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Musikfestspiele
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Internationale Händel-Festspiele Göttingen
09.05.2024 - 20.05.2024

Sarrasine

Opern-Pasticcio in zwei Akten
nach der Novelle von Honoré de Balzac, Dialoge arrangiert von Laurence Dale
Musik von Georg Friedrich Händel (arrangiert von George Petrou)

In italienischer und französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h (eine Pause)

Welt-Premiere im Deutschen Theater Göttingen am 10. Mai 2024

 

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Zeitreise ins 18. Jahrhundert

Von Thomas Molke / Fotos: © Alciro Theodoro da Silva

Was macht man bei Festspielen, die dem Schaffen des Komponisten Georg Friedrich Händel gewidmet sind, wenn man alle erhaltenen Opern, die der Hallenser Komponist kreiert hat, bereits aufgeführt hat. Man könnte mit Neuinszenierungen wieder von vorne anfangen, oder man schafft etwas komplett Neues. Wie das bei einem Komponisten geht, der seit 265 Jahren tot ist, zeigt George Petrou, der künstlerische Leiter der Internationalen Händel-Festspiele Göttingen. Seit Jahren hat er Arien und Stücke gesammelt, die Händel aus anderen Werken wieder herausgenommen hat, da sie entweder nicht den Fähigkeiten der jeweiligen Solistinnen und Solisten entsprachen oder für andere Sängerinnen und Sänger angepasst werden mussten. Gemeinsam mit dem Regisseur Laurence Dale hat er daraus ein Pasticcio mit einer komplett neuen Handlung erstellt. Das Ergebnis Sarrasine ist nun als Welt-Premiere in Göttingen zu erleben.

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Honoré de Balzac (Sreten Manojlović) begehrt Madame de Rochefide (Myrsini Margariti).

Die Geschichte basiert auf einer weniger bekannten Novelle des Schriftstellers Honoré de Balzac aus dem Jahr 1830 und behandelt ein Thema, das in der heutigen Zeit hochaktuell erscheint. Der Erzähler, der in der Oper Balzac selbst ist, flirtet auf einem Ball im 19. Jahrhundert mit der berühmten Sopranistin Madame de Rochefide. Als sie eine Arie präsentieren will, wird sie von einem alten Greis unterbrochen, der ebenfalls versucht, dieses Stück anzustimmen, dabei aber kläglich versagt. Da Madame de Rochefide diesen Vorfall nicht versteht, tritt Balzac eine Zeitreise mit ihr nach Rom ins 18. Jahrhundert an, als die Kastraten große Erfolge auf den Opernbühnen feierten. Dort treffen sie auf einen Gesangsstar, der als Zambinella überwiegend in weiblichen Partien zu erleben ist. Ein junger französischer Bildhauer, Sarrasine, trifft in Rom auf diesen Zambinella. Da er als Franzose die Praxis des Geschlechtertausches nicht kennt, verliebt er sich Hals über Kopf in die großartige Sängerin und beschließt, ihr in Form einer Statue ein Denkmal zu setzen. Zambinella bleibt dem Drängen des jungen Mannes gegenüber zurückhaltend, da für ihn klar ist, dass der Bildhauer ihn nicht lieben würde, wenn er wüsste, dass er ein Mann ist. Doch Sarrasine gibt nicht auf, bis Balzac ihm schließlich auf einem Fest Zambinella in seiner wahren Gestalt vorführt. Es kommt zum Eklat, da Sarrasine nicht glauben will, dass Zambinella ein Mann ist. Er will die Statue und Zambinella zerstören, wird allerdings von Balzac daran gehindert. Madame de Rochefide erkennt an dem Soldatenhandschuh, den Zambinella bei diesem letzten fatalen Treffen trägt, dass es sich um den alten Greis handelt, der ihre Arie zu Beginn des Stückes unterbrochen hat.

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Der Kardinal (Florian Eppinger, Mitte rechts) präsentiert dem Volk (Kammerchor mit Marina Lara Poltmann, links, und Ronny Thalmeyer, rechts) Zambinella (Samuel Mariño, Mitte).

Für die Arie, die die ganze Katastrophe in Gang setzt, hat Petrou im Gegensatz zum Großteil der restlichen Musik ein sehr bekanntes Stück ausgewählt. Händel selbst hat es gleich dreimal verwendet, und es zählt heute zu den beliebtesten Stücken des Komponisten. Als Sarabande in seiner Oper Almira in Hamburg erklang es noch rein instrumental, bevor es in dem Oratorium Il trionfo del Tempo e del Disinganno mit dem Text unterlegt wurde: "Lascia la spina". Die allegorische Figur der Piacere versucht damit, Belleza auf ihre Seite zu ziehen und sich den Freuden des Lebens hinzugeben, anstatt sich der Vergänglichkeit des Lebens bewusst zu sein, wie es Tempo und Disinganno von Belleza verlangen. Für sein Debüt in London hat Händel diese Arie dann in seine Oper Rinaldo unter dem Titel "Lascia ch'io pianga" eingebaut. Hier ist es die Christin Almirena, die in sarazenische Gefangenschaft geraten ist und den Anführer der Sarazenen, Argante, bittet, ihren Tränen freien Lauf lassen zu dürfen. Da Sarrasine zum größten Teil in Rom spielt, arbeitet das Pasticcio mit der Fassung aus dem Oratorium, zumal es hier ein römischer Kardinal ist, der Zambinellas Sangeskunst für sich beansprucht und diese Arie als Lieblingsstück immer wieder für sich einfordert. Wenn Madame de Rochefide folglich auf dem Ball dieses Stück anstimmt, verwundert es nicht, dass dies in dem greisen Zambinella, der als uralter Mann ebenfalls anwesend ist, schmerzliche Erinnerungen weckt.

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Sarrasine (Juan Sancho) ist unsterblich in Zambinella (Samuel Mariño) verliebt.

Ein wenig verfremdend ist der Umgang mit den Rezitativen. Bekanntermaßen haben die Arien ja in der Barockoper einen retardierenden Moment und dienen dazu, die Affekte der Figuren möglichst eindrucksvoll darzustellen. Während die Arien, Duette und Ensembles nun in gewohntem Barockstil erklingen, hat Petrou keine Rezitative im Stil einer Barockoper komponiert. Teilweise werden gesprochene Texte über Instrumentalstücke gelegt, teilweise werden moderne, zeitgenössisch anmutende Klänge erzeugt, die deutlich machen sollen, dass es sich bei diesem Pasticcio nicht um ein originäres Barockwerk handelt. Zu Beginn des Abends ist man daher als Barock-Fan ein wenig in Sorge, wohin sich das entwickelt, da man schon musikalisch andere Erwartungen an eine Oper bei einem Barock-Festival hat. In Karlsruhe ist bei den Händel-Festspielen 2013 die Kombination eines Händel-Oratoriums mit einer zeitgenössischen Fortsetzung durch Gerald Barry alles andere als wohlwollend aufgenommen worden (siehe auch unsere Rezension). Das passiert in Göttingen aber nicht. Dafür sind diese "schrägen" Passagen zu kurz und der Rest der Musik zu versöhnlich und brillant, dass man diese kleinen Verfremdungen gerne in Kauf nimmt.

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Zambinella (Samuel Mariño, Mitte mit Florian Eppinger als Kardinal, rechts) und Ronny Thalmeyer als Viennese Fop, links) in seiner "wahren" Gestalt

Während das Bühnenbild von Giorgina Germanou eher bruchstückhaft die barocke Welt abbildet und damit die Zeitsprünge ermöglicht, schöpft sie bei den opulent angelegten Kostümen aus dem Vollen. Die Kleider und Perücken der Damen zeigen sowohl auf dem Ball zu Beginn der Geschichte als auch im Rom des 18. Jahrhunderts barocken Glanz vom Feinsten. Ganz besonders trifft dies natürlich auf Zambinella zu, der optisch als große Diva begeistert. Und auch stimmlich hat man mit dem Sopranisten Samuel Mariño eine optimale Besetzung für diese Partie gefunden. Mariño glänzt mit bruchlosen Höhen und setzt die Koloraturen so strahlend und leuchtend an, dass man sie nicht von einer weiblichen Stimme unterscheiden kann. Die Illusion scheint folglich perfekt zu sein. Auch in den leisen Tönen findet Mariño eine weiche Stimmfärbung, die unter die Haut geht. Da verwundert es nicht, dass Sarrasine begeistert ist und als Künstler in ihm ein perfektes Geschöpf sieht. Juan Sancho punktet in der Titelpartie mit frischem Tenor. Wunderbar malt er stimmlich die Leidenschaft, die der Bildhauer für Zambinella empfindet, aus. Umso enttäuschter ist er, wenn er erkennen muss, dass sich hinter der vermeintlichen Frau ein Mann verbirgt. Hier schlagen Sanchos Gefühle musikalisch in gefährlichen Zorn um, so dass Balzac der Geschichte ein Ende setzen muss, indem er ihn mit dem Schwert ersticht, das Sarrasine auf Zambinella gerichtet hat.

Myrsini Margariti begeistert als Madame de Rochefide mit strahlenden Höhen und klarem Sopran. Dabei zeigt sie auch komische Seiten, wenn sie nach der Pause mit der nicht mehr ganz nüchternen Madame de Lanty (Marina Lara Poltmann mit humorvollem Spiel) ein Trinklied anstimmt und die Hickser gekonnt in Koloraturen überträgt. Sreten Manojlović stattet den Erzähler Balzac mit profundem Bass-Bariton aus. Auch die Sprechrollen, die mit Ensemble-Mitgliedern des Theaters Göttingen besetzt sind, setzen Akzente. Da ist zunächst Florian Eppinger als bedrohlicher Kardinal zu nennen, der sehr deutlich macht, dass Zambinella "sein Geschöpf" ist, das er sich nicht von dem verliebten Bildhauer Sarrasine nehmen lässt. Auch wenn jemand anderes Anspruch auf seine Lieblingsarie erhebt, zeigt er sich sehr ungehalten. Ronny Thalmeyer gestaltet den Viennese Fop als eine Art Narren, für den das ganze Leben nur ein Spiel ist. Der Kammerchor der Universität Göttingen unter der Leitung von Antonius Adamske rundet das Ensemble als Gesellschaft mit zahlreichen Choreinlagen und intensivem Spiel überzeugend ab. George Petrou gelingt es, die Musik, die aus so unterschiedlichen Werken wie Almira, Giulio Cesare in Egitto, Ottone, Lucrezia, Agrippina, Atalanta, Tamerlano, Alcina, Scipione und Hercules stammt, um nur einige zu nennen, zu einem einheitlichen Ganzen zu verbinden und zu einer komplett neuen Geschichte zusammenzusetzen. Das FestspielOrchester Göttingen folgt ihm dabei präzise. So kann der Abend nicht nur musikalisch auf ganzer Linie überzeugen und wird mit großem Jubel bedacht.

FAZIT

George Petrou setzt die größtenteils unbekannte Musik Händels zu einer hochaktuellen neuen Oper zusammen. Es bleibt abzuwarten, ob dieses Stück auch weitere Bühnen zur Aufnahme in den Spielplan bewegt.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
George Petrou

Regie
Laurence Dale

Bühnenbild und Kostüme
Giorgina Germanou

Choreographie
Carmine de Amicis

Einstudierung Unichor
Antonius Adamske

Licht
John Bishop



FestspielOrchester Göttingen

Kammerchor der
Universität Göttingen

 

Solistinnen und Solisten

Mme de Rochefide
Myrsini Margariti

Zambinella
Samuel Mariño

Sarrasine
Juan Sancho

Balzac
Sreten Manojlović

Mr de Lanty / Cardinal
Florian Eppinger

Viennese Fop
Ronny Thalmeyer

Mme de Lanty
Marina Lara Poltmann

 

Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
Händel-Festspiele Göttingen
(Homepage)



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