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„Die Zauberin“ an der Oper Frankfurt: Unglück begleitet sie

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Nastasja träumt, die Fürstin wolle sie vergiften: Asmik Grigorian (r.) und Claudia Mahnke in „Die Zauberin“. Foto: Barbara Aumüller
Nastasja träumt, die Fürstin wolle sie vergiften: Asmik Grigorian (r.) und Claudia Mahnke in „Die Zauberin“. Foto: Barbara Aumüller © Barbara Aumüller

An der Oper Frankfurt gelingt eine szenisch und musikalisch triftige Wiederentdeckung von Tschaikowskis „Die Zauberin“.

Auch Peter Tschaikowskis selten, fast nie gespielte Oper „Die Zauberin“ enthält einen großen Moment für schüchterne Frauenherzen. Wie in „Eugen Onegin“ Tatiana die Blamage riskiert und in ihrem berühmten Brief dem Titelhelden einen Antrag macht, so wird auch Nastasja, Titelheldin in „Die Zauberin“, dem hübschen Juri ihre Liebe bekennen. Er will sie aus gewissen, etwas abwegigen Gründen ermorden (freilich sind alle Mordgründe etwas abwegig), sie geht darauf nicht weiter ein. Ihr Bekenntnis ist auch keine Taktik, was sie in Frankfurt besonders schön beglaubigen kann, weil sie Künstlerin ist und Bilder von ihm gemalt hat. Da sie außerdem umwerfend ist, ändert Juri seine Pläne komplett und will jetzt für immer mit ihr zusammenleben.

Das wird beiden nicht helfen, aber für den Moment ist das „Ich liebe dich“, das eine Frau einem Mann zuruft, eine Freiheit sondergleichen, die Freiheit des ungefragt ausgedrückten Gefühls – und dies, betont Ulrich Schreiber in seinem kurzen „Die Zauberin“-Lob in der „Kunst der Oper“, in einer Welt, in der der alte, zählebige russische Gesetzeskodex des „Domostroi“ noch verbreitet war und Frauen (wie Kindern, Gesinde, Vieh) ausschließlich Unterordnung abverlangte.

Da sollte man sich nicht zu sehr hineinsteigern, aber man muss schon sagen, dass es schwierig ist, sich nicht hineinzusteigern, wenn Asmik Grigorian es ist, die diese Liebe aus freien Stücken und mit ihrem makellosen, fein abgetönten Sopran hinaussingt. Nastasja, was für eine Partie für diese große Sängerdarstellerin. Mit erschütterndem Ernst und mitreißender Freundlichkeit wirft sie sich in die Rolle eines Menschen, der das Leben kennt. Und der eine Freiheit propagiert, die nicht ihrerseits Zwang ausübt (wie Carmens, zum Beispiel, Carmen wirkt im Vergleich überhaupt merkwürdig – kleinlich), sondern die großmütig und vernünftig ist. Es wird ihr nichts helfen, wie gesagt.

Asmik Grigorian ist ein Dreh- und Angelpunkt dieser aber auch ansonsten höchst facettenreich besetzten Aufführung, die – so erzählte es Intendant Bernd Loebe bei der Vorstellung der Spielzeitpläne – ihr eigener Vorschlag war. Ein toller Vorschlag. Im großen Ensemble ist sie die einzige, die ihre Rolle schon gesungen hat, aber die Begeisterung des Publikums sollte durchschlagend genug sein, um Nachahmungen anzuregen. Es gibt keinen Grund, schon wieder auf „Eugen Onegin“ zu setzen, wenn „Die Zauberin“, ein paar Jahre später, 1887, in Sankt Petersburg uraufgeführt, in den Blick genommen werden könnte. Tschaikowski mochte sie sehr.

Die Dramaturgie – Ippolit W. Schpaschinski hat das Libretto nach einem eigenen Theaterstück geschrieben – ist trotz einer im 15. Jahrhundert angesiedelten Handlung modern genug bis in diese Tage. Die Musik nutzt Kirchentöne und Volkstümliches, setzt den Chor breit und auch a cappella in Szene, aber das Größte ist das Private und Intime, die Seelennot, Liebe, Verzweiflung. Große einsame Auftritte mit empfindsamer Tschaikowski-Psychologie gibt es für alle zentralen Figuren: Nastasja selbst, die Witwe und Schankwirtin (in Frankfurt: Künstlerin), die Fürstin, die vor Eifersucht schier wahnsinnig wird, den Fürsten, dessen Begehren nach der schönen Witwe brutale Züge annimmt, der Fürstensohn Juri schließlich, der die Mutter schützen, die Ehe der Eltern retten und am Ende ebenfalls Nastasja will.

Die Fürstin wird Nastasja mit Gift töten, der Fürst bringt Frau und Sohn um. Das klingt krude und ist auch krude, aber auf dem Grauenhaftigkeitsniveau einer sogenannten Familientragödie, nicht eines Schauermärchens. Der Titel insofern irreführend: Die Magie der „Zauberin“ besteht nicht in Hexerei – was Nastasja sogleich unterstellt wird –, sondern ausschließlich in der Anziehungskraft der Freiheit, Klugheit, des Liebenswerten. In einer ausdrucksstarken Szene sieht man Asmik Grigorian, wie sie dem Fürsten, dem mit starkem, unruhigem Spiel und imposantem Bariton antretenden Iain MacNeil, ein Buch zeigt. Hat dieser Mann schon zuvor einmal im Leben ein wirklich interessantes Gespräch geführt?

Während der Zwischenspiele – und ohne sie zu stören, so flugs und unaufdringlich geht das vonstatten – lässt der russische Regisseur Vasily Barkhatov manchmal kurz den Vorhang hochgehen und zeigt einen solchen Moment aus dem Leben. Wie er die Handlung in unsere Zeit transportiert, funktioniert reibungslos. Vor der Pause ist es einleuchtend, nach der Pause bezwingend.

Nastasja ist an der Oper Frankfurt – und in der Frankfurter Erstaufführung des Werks – also eine Malerin. Zur Ouvertüre sieht man (auch das mit einem ausgezeichneten Gefühl für Zeit und Menge) Schnappschüsse aus ihrer ersten und offenbar missratenen Ehe. Ihre Kneipe ist nun eine Art Atelier- und Galerieloft, wo sich zu Beginn eine diverse, von Kirsten Dephoff opulent eingekleidete Gesellschaft versammelt hat. Die Frage, was Freiheit in Russland heute bedeutet, beantwortet Barkhatov damit eindeutig, alles Historisierende wäre in diesem Augenblick der Zeitgeschichte vielleicht auch einfach läppisch oder drückebergerisch.

Folklore ist in dieser Welt nur mehr bewusst gewähltes Dekor, eine riesige Wolfsskulptur, Babuschka-Objekte, deren Sargform zunehmend beunruhigend wirkt. Eine hippe Tanzeinlage (Gal Fefferman) schmucker Wolfsmaskentänzer zieht den Schurken des Abends, den intriganten Popen Mamyrov, frech ins Geschehen, Frederic Jost mit ehernem Bass. Eine gelungene Szene auch das, gerade weil sie nicht brachial ist. Ferner gibt es einen Kühlschrank-füll-dich mit genau einer offenbar schmackhaften Sorte von Büchsengetränk. Wäre das Schleichwerbung, würde sie voll aufgehen

Christian Schmidts Bühne kontrastiert all das mit der fürstlichen Welt, hier einem neureichen Ambiente mit pompös bürgerlichem, „Dallas“-haftem Mobiliar, dazu Ikonen und Sportpokalen. Der Sohn scheint ein erfolgreicher Boxer zu sein, Alexander Mikhailov zeigt einen sympathischen Mann mit stiller Würde und lässt bei seinem Hausdebüt einen markanten, warmen Tenor hören.

Alle Überspitzungen werden gemieden, klanglich wie szenisch. Dass zu Juris Leben tonnenweise dubiose Nahrungsergänzungsmittel gehören, wird ebenso wenig karikiert wie die Tatsache, dass die Fürstin eine Personal Trainerin hat (exemplarisch für die glanzvolle Besetzung auch der zahlreichen kleinen Rollen: Zanda Svede als Nenila, sportlich und stimmlich perfekt). Es darf trotzdem ruhig einmal gekichert werden – größte Freude im Publikum verursacht vor allem der wohlerzogene Familienschäferhund, schicken Sie ein Tier auf die Bühne und haben Sie die Menschen auf Ihrer Seite.

Aber die Fürstin selbst, Claudia Mahnke, ist wiederum vor allem eine zutiefst menschliche Figur, auch wenn sie im Glitzerkleid und mit rosa Topfhandschuhen die Suppe aufträgt. Die Tragik der nicht mehr geliebten Frau spiegelt sich in ihr und ihrem bis ins abgrundtief Herbe dramatischen Gesang. Die Oper Frankfurt kündigt „Die Zauberin“ zu Recht als Thriller an, aber es ist trotz erheblicher Schauwerte ein unendlich trauriger Thriller. „Unglück begleitet uns“, heißt es einmal.

Zwischen den beiden Sphären kann die Szene behende wechseln, bis die Räume nach der Pause in zunehmend surrealen Sequenzen zusammenfließen. Nastasjas Waldbild ist über die Wände gewuchert. Juris rasch entflammte Liebe wie auch der Giftmord durch die Fürstin werden zu einem Traum Nastasjas. Tatsächlich – als wäre es eine Vergeltung für Hunderte von TV-Krimimorden, die gegen alle Statistik Frauen begangen haben sollen – wird es in Frankfurt dann so sein, dass Nastasja wie geplant von Juri getötet wird, im Schlaf. Sein Vater übernimmt wie im Libretto den Rest, sein eigener Suizid misslingt, weil er anscheinend keine Kugel mehr im Lauf hat.

Damit blendet Barkhatov aus, dem es auf die lange Strecke – eine reine Spieldauer von gut drei Stunden – in verblüffendem Ausmaß gelingt, ins Erzählen zu kommen und doch der Musik allen Raum zu lassen. Besonders schön, weil das ja ein Oberthema ist: individuelle Freiheit, die nicht zugleich die Freiheit der anderen einschränkt. Valentin Uryupin dirigiert das blendend eingestellte Orchester durch eine sanft angeraute, Effekthascherei meidende Partitur, Tilman Michael hat den in der Intonationssicherheit besonders geforderten Chor gut präpariert. Premierenjubel für einen Abend, der sich in Ruhe entfaltet hat.

Oper Frankfurt: 11., 14., 18., 21., 30. Dezember, 8. Januar. www.oper-frankfurt.de

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