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Musikalische Komödie

„Casanova“ feiert in Leipzig Premiere

Premiere für Albert Lortzings „Casanova" in der Musikalischen Komödie.

Premiere für Albert Lortzings „Casanova" in der Musikalischen Komödie.

Leipzig. Bei Albert Lortzing steht viel zwischen den Zeilen – weil es nicht gesagt werden durfte. Denn im zensurgeplagten Biedermeier gab es schnell Daumenschrauben und Aufführungsverbote, wenn man gegen die erste Bürgerpflicht Ruhe verstieß. Das galt in Berlin ebenso wie in Wien und auch am Leipziger Stadttheater.

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Auch deshalb ist Lortzings komische Oper „Casanova“, dort uraufgeführt 1841 und am Wochenende in der Musikalischen Komödie als umjubelte Premiere revitalisiert, ganz anders als zum Beispiel Gerd Natschinskis Musical oder Federico Fellinis Film. Bei Lortzing mag Casanova die Freiheit noch viel lieber als die Frauen und verdrückt sich aus Beate Zoffs (Bühne, Kostüm) Bilderbuch-Venedig, in das sie gleich beim Einlass und zur durch die Melodienblitze eilenden Ouvertüre mit einer lockenden Stadtansicht einlädt.

Nur so viel muss man wissen: Offizier Casanova wird im Fort St. André inhaftiert, startet dort auf Kerkermeister-Tochter Bettina eine Charmeoffensive, aber keine Liebesattacke, befreit dann die geliebte Rosaura vor einer ungewollten Heirat und sucht lieber die Weite der Freiheit als intime Fesseln. Dieser Casanova ist also ein Frauenversteher, aber kein Frauenheld. Was tun mit einem Protagonisten, der genau das verweigert, worauf man neugierig ist?

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Glanzpartie für Adam Sanchez

Nach dem eher heldentenoralen Freiherr von Schrenk in Künnekes „Die große Sünderin“ ist das die zweite Glanzpartie für Adam Sanchez – und in Folgevorstellungen auch für den Tenor-Kollegen Radoslaw Rydlewski. In Rot und Schwarz ist Sanchez ein echter Kavalier, der sich lieber mit einer energischen Geste den Staub von den Manschetten wischt als im Straßenstaub duelliert.

Wie ein erwachsener Rosenkavalier, der die Flegeljahre des Schürzenjägers einfach übersprungen hat. Seine Eleganz schafft Distanz durch Perfektion und realisiert das mit dominierender Bühnenausstrahlung. Rosaura und sogar Bettina fliegen ihm zu, weil sie sich von ihm geachtet fühlen.

Auf der Komikerseite glänzt Milko Milev mit Expertenniveau. Sein Kerkermeister Rocco, dessen Part sich immer auf der Ebene eines dezent alkoholisierten Republikanismus bewegt, zeigt, dass sich ein schwereloser Elf auch im Körper eines gestandenen Mannsbilds verstecken kann.

Die bei Lortzing grundfalschen Bilderbuch-Soubretten sind hier auf dem Rückzug, zum Glück: Leipzigs Operettendiva Lilli Wünscher zelebriert genussvoll Rosauras lyrische Bögen, und Magdalena Hinterdobler bewegt sich als Kerkermeister-Tochter Bettina auf gleicher Höhe.

Michael Raschle (Festungskommandeur Busoni), Hinrich Horn (der in der Uraufführung von Lortzing selbst gespielte Gambetto) und Andreas Rainer (Schließer Peppo) liefern prägnante Charakterfarben. Feinsinn zählt hier mehr als der dumpfe Kalauer, und das steht Lortzing außerordentlich gut.

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Respekt und Genauigkeit

Vor allem muss man an der sorgfältigen Neuproduktion würdigen, dass sie sich dem heute schwierigen Genre einer deutschen Opéra-comique mit Respekt und Genauigkeit stellt. Das gesamte Ensemble spricht die langen Dialoge ausgezeichnet, zeigt sich in den Musiknummern von exzellenter Textverständlichkeit und agiert auf Top-Niveau. Für Chefregisseur Cusch Jung ist das ein Vergnügen, weil er mit leichter Hand nur zupfen und beschleunigen muss, wo sich andere Regisseure spreizen und genieren.

Sanften Flachheiten in dem von Lortzing selbst nach einem französischen Vaudeville verfassten Textbuch kontert er mit stabilisierender Präzision und Humor. Weil Cusch Jung in allen szenischen Unterhaltungsmetiers so erfahren ist, kann er eine Regie gestalten, die man im besten Sinn nicht merkt. Diese formt er aus den Charakteren seiner Lindenauer Sängerdarsteller, lässt sie aber von diesen nicht verformen. Schön.

Beate Zoff liefert das Lokalkolorit, das uns Albert Lortzings Musik vorenthält. Der erste Akt spielt auf und neben einer niedlichen Rialto-Brücke, der zweite in einem sandfarbenen Kerker mit ratzfatz herausnehmbaren schwedischen Gardinen und der dritte in einer multifunktionalen Ballsirenen-Erlebniswelt. Die gezielt kleinen Gesten des Chors geben dazu eine ironisierende Farbe. Mathias Drechsler zielt mit dem Chor der Musikalischen Komödie lieber auf musikalische Pointierung als spielerisches Rabaukentum.

Neues Alleinstellungsmerkmal

Chefdirigent Stefan Klingele hat dieses unterhaltsame Venedig-Gemälde ermöglicht, indem er unter Berücksichtigung des enormen Rollenumfangs seinem Casanova eine Rossini-nahe Auftrittsarie erlässt und auch der Ouvertüre etwas von ihrer Dauer nimmt. Den Klavierauszug aus dem Jahre 1912 fand er bei Ebay und verfertigte nach Stimmsätzen aus der Sächsischen Landesbibliothek Dresden und der Bayerischen Staatsbibliothek München das Aufführungsmaterial.

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Das Orchester der Musikalischen Komödie liefert einen kompakten, dabei seidigen und geschmeidigen Ton, der den Abend trägt, selbst wenn das Interesse an den Figuren leicht ermüdet. Das liegt nicht an dieser fein ausbalancierten Produktion, sondern an Lortzings „Casanova“ selbst. Er sichert der MuKo allerdings ein neues Alleinstellungsmerkmal: Nur hier hält man die Lortzing-Fahne noch so hoch wie früher überall und zeigt eine heute seltene Jagdlust im Revier der Dialogoper.

Weitere Aufführungen: 9., 10., 12., 19., 29. & 30. Juni, Musikalische Komödie; Karten (15–39 Euro) gibt es an der Kasse im Opernhaus, Tel: 0341 1261261 (Mo–Sa 10–19 Uhr), per E-Mail: service@oper-leipzig.de oder im Internet unter www.oper-leipzig.de; in der Ticketgalerie (LVZ Foyer, Peterssteinweg 19; Barthels Hof, Hainstr. 1), unter der gebührenfreien Telefonnummer 0800 2181 050 und auf www.ticketgalerie.de

Von Roland H. Dippel

LVZ

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