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Die Unerlösten

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Astrid Weber als Darmstädter Senta. Foto: Wolfgang Runkel
Astrid Weber als Darmstädter Senta. Foto: Wolfgang Runkel © Wolfgang Runkel

Dietrich W. Hilsdorfs "Fliegender Holländer" geht erneut an Land.

Nicht gerade vor sieben, aber doch vor fünf Jahren inszenierte Dietrich W. Hilsdorf diesen „Fliegenden Holländer“ an der Oper Köln, ein Publikumstriumph just zu der Zeit, als die Verantwortlichen in der Stadt sich unheimlich dumm mit dem künstlerisch erfolgreichen Intendanten Uwe Eric Laufenberg anlegten. Nun ist Laufenberg nebenan in Wiesbaden engagiert, während Hilsdorf für das Staatstheater Darmstadt die Produktion reanimierte. Dass sie über die Jahre an Spannung verloren hat, ist gewissermaßen ein Holländer-Problem, auch er muss sich Mühe geben, erneut seine Chance einigermaßen schwungvoll zu nutzen. Es liegt aber wohl tatsächlich vor allem daran, dass in Köln so exzellent gesungen wurde – nicht umsonst marschierte Samuel Youn in der Titelpartie direkt nach Bayreuth weiter, um dort die in der Hakenkreuz-Tätowierungs-Affäre im letzten Moment vakant gewordene Jewgeni-Nikitin-Position einzunehmen (was wieder daran erinnert, dass Musiktheater mit etwas Pech eine Kette der Skandale und Missgeschicke ist). Darstellerisch war Hilsdorfs Regie wie für ihn gemacht, ein mächtiger asiatischer Dämon brach hier ins biedere Kacheldekor- und Teekännchen-Bürgertum ein.

In Darmstadt stellt es sich gedämpfter dar. Das Konventionelle, das Hilsdorf in Köln zu einer atemberaubenden Erzählstrecke gefügt hatte, war jetzt doch – konventionell (trügt das Gedächtnis, war die Lichtregie raffinierter?). Dieter Richters Bühne arbeitet mit dem Gegensatz zwischen dem steilen, lichten Innenraum und der buchstäblich auf der anderen Seite befindlichen dunkel aufgewühlten See. In der Bildmitte eine ungeheure Welle, bei näherer Hinsicht ein Wellenungeheuer. Geschickt wird die Anwesenheit eines Schiffes imitiert. Der prächtig vorbereitete Herrenchor zerrt nautisch vermutlich sinnlos an einem Tau. Der Segler des fliegenden Holländers kündigt sich durch ein – Musik und Fantasie tun ein übriges – schauriges rotes Blinklicht an. Dann fällt schon eine Gangway herunter. Das muss ein Riesenschiff sein, größer als Dalands, der stimmlich allerdings bei Seokhoon Moon zu beträchtlicher, dazu wendiger Form ausläuft. Das Drinnen der züchtigen Hausfrau birgt eine fantastische Spinn-Maschine, die reichlich Beschäftigung bietet.

In dieser nicht realistischen, aber plausiblen Umgebung lädt Hilsdorf (unterstützt von der regelmäßig am Staatstheater Wiesbaden aktiven Beka Savic als Co-Regisseurin) den Figuren nicht unkomplizierte Gefühlswallungen auf. Darstellerisch kommt damit am besten Astrid Weber zurecht, eine wunderbar unzweiflerische, ungemein guter Dinge Richtung Tod blickende Senta, die zugleich sehr jung und menschlich wirkt. Unter dem Druck ihres zukünftigen Ex, des glücklosen Jägers Erik, wird sie geradezu zermahlen. Das ist Marco Jentzsch, ein Baum von einem Mann mit einem Tenor zum Jubeln, und so stellte es sich beim Schlussbeifall dann auch dar. Weber, gellend in den Spitzentönen und am Ende auch etwas instabil, bietet aber eine fein nuancierte Ballade. Die blasseste Figur ist Krzysztof Szumanskis Holländer, darstellerisch defensiv, stimmlich nicht überfordert und doch ohne überzeugende dramatische Durchschlagskraft.

Da es im Kern des Geschehens nicht gerade lodert, sind auch Hilsdorfs Zusatzeinfälle zwar reizvoll an einem ohnehin unlangweiligen (und ohne Pause gespielten) Abend. Aber sie bleiben jeweils ein bisschen für sich. Der Steuermann (Michael Pegher mit funkelnden, feinsten Höhen) wird zum Bier von den Kollegen zusammengeschlagen. Das oder Ähnliches ist gelegentlich zu sehen, aber triftiger wird es dadurch nicht. Man interessiert sich auch dafür, dass hier die scheinbar so brave Mary, Elisabeth Hornung, offenbar ebenfalls eine Rechnung mit dem Holländer hat, eine umso gescheitere Idee, als Senta ja von ihr die Ballade kennt. Aber der Reiz läuft ins Leere. Isoliert bleibt Holländers mysteriöse Begleiterin, ein hermaphroditischer Doppelkopf. Mit Blick auf ihren ersten Auftritt muss es sich um den gepries’nen Engel Gohottes handeln. Übersichtlich fällt der kurze Zombieauftritt der frauenstehlenden Holländer-Geister-Mannschaft aus, während aus Lautsprechern der zugehörige Gespensterchor dröhnt. Auch die Frauen sind nachher alle wieder da und wohlauf. Mit der Erlösung wird es aber nicht funktionieren.

Das straffe Dirigat von Will Humburg hält zusammen, was ein ambivalenter, aber nicht fader Gesamteindruck bleibt. Der Orchesterpart ist überzeugend, nicht derb, aber knackig. Die irritierenden rhythmisch knarrenden Nebengeräusche konnte Intendant Karsten Wiegand damit erklären, dass kurz vor der Premiere der Boden des Orchestergrabens versehentlich gestaucht und in der Eile zu notdürftig repariert worden war. Ein einmaliger Fall, betonte er. Opernmusiker brauchen und haben erfahrungsgemäß Nerven wie Stahl.

Staatstheater Darmstadt:
8., 21. September, 1., 4., 14. Oktober.
www.staatstheater-darmstadt.de

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