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Der Freischütz. Premiere 4. März 2017 // Thomas Mohr (Max) & Verena Hierholzer (Samiel) © Ida Zenna
Der Freischütz. Premiere 4. März 2017 // Thomas Mohr (Max) & Verena Hierholzer (Samiel) © Ida Zenna
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Den Wald gibt es schon wieder nicht – Webers „Der Freischütz“ an der Leipziger Oper

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Die letzte Produktion von Webers „Der Freischütz“ an der Oper Leipzig hatte wenig Glück, bemängelt wurden an der Inszenierung von Guy Joosten zu viel „Schlachthaus“ und „Rotlichtmilieu“. Für die Neuproduktion verspricht die Oper Leipzig jetzt Naturromantik, Liebesromantik, Schauerromantik – versetzt ist dieser Prüfstein der Musiktheater-Regie von „kurz nach Beendigung des dreißigjährigen Kriegs“ beim Textdichter Friedrich Kind in das Jahr 1919, nach dem ersten Weltkrieg. Christian von Götz, mehrfach von der Zeitschrift „Opernwelt“ für Auszeichnungen nominiert, nennt als ihn umtreibende Zentralaspekte „Hexensabbat“, „Teufelspakt als Phantasieprodukt“ und „Dreieckverhältnis“.

Die Jägerbraut Agathe poliert sorgfältig und ausdauernd einen Gewehrlauf, die geweihten Rosen stehen bereit. Bei Christian von Götz wird sie von der visionär Übersensiblen zur etwas beherzteren Frau, die mit lärmenden Volksvergnügungen absolut nichts anzufangen weiß. Stumm sitzt sie beim Schützenfest daheim und am Ende schließt sich hinter ihr die Tür. Max bleibt nach dem eskalierten Probeschuss mit geplatzten Hoffnungen auf Agathe und ihre Mitgift ganz allein, verlassen genauso von Jägergefährten, Erbförster Kuno und Fürst Ottokar. Doch schon davor hat Agathe mit dem vorbestimmten Verlobten eher wenig zu schaffen. Ihre Freundin Ännchen kramt zur Polonaise vom „schlanken Bursch“ einen Knabenakt in Postergröße unterm Neorokokobett hervor, den sie als Komplizin der Braut bei Max‘ spätem Besuch im auf Art-Déco renovierten Damenschlafzimmer von der Wand reißt. Davor geht Kilians provokativer Schuss Richtung Maßkrug auf dem Kopf einer Frau, die benommen davonwankt.

Zu Marsch, Ländler und Tabledance wirbeln rote und grüne Festtagsschürzen. Alle kriegsbedingten Zerstörungsspuren hat man feinsäuberlich weggeputzt aus der riesigen Scheune, in deren frisch getünchten Mauern Dieter Richter eine beeindruckende Eisengalerie setzt. Mit Prunktrachten und Jägerhüten zaubert Jessica Karge Ausgelassenheit zu Wein, Weib, Gesang – für Sachsen ist „Der Freischütz“ ja ein Fast-Regionalfestspiel. Wohl auch dafür gibt es zum „schönen grünen Jungfernkranz“ ein spontanes Bravo. Alexander Stessin zeigt das Gütesiegel des Opernchors vom anfänglichen „Viktoria“ bis zum Schlussgebet: Schöne und vitale Pracht, als ginge es gleich zur „Verkauften Braut“ ins Nachbardorf.

Die Nachtseite ist kurz, aber dafür umso beeindruckender und heftiger. Nicht nur in der wirklich gelungenen Wolfschlucht-Szene – jetzt glimmert aus der Scheune fahles Türkis – bleibt Teufelshelfer Samiel in vielerlei Gestalt allgegenwärtig: Schöne Braut, tote Maid, schaurige Leiche… Verena Hierholzer flüstert die bedrohlichen Rufe nur und sie sind so grausig gesampelt, dass es über Webers genialer Instrumentation mehrstimmig plärrt. Zum Steinerweichen. Kaspar muss sich übergeben, wenn ihn der Schwächling Max vor den vervielfachten Samiels mit Gewehrschüssen attackiert, immer wieder. Kaspar begehrt von der ausweichenden Agathe einen Kuss und robbt verblutend auf sie zu. Das sagt mehr als alle Worte. Dieser Kaspar ist das beseelende Herz der Inszenierung und sein Sängerdarsteller Tuomas Pursio, für ihn bereits die vierte Produktion mit dieser Rolle, auf der Bühne der wichtigste Mitspieler von Opernkapellmeister Christoph Gedschold. Mit kleinen Bewegungen umreißt Tuomas Pursio das ganze große Schicksal eines Kriegsheimkehrers und Verlierers. Gestochen scharf sitzen bei ihm die Skalen der „Schweig!“-Arie, forcierte Dämonie hat er nicht nötig.

Mit einem starken, stimmigen, auch herzlichen Gestaltungswillen holen Christoph Gedschold und die von ihm immer weiter gereizten Musiker alle denkbaren Schärfen aus der Partitur. Jedes Solo, jede Hörnerinnigkeit, jedes Posaunendrohen, jeder Wechsel von Tutti-Stößen zu Streicherweben sind sekundenkurze Minidramen für sich. Der Schönklang des Gewandhausorchesters macht bewundern durch Aggressionsschübe in hier genau richtigen Momenten.

Vom Leipziger „Götterdämmerung“-Siegfried findet Thomas Mohr zum Jägerburschen Max, er zeigt ihn als Opfer von Versagenskrisen mit Riss zwischen Baritonfundament und kräftigem Tenorstrahl. Die Angst des Schwächlings, den es nach verordnetem Brautentzug mit Probejahr wie Kaspar zuvor zur grausamen Überfrau Samiel drängt, wird vor allem musikalisches Ereignis. Ebenso die Beschwichtigungsfloskeln des hier weniger wirbeligen als resoluten Ännchens. Magdalena Hinterdobler bleibt den Sangesfluten Agathes bemerkenswert dicht auf der Spur und kontert ebenbürtig mit sinnfällig geschärften Spitzentönen. Der neue Ensemblesopran Gal James macht Agathes „stille Weise“ zum fülligen Bravourakt und Zeitstopper. Das Drama ragt aus den drangvollen Gesten des Orchesters. Das zeigt sich auch beim Eremiten, den Rúni Brattaberg als mit Obrigkeiten paktierenden und polternden Landpfarrer spielt. Erst recht beim Jägerchor, vor dessen Glanz und Gläseranstoßen Jonathan Michie als Machtzombie Ottokar blass bleiben muss. Und Jürgen Kurth als Erbförster Kuno zieht es, so scheint es, weit mehr in die Amtsstube als in den hier nur als kahlen Holz- und Wurzelhaufen sichtbaren Wald. Genau: Den Wald, heimlicher Protagonist des „Freischütz“ in Wort und Ton, gibt es schon wieder nicht. Dankbar langer Applaus.

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