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Gelungener Saisonabschluss mit Opernklassiker
Nachdem der Wuppertaler Opernintendant Berthold Schneider die Spielzeit zunächst mit einer Kombination aus dem dritten Aufzug aus Wagners
Götterdämmerung und Heiner Goebbels' Orchesterzyklus Surrogate Cities,
dann mit Bohuslav Martinůs Traumoper Julietta und schließlich mit
einem besonderen Musiktheaterprojekt unter dem Titel Liberazione, bei dem
sich das Publikum mit Tablets und Smartphones auf der Bühne bewegen konnte, um
die Aufführung aus unterschiedlichen Perspektiven zu verfolgen, sehr
experimentell und fern vom Mainstream gestaltet hat, gibt es zum Abschluss der Saison nun einen
Opernklassiker, der zu den beliebtesten und am meisten aufgeführten Stücken des
Genres überhaupt zählt: Carmen von Georges Bizet. Dass das Werk bei
seiner Uraufführung ein absoluter Misserfolg war und Bizet den späteren
Siegeszug der Oper nicht mehr erleben konnte, lässt sich heute kaum noch
nachvollziehen. War das damalige Publikum wirklich noch nicht reif für die
veristischen Züge, die das Personal der Oper auszeichnet? Heute jedenfalls kann
die eingängige Musik in Teilen selbst vom opernfernen Publikum mitgesummt werden
und ist für viele zum Inbegriff eines romantisierenden Spanien-Bildes geworden.
Lange Zeit wurde das Werk in einer für Wien umgearbeiteten Fassung mit Ballett
und Rezitativen gespielt, die die für die Opéra comique üblichen gesprochenen
Dialoge ersetzten. In Wuppertal greift man wie bei zahlreichen neuen
Produktionen des Stückes wieder auf die ursprüngliche Version mit in der Regel
stark gekürzten Dialogen zurück.
Auf dem Weg in die Berge: Carmen (Ieva
Prudnikovaite, Mitte) mit Frasquita (Ralitsa Ralinova, rechts) und Mercédès
(Joyce Tripiciano, links) (im Hintergrund: Chor)
Für die Inszenierung hat man Candice Edmunds vom schottischen Theaterkollektiv "Vox
Motus" verpflichtet, das vor vier Jahren für die Produktion Dragons mit
dem "UK Theatre Award" ausgezeichnet worden ist und häufig beim Edingburgh
International Festival gastiert. Edmunds sieht die Titelfigur in Bizets Oper
nicht als exotische Verführerin im roten Kleid, sondern als selbstbewusste Frau,
die sich ihrer Anziehungskraft bewusst ist und diese manipulativ einsetzt. Dabei
verzichtet sie auf jedwede Klischees und zeichnet die Schmugglerbande als
Partisanen im spanischen Bürgerkrieg. Die Kostüme von Luis Carvalho erinnern
folglich auch an die 30er
Jahre des letzten Jahrhunderts. Das Bühnenbild, für das ebenfalls Carvalho
verantwortlich zeichnet, besteht aus hohen roten Holzwänden, die an die
Umrandung einer Stierkampfarena erinnern. Diese werden aus dem Schnürboden
herabgelassen und von einigen Statisten immer wieder neu angeordnet, so dass
schnell verschiedene Bühnenräume entstehen. Für die Zigarettenfabrik im ersten
Akt bilden die Holzwände zwei ineinander liegende Halbkreise, vor denen die
Soldaten auf die Fabrikarbeiterinnen warten, um in deren Pause mit ihnen zu
flirten. Wenn Don José Carmen ins Gefängnis bringen soll, erinnern die Holzwände
an einen abstrakten Wald, in den Carmen entflieht. Auch die Schenke von Lillas
Pastia und der dritte Akt in den Bergen werden mit den Holzwänden recht abstrakt
angedeutet. Eine fahl leuchtende Scheibe stellt den Mond dar. Warum dieser Mond
auf dem Boden liegt, wenn der Vorhang sich öffnet, und erst anschließend
emporgezogen wird, erschließt sich nicht. Im letzten Akt formen die Holzwände
dann zwei ineinander liegende Kreise, in denen sich die Arena empfindet. Immer
wieder gewähren die Statisten durch Drehen der Wände Einblick auf
den kämpfenden Escamillo, während sich vor den Holzwänden die tödliche
Auseinandersetzung zwischen Carmen und Don José abspielt.
Micaëla (Bryony Dwyer) wird von Moralès
(Simon Stricker, rechts) und den Soldaten (Herren des Chors) bedrängt.
Während Edmunds die Ouvertüre ganz dem unter der musikalischen Leitung der
Generalmusikdirektorin Julia Jones furios aufspielenden Sinfonieorchester
Wuppertal überlässt und auf eine Bebilderung verzichtet, fokussiert sie das nach
der Ouvertüre erstmals erklingende Todesmotiv nicht nur auf Carmen und Don José.
Auf einem Tisch mit Rollen wird José zu der Melodie über die Bühne gefahren. Im
Anschluss wird der Tisch gekippt, und Micaëla tritt mit dem Brief von Don
Josés Mutter davor, den sie im ersten Akt Don José übergeben soll. Dann betritt
Escamillo die Szene und präsentiert sich auf dem Tisch als selbstbewusster
Stierkämpfer, bevor Carmen zu den letzten Klängen des Motivs verträumt an dem
Tisch Platz nimmt. Es ist fraglich, ob die Melodie wirklich eine Vorstellung der
einzelnen Figuren trägt oder, wenn man sie schon bebildern will, sie nicht doch
auf Carmen und Don José beschränken sollte. Immerhin rahmen die beiden Figuren
diese Introduktion ein. Der weitere Ablauf des Stückes erfolgt dann relativ
librettonah. Hier beweist Edmunds eine größtenteils sehr gute Personenregie. Zu
erwähnen sind beispielsweise die als Soldaten
agierenden Herren des Chors, die Micaëla auf der Suche nach Don José sehr
bedrängen. Ob man den bei der Wachablösung auftretenden Kinderchor so militant
auftreten lassen muss, ist diskutabel. Edmunds äußert im Programmheft, dass ein
Foto aus dem spanischen Bürgerkrieg, auf dem Kinder eine Exekution nachgespielt
haben, sie dahingehend beeinflusst habe.
Carmen (Ieva Prudnikovaite) liebt Don José
(Joachim Bäckström) nicht mehr.
Ieva Prudnikovaite glänzt in der Titelpartie mit samtweichem Mezzo, der in der
Mittellage lasziv und verführerisch klingt und in den Höhen enorme
Durchschlagskraft besitzt. Bei der berühmten Habanera im ersten Akt macht
Prudnikovaite stimmlich und darstellerisch deutlich, wie selbstbewusst diese
Carmen ist. Dass sie dabei diverse Soldaten mit Hilfe ihrer
beiden Freundinnen Frasquita und Mercédès um einige Wertgegenstände erleichtert,
passt wunderbar ins Bild. Großartig motiviert wird auch ihr Interesse an
Don José, der als einziger bei der Habanera unbeeindruckt abseits steht. Das
kann sich eine Frau wie Carmen natürlich nicht bieten lassen. Wieso sie ihm die
Blume, die sie im Haar trägt, nicht wirklich zuwirft, sondern sie wie von
Zauberhand durch die anderen Frauen vor seine Füße gelegt wird, erschließt sich
nicht wirklich. Wahrscheinlich ist der räumliche Abstand zwischen Carmen und Don
José in dieser Szene zu groß, als dass die Blume wirklich vor seinen Füßen
gelandet wäre. Joachim Bäckström macht als Don José glaubhaft, dass
Carmen ihm mit dieser Blume den Kopf verdreht hat, und begeistert mit tenoralem
Schmelz in den Höhen. In der berühmten Seguidilla ("Près des remparts de Séville")
hört man die Erotik zwischen den beiden regelrecht knistern. Umso härter erfolgt
dann der Bruch, wenn Carmens Verführungskünste vom Zapfenstreich unterbrochen
werden und José sein Pflichtgefühl über seine Gefühle für Carmen stellt. Damit
ist die Beziehung für Carmen vorbei, auch wenn José das nicht einsieht.
Escamillo (Dmitry Lavrov, Mitte) begeistert als
Stierkämpfer das Volk (Chor).
Dmitry Lavrov stattet den Stierkämpfer Escamillo mit dunklem Bariton aus und
überzeugt in der berühmten Auftrittsarie des Toreros mit großem
Selbstbewusstsein, das deutlich macht, dass dieser Mann viel besser zu Carmen
passt als Don José. Lediglich in der Kampfszene mit Don José kann Edmunds'
Personenregie nicht überzeugen. Edmunds verzichtet auf den Einsatz des Messers
und lässt die beiden zunächst eine Art Ringkampf ausführen, was absolut steif
wirkt. Besser wird es auch nicht, wenn die beiden anschließend um das Gewehr kämpfen,
mit dem José Escamillo schließlich erschießen will. Auch bei der tödlichen
Auseinandersetzung zwischen Carmen und José verzichtet Edmunds auf das Messer
und lässt José Carmen mit einer Pistole erschießen, was der Szene die Dramatik
raubt. An diesen Stellen hätte man sich mehr Leidenschaft gewünscht, was den
allgemeinen Genuss allerdings nur ein wenig trübt. Bryony Dwyer begeistert als
Micaëla mit strahlendem Sopran und leuchtenden Höhen. Sowohl das Duett mit
Bäckström im ersten Akt, wenn Micaëla José den Brief der Mutter überreicht, als auch ihre
große Arie "Je dis que rien ne m'épouvante" im dritten Akt, wenn sie erneut auf
der Suche nach José ist, um ihm vom nahenden Tod der Mutter zu berichten,
avancieren zu musikalischen und szenischen Höhepunkten des Abends. Ralitsa
Ralinova und Joyce Tripiciano überzeugen als Zigeunerinnen Frasquita und
Mercédès stimmlich und darstellerisch ebenso wie Timothy Connor und Mark
Bowman-Hester als Schmuggler Dancaïro und Remendado und Simon Stricker und
Sebastian Campione als Moralès und Zuniga.
Der von Markus Baisch einstudierte Chor präsentiert sich stimmgewaltig und
spielfreudig. Dabei punkten die Damen zunächst als verführerische
Fabrikarbeiterinnen, die den Soldaten den Kopf verdrehen, bevor alle gemeinsam
als Schmuggler bei Lillas Pastia und in den Bergen auftrumpfen. Im letzten Akt
schildern sie absolut begeistert den Einzug der Stierkämpfer in die Arena und
lassen das Spektakel vor dem geistigen Auge des Zuhörers lebendig werden. Julia
Jones arbeitet mit dem Sinfonieorchester Wuppertal die unterschiedlichen
Klangfarben der Partitur vielschichtig heraus und verleiht der Inszenierung enormes
musikalisches Tempo. So gibt es am Ende großen Jubel für alle Beteiligten. Auch
das Regie-Team reiht sich in den Applaus mit ein. Unmutsbekundungen gibt es
keine, auch wenn nicht jeder im Publikum mit der Regie ganz einverstanden zu
sein scheint.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung Bühnenbild und Kostüme Choreographie Lichtdesign Choreinstudierung Dramaturgie
Sinfonieorchester Wuppertal Opern- und Extrachor der Wuppertaler Bühnen Kinderchor der Statisterie der Solisten*Premierenbesetzung Don José Escamillo Dancaïro Remendado Moralès Zuniga Carmen Micaëla Frasquita Mercédès Eine Orangenverkäuferin Ein Zigeuner Lillas Pastia
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- Fine -