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Musiktheater
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Carmen

Opéra comique in vier Akten
Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Halévy
Musik Georges Bizet

In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 5' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Wuppertal am 30. Juni 2018


Wuppertaler Bühnen
(Homepage)
Gelungener Saisonabschluss mit Opernklassiker


Von Thomas Molke / Fotos: © Jens Grossmann

Nachdem der Wuppertaler Opernintendant Berthold Schneider die Spielzeit zunächst mit einer Kombination aus dem dritten Aufzug aus Wagners Götterdämmerung und Heiner Goebbels' Orchesterzyklus Surrogate Cities, dann mit Bohuslav Martinůs Traumoper Julietta und schließlich mit einem besonderen Musiktheaterprojekt unter dem Titel Liberazione, bei dem sich das Publikum mit Tablets und Smartphones auf der Bühne bewegen konnte, um die Aufführung aus unterschiedlichen Perspektiven zu verfolgen, sehr experimentell und fern vom Mainstream gestaltet hat, gibt es zum Abschluss der Saison nun einen Opernklassiker, der zu den beliebtesten und am meisten aufgeführten Stücken des Genres überhaupt zählt: Carmen von Georges Bizet. Dass das Werk bei seiner Uraufführung ein absoluter Misserfolg war und Bizet den späteren Siegeszug der Oper nicht mehr erleben konnte, lässt sich heute kaum noch nachvollziehen. War das damalige Publikum wirklich noch nicht reif für die veristischen Züge, die das Personal der Oper auszeichnet? Heute jedenfalls kann die eingängige Musik in Teilen selbst vom opernfernen Publikum mitgesummt werden und ist für viele zum Inbegriff eines romantisierenden Spanien-Bildes geworden. Lange Zeit wurde das Werk in einer für Wien umgearbeiteten Fassung mit Ballett und Rezitativen gespielt, die die für die Opéra comique üblichen gesprochenen Dialoge ersetzten. In Wuppertal greift man wie bei zahlreichen neuen Produktionen des Stückes wieder auf die ursprüngliche Version mit in der Regel stark gekürzten Dialogen zurück.

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Auf dem Weg in die Berge: Carmen (Ieva Prudnikovaite, Mitte) mit Frasquita (Ralitsa Ralinova, rechts) und Mercédès (Joyce Tripiciano, links) (im Hintergrund: Chor)

Für die Inszenierung hat man Candice Edmunds vom schottischen Theaterkollektiv "Vox Motus" verpflichtet, das vor vier Jahren für die Produktion Dragons mit dem "UK Theatre Award" ausgezeichnet worden ist und häufig beim Edingburgh International Festival gastiert. Edmunds sieht die Titelfigur in Bizets Oper nicht als exotische Verführerin im roten Kleid, sondern als selbstbewusste Frau, die sich ihrer Anziehungskraft bewusst ist und diese manipulativ einsetzt. Dabei verzichtet sie auf jedwede Klischees und zeichnet die Schmugglerbande als Partisanen im spanischen Bürgerkrieg. Die Kostüme von Luis Carvalho erinnern folglich auch an die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts. Das Bühnenbild, für das ebenfalls Carvalho verantwortlich zeichnet, besteht aus hohen roten Holzwänden, die an die Umrandung einer Stierkampfarena erinnern. Diese werden aus dem Schnürboden herabgelassen und von einigen Statisten immer wieder neu angeordnet, so dass schnell verschiedene Bühnenräume entstehen. Für die Zigarettenfabrik im ersten Akt bilden die Holzwände zwei ineinander liegende Halbkreise, vor denen die Soldaten auf die Fabrikarbeiterinnen warten, um in deren Pause mit ihnen zu flirten. Wenn Don José Carmen ins Gefängnis bringen soll, erinnern die Holzwände an einen abstrakten Wald, in den Carmen entflieht. Auch die Schenke von Lillas Pastia und der dritte Akt in den Bergen werden mit den Holzwänden recht abstrakt angedeutet. Eine fahl leuchtende Scheibe stellt den Mond dar. Warum dieser Mond auf dem Boden liegt, wenn der Vorhang sich öffnet, und erst anschließend emporgezogen wird, erschließt sich nicht. Im letzten Akt formen die Holzwände dann zwei ineinander liegende Kreise, in denen sich die Arena empfindet. Immer wieder gewähren die Statisten durch Drehen der Wände Einblick auf den kämpfenden Escamillo, während sich vor den Holzwänden die tödliche Auseinandersetzung zwischen Carmen und Don José abspielt.

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Micaëla (Bryony Dwyer) wird von Moralès (Simon Stricker, rechts) und den Soldaten (Herren des Chors) bedrängt.

Während Edmunds die Ouvertüre ganz dem unter der musikalischen Leitung der Generalmusikdirektorin Julia Jones furios aufspielenden Sinfonieorchester Wuppertal überlässt und auf eine Bebilderung verzichtet, fokussiert sie das nach der Ouvertüre erstmals erklingende Todesmotiv nicht nur auf Carmen und Don José. Auf einem Tisch mit Rollen wird José zu der Melodie über die Bühne gefahren. Im Anschluss wird der Tisch gekippt, und Micaëla tritt mit dem Brief von Don Josés Mutter davor, den sie im ersten Akt Don José übergeben soll. Dann betritt Escamillo die Szene und präsentiert sich auf dem Tisch als selbstbewusster Stierkämpfer, bevor Carmen zu den letzten Klängen des Motivs verträumt an dem Tisch Platz nimmt. Es ist fraglich, ob die Melodie wirklich eine Vorstellung der einzelnen Figuren trägt oder, wenn man sie schon bebildern will, sie nicht doch auf Carmen und Don José beschränken sollte. Immerhin rahmen die beiden Figuren diese Introduktion ein. Der weitere Ablauf des Stückes erfolgt dann relativ librettonah. Hier beweist Edmunds eine größtenteils sehr gute Personenregie. Zu erwähnen sind beispielsweise die als Soldaten agierenden Herren des Chors, die Micaëla auf der Suche nach Don José sehr bedrängen. Ob man den bei der Wachablösung auftretenden Kinderchor so militant auftreten lassen muss, ist diskutabel. Edmunds äußert im Programmheft, dass ein Foto aus dem spanischen Bürgerkrieg, auf dem Kinder eine Exekution nachgespielt haben, sie dahingehend beeinflusst habe.

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Carmen (Ieva Prudnikovaite) liebt Don José (Joachim Bäckström) nicht mehr.

Ieva Prudnikovaite glänzt in der Titelpartie mit samtweichem Mezzo, der in der Mittellage lasziv und verführerisch klingt und in den Höhen enorme Durchschlagskraft besitzt. Bei der berühmten Habanera im ersten Akt macht Prudnikovaite stimmlich und darstellerisch deutlich, wie selbstbewusst diese Carmen ist. Dass sie dabei diverse Soldaten mit Hilfe ihrer beiden Freundinnen Frasquita und Mercédès um einige Wertgegenstände erleichtert, passt wunderbar ins Bild. Großartig motiviert wird auch ihr Interesse an Don José, der als einziger bei der Habanera unbeeindruckt abseits steht. Das kann sich eine Frau wie Carmen natürlich nicht bieten lassen. Wieso sie ihm die Blume, die sie im Haar trägt, nicht wirklich zuwirft, sondern sie wie von Zauberhand durch die anderen Frauen vor seine Füße gelegt wird, erschließt sich nicht wirklich. Wahrscheinlich ist der räumliche Abstand zwischen Carmen und Don José in dieser Szene zu groß, als dass die Blume wirklich vor seinen Füßen gelandet wäre. Joachim Bäckström macht als Don José glaubhaft, dass Carmen ihm mit dieser Blume den Kopf verdreht hat, und begeistert mit tenoralem Schmelz in den Höhen. In der berühmten Seguidilla ("Près des remparts de Séville") hört man die Erotik zwischen den beiden regelrecht knistern. Umso härter erfolgt dann der Bruch, wenn Carmens Verführungskünste vom Zapfenstreich unterbrochen werden und José sein Pflichtgefühl über seine Gefühle für Carmen stellt. Damit ist die Beziehung für Carmen vorbei, auch wenn José das nicht einsieht.

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Escamillo (Dmitry Lavrov, Mitte) begeistert als Stierkämpfer das Volk (Chor).

Dmitry Lavrov stattet den Stierkämpfer Escamillo mit dunklem Bariton aus und überzeugt in der berühmten Auftrittsarie des Toreros mit großem Selbstbewusstsein, das deutlich macht, dass dieser Mann viel besser zu Carmen passt als Don José. Lediglich in der Kampfszene mit Don José kann Edmunds' Personenregie nicht überzeugen. Edmunds verzichtet auf den Einsatz des Messers und lässt die beiden zunächst eine Art Ringkampf ausführen, was absolut steif wirkt. Besser wird es auch nicht, wenn die beiden anschließend um das Gewehr kämpfen, mit dem José Escamillo schließlich erschießen will. Auch bei der tödlichen Auseinandersetzung zwischen Carmen und José verzichtet Edmunds auf das Messer und lässt José Carmen mit einer Pistole erschießen, was der Szene die Dramatik raubt. An diesen Stellen hätte man sich mehr Leidenschaft gewünscht, was den allgemeinen Genuss allerdings nur ein wenig trübt. Bryony Dwyer begeistert als Micaëla mit strahlendem Sopran und leuchtenden Höhen. Sowohl das Duett mit Bäckström im ersten Akt, wenn Micaëla José den Brief der Mutter überreicht, als auch ihre große Arie "Je dis que rien ne m'épouvante" im dritten Akt, wenn sie erneut auf der Suche nach José ist, um ihm vom nahenden Tod der Mutter zu berichten, avancieren zu musikalischen und szenischen Höhepunkten des Abends. Ralitsa Ralinova und Joyce Tripiciano überzeugen als Zigeunerinnen Frasquita und Mercédès stimmlich und darstellerisch ebenso wie Timothy Connor und Mark Bowman-Hester als Schmuggler Dancaïro und Remendado und Simon Stricker und Sebastian Campione als Moralès und Zuniga.

Der von Markus Baisch einstudierte Chor präsentiert sich stimmgewaltig und spielfreudig. Dabei punkten die Damen zunächst als verführerische Fabrikarbeiterinnen, die den Soldaten den Kopf verdrehen, bevor alle gemeinsam als Schmuggler bei Lillas Pastia und in den Bergen auftrumpfen. Im letzten Akt schildern sie absolut begeistert den Einzug der Stierkämpfer in die Arena und lassen das Spektakel vor dem geistigen Auge des Zuhörers lebendig werden. Julia Jones arbeitet mit dem Sinfonieorchester Wuppertal die unterschiedlichen Klangfarben der Partitur vielschichtig heraus und verleiht der Inszenierung enormes musikalisches Tempo. So gibt es am Ende großen Jubel für alle Beteiligten. Auch das Regie-Team reiht sich in den Applaus mit ein. Unmutsbekundungen gibt es keine, auch wenn nicht jeder im Publikum mit der Regie ganz einverstanden zu sein scheint.

FAZIT

Den Wuppertaler Bühnen gelingt ein insgesamt erfolgreicher Saisonabschluss mit einer musikalisch in jeder Hinsicht überzeugenden Aufführung von Bizets Klassiker. Bei der Regie sind an einzelnen Stellen kleinere Abstriche zu machen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Julia Jones

Inszenierung
Candice Edmunds
(Vox Motus)

Bühnenbild und Kostüme
Luis Carvalho

Choreographie
Neil Bettles

Lichtdesign
Lutz Deppe

Choreinstudierung
Markus Baisch

Dramaturgie
Berthold Schneider

 

Sinfonieorchester Wuppertal

Opern- und Extrachor der Wuppertaler Bühnen

Kinderchor der
Wuppertaler Bühnen

Statisterie der
Wuppertaler Bühnen


Solisten

*Premierenbesetzung

Don José
Joachim Bäckström

Escamillo
Dmitry Lavrov

Dancaïro
Timothy Connor

Remendado
Mark Bowman-Hester

Moralès
Simon Stricker

Zuniga
Sebastian Campione

Carmen
Ieva Purdnikovaite

Micaëla
Bryony Dwyer

Frasquita
Ralitsa Ralinova

Mercédès
Joyce Tripiciano

Eine Orangenverkäuferin
Britta Huy /
*Ute Temizel

Ein Zigeuner
Sehyuk Im /
*Hak-Young Lee

Lillas Pastia
Banu Schult

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Wuppertaler Bühnen
(Homepage)



Da capo al Fine

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