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Don Pasquale lacht nicht mit

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"Don Pasquale" an der Oper Stuttgart: Ioan Hotea (Ernesto) und Ana Durlovski (Norina), hier im Retro-Look.
"Don Pasquale" an der Oper Stuttgart: Ioan Hotea (Ernesto) und Ana Durlovski (Norina), hier im Retro-Look. © Martin Sigmund

Eine stimmlich erstklassige, szenisch reservierte Donizetti-Inszenierung von Jossi Wieler und Sergio Morabito.

Die Ohrfeige, die Norina dem glücklosen Titelhelden Don Pasquale gibt, war 1843 in Paris ein Gesprächsthema und ist es 2018 in der Stuttgarter Oper auch. Man muss schon sagen, dass Ana Durlovski ganz schön zuschlägt, und Enzo Capuano hat dann etwas Blut an der Nase (wenn es kein Lippenstift ist, was ebenfalls sein könnte in Richtung des emotional reichlich bewegten Finales, glaube ich aber nicht).

Gewalt gegen Ehemänner, zweifellos ein brisantes Thema, auch wird die öffentliche Demütigung von Gaetano Donizetti scharf genug betont, dass hinterher jedermann weiß, was Ohrfeige auf Italienisch heißt. Die Schärfe dieses Momentes, sie ist für Regisseur Jossi Wieler und seinen wie immer mitinszenierenden Dramaturgen Sergio Morabito ein Fingerzeig für die soziale Kluft zwischen Pasquale und der Frau, die er geheiratet hat. Glaubt, geheiratet zu haben, denn „Don Pasquale“ ist eine komische Oper, auch wenn das in Stuttgart nicht immer spürbar ist.

Die sehr hochklassig besetzte Aufführung hat eine merkwürdige, manchmal schon etwas angestrengt wirkende Anlage, denn natürlich gibt es auch in Stuttgart Grund zum Lachen. Vorerst zeigt sich der erste Teil einer aufwendigen Rahmung, die man anfangs missverstehen kann: Zur Ouvertüre, von Giuliano Carella nicht forciert, sondern geschmackvoll gestaltet, ist auf der geschlossenen Drehbühne auf dunkler Wand ein fabelhafter, detailreicher Trickfilm zu sehen, der Donizettis Musik freilich zunächst zur Begleitmusik degradiert. Das „Studio Seufz“ lässt in „Yellow Submarine“-Manier ein Pärchen zusammenkommen und in psychedelischer Paradieseslaune überglücklich sein, bis ein riesiger Mann in Schwarz die beiden brutal auseinanderbringt.

Der junge Liebhaber, eben noch mit Afrolook und Schlaghosen zwischen knallbunten Kringeln unterwegs, wird vom mysteriösen Oberschurken in ein schwarzweißes (Erwachsenen-)Leben gezwungen, das gewiss nicht lustig sein wird. Erst als die Bilder am Ende wiederkehren, und zwar während Don Pasquale seinen Kummer mit einem Tütchen zu vertreiben versucht, wird einem klar, dass nicht Ernestos und Norinas Not in Retro-Bilder gefasst wurde. Natürlich ist es Pasquales eigene Jugend, was zeitlich hinkommt und dem Abend einen melancholischen Dreh gibt. Nicht so sehr, weil aus Hippies Biedermänner werden, eine Erfahrung, die schon viele Lehrer in den Achtzigern so nachdrücklich vermittelten, dass das nicht mehr interessant ist.

Was in Stuttgart fasziniert, ist die hier vorgeführte Unüberwindbarkeit der Grenze zwischen den Generationen, die Seltsamkeit und auch Tragik, dass es hier kein Zueinander gibt, obwohl Norinas und Ernestos Erlebnisse denen des jungen Pasquale zu gleichen scheinen wie ein Ei dem anderen. Das sind keine großen Erkenntnisse, aber es ist eine Vergegenwärtigung.

Und es erklärt, warum sich Wieler und Morabito (in ihrer vorletzten Stuttgarter Inszenierung) so standhaft weigern, Capuano als Bassbuffo auftreten zu lassen. Capuano könnte das, man sieht es, als er einmal in die Saiten einer Luftgitarre greift. Zu sehen sein soll aber ein gewöhnlicher älterer Herr unserer Tage, der ganz gut und fit aussieht. Daraus erwächst nicht direkt eine Schieflage, aber auch kein Gewinn. Einer singt komödiantisch und mag nicht vom Schreibtisch aufstehen.

Don Pasquale wohnt in einem sehr schicken, sparsam, also fast nicht möblierten Büro. Jens Kilians Bühne besteht aus drei in sich drehenden Kreisen, die unterschiedliche Blicke darauf freigeben. Teresa Verghos Kostüme sind unkompliziert heutig und dienen zur Klarstellung des Status: Hier der Anzugträger, dort Malatesta und sein zumeist anwesender Cousin, deren Kleidung schon etwas Staub gesehen hat. Carlottos Schnauzbart könnte einen Migrationshintergrund andeuten. Norina zeigt sich zunächst im Chic einer klassischen Schlampe, die die fantastische Sängerdarstellerin Ana Durlovski wie immer zu maximaler Lebendigkeit und Glaubwürdigkeit erweckt. Ihr Ernesto verkleidet sich als Karnevalsindianer. Immer schon verrückt gewesen, die jungen Leute. Den Chor ergänzen wahnsinnig niedliche Kinder, die Pasquale auf die Nerven gehen.

So ganz entscheidet sich die Inszenierung nicht zwischen Tollerei und Bissigkeit. Die Folgen sind diesmal aber weniger spannend als blass. Auch am Ende kann dieser Don Pasquale überhaupt nicht mitlachen. Da trauen wir ihm mehr zu.

Capuano, das wiederum passt zur Inszenierung und auch zu Carellas prototypisch perfektem Dirigat, singt eher wunderschön als buffohaft. Ioan Hoteas Tenor ist sensationell und in höchsten Höhen mit schwindelig machender Leichtigkeit unterwegs. Durlovskis dunkel grundierter und zugleich seltsamerweise quecksilbriger Sopran transportiert auch Norina in eine ganz andere Dimension. Makellos die Stuttgarter Solo-Trompete. Groß der Jubel, in den sich vielleicht schon Abschiedsschmerz drängt.

Oper Stuttgart: 28., 31. März, 4., 29. Mai, 2. Juni. www.staatstheater-stuttgart.de

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