ensemble: durchwachsen, interessant. Überragend ist Simone Schneider als Sieglinde, gegen die der schöne, allerdings wie gebremst wirkende Tenor von Michael König als Siegmund am Ende doch kaum ankommt. Okka von der Damerau debütiert als frische, jugendliche Walküre, äußerst überzeugend in Stimmkultur und -volumen, aber mit erheblichen Intonationsproblemen in der Höhe. Keinen guten Abend erwischte Brian Mulligan als Wotan, der sich beim Schluss der Schlüsse anscheinend regelrecht über die Runden retten musste.

Ihre Chancen mit kurzen, kraftvollen Auftritten nutzten hingegen Goran Juric als Hunding und Annika Schlicht als bejubelte und in der Tat enorme, wunderbar tief timbrierte Fricka. Exzellent die Rheintöchter, auch sie beifallumstürmt. Wenig Buhs gegen das flaue Gesamtunterfangen, hörbar eigentlich nur für Hotel Modern.

Staatsoper Stuttgart: 18., 23., 29. April, 2. Mai. www.staatsoper-stuttgart.de

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