„C’est la guerre!“ – Così fan Tutte im Théatre Municipal Colmar

Opéra national du Rhin/COSI FAN TUTTE/Foto @ Klara Beck

„Così fan Tutte“! So machen es alle? Nicht aber Regisseur David Hermann in der neuen Produktion der Opéra national du Rhin. Dieser hat für seine Inszenierung der Mozart/Da Ponte-Oper ein ausnahmsweises ernstes Sujet gefunden. Er verlegt die komische Handlung in die Zeit vor und nach der beiden Weltkriege, mit all seinen düsteren Auswüchsen. Als clevere, sicher zur Völkerverständigung der deutsch-französischen Grenzregion des Elsass beitragenden Geste, hat Hermann für seine Figuren die englische Nationalität gewählt. Deutsche oder französische Liebespaare würden bei seinem Ansatz dem Publikum wohl übel aufstoßen. (Rezension der Vorstellung vom 15.05.2022)

 

Sein Regiekonzept ist durchaus als gelungen zu bezeichnen. Hermann verfremdet die ursprüngliche Handlung kaum, sondern deutet sie in den entscheidenden zwischenmenschlichen Momenten lediglich leicht anders als sonst üblich. Der Großteil seiner Interpretation lässt so auch in Da Pontes Libretto wiederfinden. Wenn Despina beispielsweise in ihrem Auftritt „Che vita maledetta“ von dem bemitleidenswerten Leben als Dienstmädchen singt, lässt Hermann im Hintergrund Bomben hageln – so bekommt ihre Arie einen ganz neuen, gravierenden Kontext. Despinas Worte sind in dieser Szene jedoch verblüffend passfähig zur Ästhetik der Bühne. Der Regisseur nimmt das Libretto eben wörtlich und übergeht bewusst die Ironisierung Mozarts. Gemäß dem Kommunikationsquadrat Schulz von Thuns ist dies ein durchaus legitimer Ansatz ist, der Regisseur nutzt diesmal eben den Sachaspekt der Botschaft bzw. der Handlung. Statt des so banal erscheinenden, aus einer Wette entsprungenen Männertauschs, müssen Guglielmo und Ferrando diesmal tatsächlich in den Krieg ziehen.

Opéra national du Rhin/COSI FAN TUTTE/Foto @ Klara Beck

Das hochwertig gestaltete Bühnenbild nimmt das Publikum mit auf eine Reise durch die Lebenswelten der 20er und 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Angefangen beim beginnenden 20. Jahrhundert – William Morris Tapete der Art & Crafts Bewegung kleidet die Wände – wandelt sich das Bühnenbild nach den Qualen des 1. Weltkriegs hin zu einem Art déco der Roaring Twenties. In diesem Zeitraum geschieht dann auch der Partnertausch der Oper, diesmal in voller Absicht vollzogen und nicht als Verwechslungskomödie! Denn nach 10 Jahren Ehe und auf ewig geschworenem Liebesglück holt beide Paare der Alltag ein. „Ennui“, wie der Franzose sagt, versucht man sich eben in der sexuellen Freizügigkeit. Der zweite Aufzug strotzt vor Kupferketten und einer BDSM-Aura. Dieser müssen sich Dorabella und Fiordiligi erst öffnen, im Krieg und in der Liebe sei eben alles erlaubt! Sogleich folgt der 2. Weltkrieg, die Paare finden erst in der Nachkriegszeit der 1950er Jahre wieder zusammen: All die Errungenschaften sind verflogen, 12 Jahre NS-Zeit haben Europa zerrüttet!

Biedere Kleidung und rückschrittliche Frauenbilder mit traditioneller Rollenverteilungen prägen nun das gesellschaftliche Leben. „C’est la guerre, So ist es nun mal!“, bleibt das Ende der Oper diesmal offen.

David Hermann hat sich mit seiner Deutung einige Freiheiten erlaubt und damit eine interessante, ungewöhnliche und wagemutige Interpretation gefunden. Der Regisseur entfernt sich besonders im ersten Akt schnell von oberflächlicher Situationskomik und lässt stattdessen leichten Humor wie auch bitterernstes Grauen nebeneinander bestehen. So gibt es mit seiner Regie endlich einmal eine Mozart/Da Ponte-Inszenierung, die nicht auf Slapstick-Comedy oder oberflächlich-ästhetischer Langeweile beruht. Hermann hat als einer der wenigen Mozart-Regisseure tatsächlich etwas zu erzählen!

Opéra national du Rhin/COSI FAN TUTTE/Foto @ Klara Beck

Auch musikalisch ließ der Abend positiv aufhorchen. Die trockene Akustik in dem Théatre Municipal Colmar mit seinem schmalen Orchestergraben ist durchaus herausfordernd. Die geringe Nachhallzeit dieses kleinen Hauses lässt jeden Ton sogleich deutlich und prägnant erklingen. Duncan Ward am Pult des dünn besetzten Orchestre philharmonique de Strasbourg wusste den Klang jedoch gut proportioniert zu meistern. Wards Mozart war nicht heiter-spielerisch, vielmehr arbeitete er die ernsten und bedrohlichen Zwischentöne der Partitur heraus. Bei durchweg straffen Tempi verzichtete er auf Mozart’sche Verzierungen und wurde so der Dramatik von Hermanns Inszenierung gerecht. Mit präzisen Holzbläsereinsätze, bei pochend-temperamentvollen Grundrhythmus im Dirigat, ließe Ward auch im kleinen Theater die große Dramatik entstehen.

Allen voran brillierte Björn Bürger als Guglielmo mit temperamentvoll-leidenschaftlicher Darstellung und einer natürlichen, authentischen Bühnenpräsenz. Stimmlich ebenbürtig stand Jack Swanson in der Partie des Ferrando ihm zur Seite. Seine Tenorarie „Un‘ aura amorosa“ gestaltete Swansons im Angesichts des Krieges gar nicht so schmelzend-kitschig, sondern erfrischend straff und gefüllt mit Stolz, im Stil einer Hymne. Nicolas Cavallier gab einen kraftvoll-herben, sich gekonnt von den jüngeren Männern absetzenden und zum Nachdenken anregenden Don Alfonso. Lauryna Bendžiūnaitė zeigte in ihrer Darstellung als Despina eine unübertreffliche Ausstrahlung, die zuweilen die Rolle der Erzählerin einnahm. Sie bestach durch pointierte Gestaltung mit leichter Koketterie in der Stimme. Ambroisine Bré zeichnete in stimmlich intensiver und dramatischer Darstellung eine selbstbewusste Dorabella, die sich im Krieg behaupten konnte. Gemma Summerfield gab mit zarter, feinfühligerer Sopranstimme eine verletzbare Fiordiligi.

Bedauerlicherweise gastiert die Opéra national du Rhin nur selten im Théatre Municipal in Colmar. Es gilt den Besuch der weltberühmten Fachwerkstatt unbedingt vorab mit dem Opernspielplan abzustimmen!

 

 

 

 

 

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