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„Les Troyens“ an der Bayerischen Staatsoper: Endspiel mit Buh-Orkan

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Marie-Nicole Lemieux und Stéphane Degout
Bilder, wie komponiert, gibt es – leider nur – in den ersten beiden Akten: Szene mit Marie-Nicole Lemieux (Cassandre) und Stéphane Degout (Chorèbe). © Wilfried Hösl

Ein Abend, der stark beginnt und ebenso stark nachlässt: Christophe Honoré inszeniert „Les Troyens“ für die Bayerische Staatsoper, Dirigent Daniele Rustioni setzt die Berlioz-Partitur unter Überdruck. Und mancher Premierengast verliert wegen homoerotischer Videos die Fassung.

Gute Stücke sprechen für sich. Und womöglich hat Christophe Honoré sogar Glück gehabt, dass sein Regie-Konzept Jahre vor den Bomben auf Odessa entstand: Brennende Aktualität teilt sich auch ohne Blick auf die brennende Ukraine mit – zumal „Les Troyens“ von Hector Berlioz noch viel mehr, Allgemeineres erzählen. Sicher von der Unterwerfung fremder Völker, von Bigotterie, Fanatismus, vor allem aber vom Krieg, den die Kerle stets als Schicksal begreifen, die Liebe dafür als verzichtbar.

Wo also alles gerade nach Konkretisierung heischt, tritt Honoré drei Schritte zurück – zumindest für die ersten eineinhalb der fünf Stunden. Auf geborstener, zerstörter Betonfläche hebt da ein Endzeitspiel an, das suggestive Kraft durch Ruhe verströmt (Bühne: Katrin Lea Tag). Die archaische Wucht im Troja um die mahnende Cassandre wird beantwortet mit wie komponierten Bildern. In seiner zeichenhaften Körperlichkeit, in seiner Spannung durch Distanz, auch in seiner Abstraktion grenzt das ans Ritual – das verhängnisvolle Ross der Griechen leuchtet folglich nur als Schriftzug „Das Pferd“.

Homoerotische Videos stoßen auf heftige Ablehnung

Honoré weiß: Mit Psychologisierung kommt man bei den Figuren nicht weiter – das sind keine Menschen, sondern Sagengestalten. Sogar der Chor in schwarzer Oratorienformation geht in Ordnung. Honoré spart sich nicht nur Regie, er ermöglicht die Chance zum präzisen Singen (was der Staatsopernchor hervorragend nutzt) – und erinnert damit an das kommentierende Kollektiv antiker Dramen.

Die beiden Akte sind das Beste an diesem Premierenabend in der Bayerischen Staatsoper. Der startet stark und endet im Buh-Orkan. Letzteres, weil Honoré, eigentlich Filmemacher, die trojanische, in ihrer (Gut-)Gläubigkeit verkrustete Gesellschaft auf die FKK- und Flower-Power-Freizügigkeit Karthagos treffen lässt. Kurz nachdem Enée samt Pilgerkämpfer also am Hofe Didons aufgetaucht ist, laufen zum Instrumentalstück der „Königlichen Jagd“ und zur Ballettmusik auf zwei Leinwänden Videos. Nackte Männer, die Frauen verlassen, es lieber unter sich treiben. Was so passiert, wenn in Kriegszeiten Säfte der Soldateska verrücktspielen, wenn die Vereinigung von Körpern auch Dunkles gebiert. Schwüle, blutige Fantasien à la Pasolini oder Warhol. Nichts Schlimmes, aber zu lang, zu penetrant, die Botschaft teilt sich nach zweieinhalb Minuten mit. Es ist, als ob da jemand um Ablehnung buhlt – das Publikum reagiert erwartbar.

Je mehr diese Aufführung also in den Naturalismus und Richtung Gegenwart abbiegt, je mehr sie auf dem Gegensatz Troja–Karthago herumreitet, desto flacher, belangloser wird alles. Bis dem wackeren Personal nur noch die stereotype Geste bleibt. Abzulesen ist das besonders an Ekaterina Semenchuk. Sie kam erst spät als Einspringerin dazu und zeichnet eine Didon von überschießendem Pathos. Das ist, mit üppigem, belastbarem Mezzo, exzellent gesungen, aber eben nicht mehr als gute alte Opernrepertoire-Schule.

Marie-Nicole Lemieux hat sich mit Honorés Konzept besser anfreunden können. Eine Cassandre der herben, nicht unbedingt einschmeichelnden Töne gibt sie. Aber eben doch von jener sagenhaften, überpräsenten Gestalt, wie es zum Troja-Teil des Stücks passt. Ein herausragender Stilist ist Stéphane Degout, der seinen Chorèbe mit Vehemenz in Grautönen leuchten lässt. Lindsay Ammann (Anna) und Eve-Maud Hubeaux (Ascagne) sind eher lyrisch sozialisiert und folgen mit Abstand.

Gregory Kunde
Ein Phänomen: der 68-jährige Gregory Kunde als Enée. © Wilfried Hösl

Von keinem eingeholt wird jedoch Gregory Kunde. Mit 68 Jahren gestaltet er einen erstaunlichen Enée: souverän und ohne zu tricksen in den heiklen Lagen, enorm intensiv in der großen Arie, mit nahezu perfekt kanalisiertem Tenor, der sich locker durchs Orchester pflügt. Sein Held ist ein alternder Desperado, ein müder Krieger auf Ruhesuche, einer, der alles gesehen und erlebt hat und seine letzte Chance, die Gründung Italiens, wittert – was hätte eine feinzeichnende Regie daraus machen können.

Daniele Rustioni als Animateur und Feinabschmecker

Vollkommen ins Werk geworfen hat sich ebenfalls Daniele Rustioni. Der neue Erste Gastdirigent der Staatsoper bekommt mit Berlioz seine erste Premierenchance. Die Partitur, die hier fast ungekürzt gespielt wird, setzt er unter Überdruck. Animateur und Feinabschmecker ist der Italiener. Einer, der befeuern kann, aber auch gern Angebote aus dem Orchester aufnimmt (die er mit kurzer Kusshand quittiert). Gleichzeitig ist da ein Handwerker alter Kapellmeisterschule aktiv. Das Bayerische Staatsorchester lässt Berlioz gebührend funkeln und fährt Slalom durch die Partitur. Je später der Abend, desto manche Stange purzelt aber auch – was Rustioni gekonnt ausgleicht. Die Klangkonstruktionen, die sich überlagern und durchdringen, bringt er einem näher, das Zugespitzte, aber auch das süße Parfüm, das Berlioz über die Liebesszenen träufelt, die sacht pulsierenden Rhythmik, die oft mehr von der Erotik des Stücks transportiert als ein sichtbares Gemächt der Statisterie.

Für Berlioz, der lebenslang am Werk strickte, blieben „Les Troyens“ ein Schmerzensstück. Der Bayerischen Staatsoper passiert gerade Ähnliches. Spätestens in der zweiten Pause treibt es manchen schon zur Garderobe. Und der Schock der schwulen Softpornos sitzt offenbar tief: Als Honoré mit seinem Team die Bühne betritt, erhebt sich ein Sturm der Ablehnung – und, zumindest im Parkett, stellenweise abstoßendes homophobes Gemurmel. Für manche Szenen im Stück mag diese Regie ein schwarzer Abend gewesen sein. Für Teile des Münchner Publikums ist er es auch.

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