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Cherubinis „Medea“ an der Staatsoper Stuttgart

Kultur / Lesedauer: 4 min

Peter Konwitschny inszeniert Cherubinis „Medea“ an der Staatsoper Stuttgart
Veröffentlicht:04.12.2017, 18:30

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Zweieinviertel Stunden dauert die neue Produktion von Luigi Cherubinis Musikdrama „Medea“ an der Staatsoper Stuttgart. In Peter Konwitschnys Inszenierung wird der Dreiakter ohne Pause durchgespielt. Nach der Premiere gab es rauschenden Beifall, aber auch einige Buhrufe für das Regieteam. Frenetisch gefeiert wurde vor allem das Gesangsensemble. Auch der argentinische Dirigent Alejo Pérez, das von ihm geleitete Staatsorchester und der von Christoph Heil vorbereitete Chor wurden mit uneingeschränktem Applaus bedacht.

Cherubinis „Médée“ wurde 1797 in Paris aus der Taufe gehoben. Am Ulmer Theater kam im vergangenen Jahr diese französische Urfassung auf die Bühne. Anstelle der originalen Sprechdialoge wurden allerdings neu komponierte Rezitative verwendet. Achim Freyer hat bei seiner vielgerühmten Mannheimer Inszenierung vor elf Jahren bewusst auf die alte deutsche Übersetzung des „Fidelio“-Librettisten Treitschke gesetzt. In Stuttgart wird die Oper mit modernem deutschem Text gesungen.

François-Benoit Hoffmans Libretto erzählt von der kolchischen Königstochter und Zauberin Medea, die in ihrer Heimat Jason beim Raub des Goldenen Vlieses unterstützt hat. Für ihre Liebe nahm sie sogar den Mord an ihrem Bruder in Kauf, floh mit dem Fremden nach Korinth und heiratete ihn dort. Nun wirbt der karrieregeile Gatte um Kreusa, die Tochter des korinthischen Königs Kreon. Medea will er verlassen, die gemeinsamen Kinder aber in seine neue Ehe mitnehmen. Die leidenschaftliche, in ihrem Stolz verletzte Frau rächt sich grausam, indem sie ihre Söhne und die Nebenbuhlerin tötet.

Die Stuttgarter Produktion stützt sich musikalisch auf die kritische Ausgabe der Originalfassung. Werner Hintze und Bettina Bartz (Dramaturgie) haben dafür eine neue deutsche Übersetzung der Texte erstellt. Die zeitgeistig saloppe Einrichtung der Dialoge stammt von Konwitschny. Zur ausgedehnten Ouvertüre sehen wir auf dem Vorhang, wie unter blauem Himmel das Meer an Korinths Strand brandet. Dann wird Kreusa in einer schäbigen, bis an die Decke weiß gefliesten Küche widerwillig von beschwipsten Brautjungfern geschmückt (Bühne und Kostüme: Johannes Leiacker).

Die Tochter Kreons ahnt Unheil. Ihr Vater hat sie zu dieser Hochzeit abkommandiert. Als schräger Boss einer Gyros-Mafia mit schriller Brille und weißem Anzug stürmt er herein. Zwei finstere Bodyguards weichen ihm nicht von der Seite. Eine johlende, grellbunt gekleidete Meute von Gefolgsleuten drängt nach. Alkohol fließt in Strömen. Kreon lässt sich von zwei Callgirls verwöhnen, herrscht Kreusa an, sie solle mit dem Flennen aufhören und tobt herum, wenn etwas nicht nach seinem Willen läuft. Jason in Kapitänsuniform und seine Matrosen überbringen das Goldene Vlies: einen Geldkoffer.

Konsumterror inklusive

Der anschließende Hymnus auf die Hochzeitsgötter wird immer wieder unterbrochen durch Klingelalarm. Ein Leibgardist geht jedesmal mit gezückter Waffe in Deckung, doch es werden nur Geschenke für die Brautleute abgegeben: Konsumterror schwappt herein und löst eine wahre Orgie bei Kreons Klientel aus. Als beim letzten Klingeln plötzlich eine punkige Obdachlose mit wirrem rötlichem Haar und blauem Müllsack vor der Tür steht, erstarren alle vor Schreck. Niemand hat mit Medea gerechnet. Cornelia Ptassek meistert die anspruchsvolle Titelpartie als furiose Sängerdarstellerin mit Bravour.

Auch Sebastian Kohlhepp (Jason), Shigeo Ishino (Kreon), Josefin Feiler (Kreusa) und Helene Schneidermann (Medeas Vertraute Neris) singen und spielen überragend. Das Orchester sitzt sehr tief im Graben, der mit Gitternetz überspannt ist, weil im Laufe der Aufführung Bierdosen, Weinflaschen und allerhand sonstige Gegenstände durch die Luft fliegen. Nach kleinen Unsauberkeiten und fehlendem Biss bei der Ouvertüre erfüllt Pérez die differenzierte, vielgestaltige Partitur packend mit Leben. Überflüssiges Aufmotzen des Klangs mit elektronischem Donnergrollen wäre da gar nicht nötig.

Konwitschny versteht das wohl als akustische Komponente seiner emotionsgeladenen, in Details fein durchgestalteten Inszenierung. Leider bleibt sie von Klischees nicht frei. Aufgesetzt wirkt etwa die missionarische Botschaft, dass ausgerechnet eine Kindsmörderin der bösen, in Plastikmüll erstickenden Zivilgesellschaft die Maske vorhält.

Weitere Vorstellungen: 8. und

27. Dezember, 8., 15. und 31. Januar, 5. Februar; Information und Karten: www.oper-stuttgart.de