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Musiktheater
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Medea (Médée)

Oper in drei Akten
Text von François-Benoit Hoffman, Deutsche Textfassung von Bettina Bartz und Werner Hintze
basierend auf der kritischen Ausgabe der Originalfassung von Heiko Cullmann
Dialogeinrichtung von Peter Konwitschny
Musik von Luigi Cherubini

In deutscher Sprache mit  deutschen Übertiteln

Dauer: 2 1/4 Stunden – keine Pause

Premiere am 3. Dezember 2017
(rezensierte Aufführung: 27. Dezember 2017)

 



(Homepage)

Der Stoff, aus dem der Wahnsinn ist

Von Christoph Wurzel / Fotos: © Thomas Aurin

Ein Mann verlässt seine Frau und nimmt die Kinder mit. Als er bald eine Neue hat, taucht die Ex auf und verlangt die Kinder zurück. Schmutzige Wäsche wird gewaschen, gegenseitige Beschimpfungen steigern den Hass, im Tiefsten soll der ehemalige Partner getroffen werden. So kommt es zum Äußersten. Die Mutter tötet ihre eigenen Kinder und schleudert dem Mann entgegen: „Weil du ihr Vater warst!“

Neben einigem mythischen Beiwerk ist dies der Kern der Medea-Geschichte. In aller Drastik als ein Drama von heute hat Franz Konwitschny sie in seiner Inszenierung von Luigi Cherubinis Oper in Stuttgart erzählt. Dabei zeigt er diese Medea nicht als rasende Furie, sondern dass ihr Handeln eine Geschichte hat - die schreckliche Vorgeschichte (Raub des Goldenen Vlieses) einer sich fortzeugenden Verstrickung in Schuld bis zu dem noch schrecklicheren Moment, in dem sich in der kurzen Opernhandlung die Gewalt eruptiv Bahn bricht. Ähnlich wie in Bergs Wozzeck steht weniger die Tat selbst im Mittelpunkt, als die Ursachen, die es dazu kommen ließen.

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Hasserfüllter Kampf: Jason (Sebastian Kohlhepp) und Medea (Cornelia Ptassek)

Der erschütternden Deutlichkeit dieser Lesart kommt  die vom Regieteam gewählte Urfassung der Oper mit gesprochenen Dialogen, zudem in deutscher Sprache und ohne Pause gespielt, zugute und rehabilitiert damit Cherubinis Medée als Opéra-comique, also als wesentlich auch vom Schauspiel mitgeprägtes Musikdrama. In ihrer exorbitanten Darstellung der Titelfigur macht Cornelia Ptassek diese Wahl noch umso überzeugender. Die Sängerin wird zum absoluten Kraftzentrum dieser hochdramatischen Aufführung und zeigt Medea in all ihren widersprüchlichen Facetten zwischen tiefster Enttäuschung, heißer Wut, kalter Berechnung aber auch heftigem Zweifel  vor ihrer grausigen Tat. Während der Introduktion zum dritten Akt sitzt sie vor dem Zwischenvorhang, dem Bild eines fast unwirklich schönen Agäis-Strandes und verströmt gerade durch ihr Grübeln mit unbewegter Miene den stärksten Ausdruck. In einem leichten, fast unmerklichen  Zögern vor der Ermordung der Kinder schließlich macht sie den unauflöslichen inneren Konflikt dieser Figur augenfällig. Aber nicht allein im Spiel zeigt Cornelia Ptassek solch überwältigende Präsenz, auch stimmlich verfügt sie über reichhaltige Farben für die umfassende Psychologie dieser Figur zwischen Schärfe, Kälte, Bitterkeit und allerdings (nur in Momenten von Erinnerung) seltener Wärme.

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Zu allem entschlossen: Cornelia Ptassek als Medea

Das Bühnenbild und die Kostüme von Johannes Leiacker suggerieren eine vermüllte, kaputte Umwelt, in der sich dieses Drama einer zerstörten Seele abspielt. Medea dringt mit ihrem unvermittelten Erscheinen nicht etwa in eine heile Welt ein, in der sich Iason am Hof von Korinth befindet. Die Hochzeitsvorbereitungen zu Beginn des ersten Akts sind  als blöder Junggesellinnenabschied mit beschwipsten Mädels gezeigt (großartig die beiden Brautjungfern Aoife Gibney und Fiorella Hincapiè). König Kreon ist nur ein zwielichtiger Halbwelt-Fürst, umgeben von grobschlächtigen Bodygards und lässt sich als Brautgabe für seine Tochter Krëusa nicht das Goldene Vlies, sondern einen Geldkoffer über den Tisch schieben. Shigeo Ishino gibt ihn vielleicht etwas zu plakativ als vulgären Typ. Der trojanischen Seherin Kassandra ähnlich verspürt Krëusa ja nur zu Recht das durch ihre Heirat mit Jason drohende Unheil, von Josefin Feiler eindrucksvoll dargestellt. In dieser Inszenierung körperlich arg gebeutelt wird Helene Schneiderman in der Rolle der Medea unbedingt ergebenen Neris, die als Ausländerin vonseiten der korinthischen Soldateska grober Gewalt ausgesetzt wird. Ihre Arie im zweiten Akt mit dem obligaten Fagott wird zu einem der sängerischen Höhepunkte des Abends. Sebastian Kohlhepp zeigt Iason als illusionären Traumtänzer, der sich vor seiner Vergangenheit in eine scheinbare neue Zukunft geflüchtet hat. Eine eher jämmerliche Figur macht dieser vorgebliche Feldherr gegenüber Medea. Sängerisch ausdrucksvoll und  packend im Spiel sind die beiden Duette mit Medea, in denen sich beide Protagonisten gleichsam den ganzen Beziehungsmüll  vor die Füße kippen.

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Von all dem Müll nichts ahnende Kinder: Ariles Slimani, Jasper Meyer-Eggen und Helene Schneidermann (Hintergrund: Neris) und Cornelia Ptassek (Medea)

Nach einer verspielt ironischen Zauberflöte (2004), der eminent spannungsgeladenen Götterdämmerung (2000) und einer psychologisch tiefgründigen Elektra (2005) hat Peter Konwitschny nun in Stuttgart eine weitere Meisterinszenierung abgeliefert, in der er neben seiner subtilen Personenführung alle Register seiner Regiekunst zieht. Bei aller Gewaltdramatik hat in dieser Produktion auch die ironische Distanz ihren Platz. So lässt der Regisseur den musikalischen Hochzeitsjubel im zweiten Akt durch eintreffende Geschenke für das Brautpaar jäh unterbrechen. Da werden per Postpaket unter anderem ein Kindersitz, eine Kaffeemaschine und eine Kiste Wein abgeliefert. Doch wenn ebenso überraschend Medea in den Jubel hineinplatzt, kippt die Stimmung urplötzlich ins Unheimliche um. Regie auf höchstem Niveau ist auch die Gestaltung der Mordszene, wo die Kinder beim Indianerspiel über die Bühne fegen und wenn sie sich in all ihrer Ahnungslosigkeit im Spiel gegenseitig gefesselt haben,  holt Medea zu den tödlichen Messerstichen aus.

Nicht zuletzt überzeugt die Produktion auch durch das  Dirigat des Argentiniers Alejo Pérez, der das Staatsorchester zu hochdramatischem Spiel führt. Nichts wird geglättet, nichts Süßliches zugelassen. Die Ouvertüre schon schlägt im Ton unerbittliche Härte an. Auch der eher lyrische Mittelteil lässt kaum Versöhnliches hoffen. Bis zum fürchterlichen Schluss behält die Musik konsequent diesen Tonfall bei. Schließlich wird auch der Chor besonders in der Finalszene zum grausam lärmenden Kollektiv, wenn das Volk von Korinth alle Fremden, Medea, Neris und Jason, dahinmeuchelt - so beklemmend wie Oper nur sein kann.

FAZIT

Musiktheater, das unter die Haut geht, szenisch wie musikalisch von enormer Spannung und dichtester Atmosphäre

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alejo Pérez

Inszenierung
Peter Konwitschny

Bühne und Kostüme
Johannes Leiacker

Licht
Reinhard Traub

Chor
Christoph Heil

Konzeptionelle Mitarbeit und Dramaturgie
Bettina Bartz



Staatsopernchor Stuttgart

Statisterie der Oper Stuttgart

Staatsorchester Stuttgart

 

Gesangssolisten

Medea
Cornelia Ptassek

Iason
Sebastian Kohlhepp

Kreon
Shigeo Ishino

Krëusa
Josefin Feiler

Neris
Helene Schneiderman

1. Brautjungfer
Aoife Gibney*

2. Brautjungfer
Fiorella Hincapiè*

Zwei Söhne von Medea und Iason
Ariles Slimani**
Jasper Meyer-Eggen**


* Mitglied des Opernstudios

** Mitglied im Kinderchor
    der   Oper Stuttgart


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Stuttgart
(Homepage)



Da capo al Fine

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