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Hoffmanns Erzählungen

Fantastische Oper in fünf Akten
Libretto von Jules Barbier nach dem Drama von Jules Barbier und Michel Carré
Fassung von Michael Kaye und Jean-Christoph Keck
Musik von Jacques Offenbach

In französischer und deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 40' (zwei Pausen)

Premiere im Opernhaus Wuppertal am 18. September 2016


Wuppertaler Bühnen
(Homepage)
Hoffmann mit vier Regie-Handschriften


Von Thomas Molke / Fotos: © Jens Großmann

Nachdem der neue Intendant der Wuppertaler Oper, Berthold Schneider, die Spielzeit am Samstag mit der Video-Oper Three Tales von Steve Reich und Beryl Korot eher experimentell eingeläutet hat (siehe auch unsere Rezension), geht es direkt einen Tag später mit einem Klassiker des Opernrepertoires weiter, der alles andere als konventionell präsentiert wird. Zwar bietet die fantastische Oper Les Contes d'Hoffmann, die Offenbach durch seinen Tod 1880 unvollendet hinterließ und die postum zahlreiche Umarbeitungen erfahren hat, so dass sich jede Bühne aus den Fassungen von Michael Kaye, der die Quellen der Pierpont Morgan Library in New York betreut, und Jean-Christophe Keck, der Manuskripte aus diversen Pariser Archiven zusammengeführt hat, eine eigene Version stricken kann, schon per se großen Spielraum, was die Gestaltung der Inszenierung betrifft. Aber das reicht Schneider für den Spielzeitauftakt noch nicht aus, und so übergibt er die Produktion in die Hände von vier unterschiedlichen Regisseuren, die jeweils eine Erzählung Hoffmanns (Akt 2 bis 4) beziehungsweise die Rahmengeschichte in Luthers Weinstube (Akt 1 und 5 beziehungsweise Prolog und Epilog) bearbeiten. Als weitere Besonderheit lässt er auch noch mit Lucia Lucas einen weiblichen Bariton auftreten, so dass es wirklich genügend Gründe gibt, gespannt auf diesen Neuanfang an der Wupper zu blicken.

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Hoffmann (Mickael Spadaccini) und die Muse (Kerstin Brix) in Luthers Weinkeller (im Hintergrund: Nathanael (Sangmin Jeon, links) und Wilhelm (Simon Stricker, rechts))

Wer besorgt ist, dass die vier unterschiedlichen Regie-Handschriften wie beim letzten Ring des Nibelungen im Aalto Theater das Stück möglicherweise zerfasern, kann beruhigt werden. Charles Edwards, Nigel Lowery, Christopher Alden und Inga Levant haben ihre Konzepte gut aufeinander abgestimmt, so dass ein durchgängiger roter Faden im Stück erkennbar bleibt. Wer allerdings auf eine klassische Umsetzung hofft, dürfte enttäuscht werden, da die Suche nach einer Neudeutung dazu führt, dass vieles anders ist, als man es aus dem Libretto kennt oder zu kennen glaubt. Zunächst einmal wird die Rolle der Muse von der des Nicklausse getrennt, wie es wohl auch in der Urfassung von Offenbach angelegt war. Kerstin Brix verkörpert die Muse als Theaterdramaturgin, die vor der Vorstellung in einer Video-Einspielung Sara Hershkowitz als Stella in der Garderobe interviewt, um dann vor den eisernen Vorhang zu treten und dem Publikum mehr schlecht als recht eine Einführung in das Leben E.T.A. Hoffmanns zu geben. Dabei gibt sie sich mit bitterem Zynismus sehr schnell dem Alkohol hin und torkelt schließlich angetrunken von der Bühne durch den Zuschauerraum ins Foyer, was dann wieder in einer Video-Projektion eingefangen wird, um an der Theke im Foyer für einigen Wirbel zu sorgen, bevor sie dann nach dem Auftritt der zechenden Studenten, Hoffmann mit einer Aldi-Tüte in der Hand auf die Bühne schleppt. Brix verbreitet dabei beißende Komik, auch wenn dem einen oder anderen Besucher die Szene ein wenig zu platt oder klamaukig erscheinen mag. Während Brix und der Herrenchor die Texte auf Deutsch sprechen beziehungsweise singen, redet und singt Hoffmann von Anfang an Französisch, um ihn aus der Masse herauszuheben. Wieso der Stadtrat Lindorf, der mit Hoffmann um die Gunst Stellas buhlt, als Stadträtin in eng sitzendem Politikerinnen-Kostüm auftreten muss, erschließt sich nicht wirklich. Zwar bleibt Lucia Lucas damit trotz der Bariton-Stimme Frau. Aber für die Rivalität um die Sängerin Stella bringt dieser Ansatz gar nichts.

Musikalisch glänzt Mickael Spadaccini im ersten Akt mit enormen stimmlichen Reserven bei seiner berühmten Ballade von Klein-Zack. Brix bekommt die Übergänge vom Sprech- zum klassischen Operngesang im ersten Akt nicht immer ganz sauber hin. Lucia Lucas verfügt als Stadträtin Lindorf über einen profunden Bariton, den sie mit ausdrucksstarkem Spiel von der Loge auf der linken Seite einsetzt. David Parry fängt mit dem Sinfonieorchester Wuppertal einen frischen Offenbach-Klang ein, der bei den Bläsern nicht immer ganz sauber klingt. Die Herren des Opernchors gefallen musikalisch als Studenten ebenso wie Sangmin Jeon als Nathanael, Simon Stricker als Wilhelm und Sebastian Campione als Wirt Luther. Die Trinkrituale mit dem gewaltsamen Abfüllen einzelner Studenten ist dabei allerdings Geschmacksache.

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Olympia (Sara Hershkowitz) außer Rand und Band (links: Nicklausse (Catriona Morison), rechts: Spalanzani (Sangmin Jeon), im Hintergrund: Opernchor)

Beim folgenden "Olympia"-Akt übernimmt nun Nigel Lowery die Regie und zeichnet auch für die Bühne und Kostüme verantwortlich. Als Hintergrund wählt er eine düstere Häuserfront, die an eine unheimliche Großstadt in der Zeit alter Gruselfilme erinnert. So sieht man Mark Bowman-Hester als buckeligen Diener Cochenille Frauenleichen auf weißen Leinentüchern in das Haus Spalanzanis ziehen, die dieser dann wie Dr. Frankenstein zu neuen Wesen zusammenzusetzen scheint. So ist Olympia kein Automat im eigentlichen Sinne, sondern ein aus Leichenteilen zusammengesetzter neuer Mensch, der mit einer neuen Hand, die Cochenille gerade von einer Leiche abgesägt hat, als neue Errungenschaft in einer Gesellschaft präsentiert wird, die sich aus Kurtisanen und ihren Freiern zusammensetzt. Lucia Lucas schleicht als finsterer Coppelius wie eine Art schwarzer Vampir über die Bühne und hat Olympia wohl nicht nur die Augen gegeben, sondern sie auch mit einem unstillbaren Durst für Blut ausgestattet, so dass sie die sie betrachtenden Männer, wenn sie ihr zu nahe kommen, gerne anfällt und beginnt auszusaugen. Warum der Dialog von Lucas als Coppelius und Jeon als Spalanzani im Flüsterton angesetzt wird, den man bis in die neunte Reihe nicht ansatzweise verstehen kann, erschließt sich nicht. Dank der Übertitel kann man aber nachlesen, worüber sich die beiden unterhalten.

Da Olympia keine Aufziehpuppe darstellt, legt Sara Hershkowitz die berühmte Arie "Les oiseaux dans la chamille" keineswegs so künstlich an, wie sie wohl ursprünglich gedacht ist. Dabei überzeugt sie aber mit klaren und sauber angesetzten Höhen, die durchaus dem wirren Temperament der Figur entsprechen. Bisweilen klingen die Töne auch so scharf wie ihre Zähne, mit denen Olympia den einen oder anderen Gast beißt. Der Tanz, mit dem sie Hoffmann an den Rand der Erschöpfung bringt, wird hier zu einem sexuellen Akt, bei dem angedeutet wird, dass sie ihn entmannt. Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Komik, wenn Catriona Morison anschließend als Nicklausse den Boden um das Bett absucht. Die Figur des Nicklausse wird in dieser Geschichte übrigens keineswegs logisch eingeführt. In den Gesichtszügen und der Maske erinnert er noch ein wenig an die Muse aus dem ersten Akt. Diese Parallele wird dann aber in den beiden folgenden Teilen komplett aufgehoben. Im nächsten "Antonia"-Akt schlüpft Morison nämlich in die Rolle der verstorbenen Mutter. Die Muse zieht sie an einem Seil als blass geschminkten Engel mit einem Flügel in einem weißen, antik anmutenden Gewand herein und bindet sie an einem Stuhl fest.

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Die Stimme der Mutter (Catriona Morison) im "Antonia"-Akt als gefallener Engel

Das Bühnenbild für den "Antonia"-Akt besteht aus einem weiß-grauen Raum, in den nur eine Klappe aus dem Boden führt. Sebastian Campione thront über diesem Raum und arbeitet an seiner Geige, die er nicht nur seiner geliebten Tochter Antonia widmen will, sondern sie wohl auch nach ihr gestaltet. So scheint er mit der Geige auch den Körper seiner Tochter zu berühren. Jedenfalls windet sich Hershkowitz als Antonia auf der Bühne, während Campione die Geige liebkost. An der Wand prangt zunächst eine Schrift, die gemahnt, dass Antonie nie die Stimme zum Gesang erheben soll. Sobald sie dies tut, erscheinen rote Blutspritzer auf der Wand, die von Mark Bowman-Hester in der komisch angelegten Partie des Dieners Frantz mit großer Mühe wieder abgewischt werden. In diese Welt dringt nun "Frau" Dr. Miracle ein, um Antonia "zu heilen". Lucas durchbricht die Wand und symbolisiert in breiter schwarzer Robe den bevorstehenden Tod. Die Muse setzt nun auch den "gefallenen Engel" frei, so dass Antonia unaufhaltsam ihrem Untergang entgegenstrebt und in der Luke im Bühnenboden versinkt. Hershkowitz begeistert als Antonia mit lyrischem Sopran, und Morison begeistert als Stimme der Mutter mit warmem Mezzo.

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Giulietta (Sara Hershkowitz) raubt Hoffmann (Mickael Spadaccini) auf Befehl Dapertuttos (Lucia Lucas, im Hintergrund) sein Spiegelbild.

Während Christopher Alden im "Antonia"-Akt einen beinahe schon konventionellen Ansatz wählt, verlegt Inga Levant den folgenden "Giulietta"-Akt von Venedig in die Irrenanstalt. Zu den weichen Klängen der Barcarole pusten der Opern- und Extrachor der Wuppertaler Bühnen mit weißen Masken Seifenblasen über die zahlreichen Badewannen auf der Bühne und vergnügen sich anschließend mit einer "Reise nach Jerusalem" auf den weißen Stühlen der Anstalt, während Hoffmann mit dem Rivalen Schlemil (Simon Stricker mit kräftigem Bariton) nicht Karten spielt, sondern ein Wagenrennen à la Ben Hur imitiert. Dapertutto als Nonne macht genauso wenig Sinn wie die Prostituierte Giulietta, die sich vom Blumenmädchen in eine Krankenschwester in knallrotem Lack und Leder verwandelt. Morison bleibt in der Personenregie als Nicklausse erneut blass, da gar nicht klar wird, welche Funktion diese Figur in dieser Geschichte eigentlich haben soll. Szenisch werden hier mehrere Versionen verquickt. Zum einen tötet Hoffmann Schlemil, bevor er sein Spiegelbild an Giulietta verliert. Dann enthauptet er auch noch Giuliettas Geliebten Pitichinaccio, der in einer grauen Zwangsjacke durch das Bühnenbild läuft.

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Apotheose Hoffmanns (Mickael Spadaccini, rechts vorne) im letzten Akt (in der Mitte: Catriona Morison)

Musikalisch stimmen Hershkowitz und Morison mit lyrischem Sopran und warm-timbriertem Mezzo eine bewegende Barcarole an. Lucas begeistert stimmgewaltig bei Dapertuttos großer Spiegelarie, in der dieser Giulietta überredet, Hoffmanns Spiegelbild zu stehlen, und auch Spadaccini klingt immer noch frisch, wenn er zu seiner großen Arie im vierten Akt ansetzt, in der er den flüchtigen Genuss der sinnlichen Lust preist. Das Spiegelbild wird dann gewissermaßen unter einer Dusche abgewaschen beziehungsweise mit einem Eisenschaber abgekratzt. Von dort geht es dann wieder zurück in den Weinkeller. Brix erläutert als Muse, dass alle drei Frauen eigentlich für Stella stehen, die nun auftritt und mit der Stadträtin Lindorf die Bühne verlässt, während die letzte Strophe von Klein-Zack aus einem Kassettenrekorder ertönt. Als die Muse den Stecker zieht, erwürgt Hoffmann sie. Somit hat sie ihn also am Ende nicht gewonnen. Stattdessen treten zur Apotheose Figuren aus allen Erzählungen auf, die Hoffmann in eine andere Welt entführen, allen voran Morison als Engel. Soll hier am Ende vielleicht doch noch eine Verbindung zwischen Muse und Nicklausse hergestellt werden?

Die Solisten werden vom Premierenpublikum mit tosendem Beifall überschüttet, in den sich auch das Regie-Team einreiht. Der von Jens Bingert und seinem Nachfolger Markus Baisch einstudierte Opern- und Extrachor präsentieren sich spielfreudig, haben aber beim "Olympia"-Akt leichte Abstimmungsschwierigkeiten mit dem Orchester.

FAZIT

Alles in Allem kann man in Wuppertal mit diesem Auftaktwochenende mehr als zufrieden sein. Die neuen Ensemble-Mitglieder Catriona Morison, Sangmin Jeon, Sebastian Campione, Simon Stricker und Mark Bowman-Hester präsentieren sich vielversprechend und lassen auf eine gute Zukunft mit einem neuen Solisten-Ensemble hoffen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
David Parry

Regie und Bühne (Prolog)
Charles Edwards

Regie, Bühne und Kostüme (Olympia)
Nigel Lowery

Regie (Antonia)
Christopher Alden

Regie (Giulietta)
Inga Levant

Bühne und Kostüme (Giulietta)
Petra Korink

Kostüme (Prolog, Antonia, Epilog)
Doey Lüthi

Chor
Markus Baisch /
Jens Bingert

Dramaturgie
Jana Beckmann

 

Sinfonieorchester Wuppertal

Opernchor und Extrachor der
Wuppertaler Bühnen

Statisterie der Wuppertaler
Bühnen


Solisten

Olympia / Antonia / Giulietta / Stella
Sara Hershkowitz

Die Muse
Kerstin Brix

Nicklausse / Die Stimme der Mutter
Catriona Morison

Hoffmann
Mickael Spadaccini

Lindorf / Coppelius / Dr. Miracle / Dapertutto
Lucia Lucas

Nathanael / Spalanzani
Sangmin Jeon

Luther / Crespel
Sebastian Campione

Wilhelm / Schlemil / Hauptmann
Simon Stricker

Cochenille / Frantz / Pitichinaccio
Mark Bowman-Hester

Hermann
Andreas Heichlinger


Weitere Informationen
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Wuppertaler Bühnen
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