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Messlatte

Grau ist die Welt von Brabant

Stuttgart / Lesedauer: 4 min

Umjubelter Neustart in Stuttgart – „Lohengrin“ an der Staatsoper
Veröffentlicht:30.09.2018, 19:54

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Die Messlatte liegt hoch. In der neuen Spielzeit beginnt nach der Ära Wieler/Morabito ein neues Team unter Leitung von Viktor Schoner. Und die Stuttgarter bereiten den „Neuen“ einen herzlichen Empfang, umjubeln den jungen Chefdirigenten Cornelius Meister schon nach dem ersten Aufzug. Am Ende gehen die Buhrufe für die Regie von Árpád Schilling im Applaus unter; ein Klangbild, das zu Wagners „Lohengrin“ nicht schöner passen könnte.

Grau ist die Welt von Brabant , so grau wie die Windjacken und Mäntel ihrer Bewohner, so grau wie ihre Zukunft. Ein Bild wie aus den letzten Tagen der DDR. Eine Assoziation, die in der Figur des Telramund aufgenommen wird. Er sieht aus, als käme er vom Politbüro, so grau, so alt. Später dürfen seine Stasi-Leute das Attentat auf Lohengrin verüben.

Der König soll richten

So sieht keine freie Gesellschaft aus. Etwas ist faul im Staate an der Schelde. Der junge Herzog, potenziell der nächste Führer, ist verschwunden, seine Schwester Elsa versinkt in Depression. Graf Telramund und seine Frau Ortrud klagen sie des Mordes an ihrem Bruder an, denn sie wollen selber ran an die Herrschaft. Der König soll richten. Und da kommt Lohengrin ins Spiel. Von Gott gesandt, von oben jedenfalls, wird er Elsa retten. Allerdings unter der Bedingung, dass sie nie nach seinem Namen fragen darf.

Eigentlich sollte nun ein schöner Ritter im Schwanenboot anreisen. Aber so viel Märchen geht nicht mehr auf deutschen Bühnen. In Bayreuth entstieg dieses Jahr der Held einem Trafohäuschen. In Stuttgart nun schält sich aus dem Pulk der grauen Mäntel ein beleibter Blousonträger heraus, der Elsa ein Stoffschwänchen schenkt. Er ist nicht erwählt, er wird von den anderen vorgeschickt: So, nun mach mal! Die Gemeinschaft der Brabanter sieht Regisseur Árpád Schilling als manipulierbare Masse, ähnlich wie schon Hans Neuenfels in seiner legendären Deutung mit dem Chor als Versuchsratten in flauschigen Kostümen.

Wagners Musik für den „Wunderchor“ steht solcher Absage ans Überirdische diametral entgegen, aber das gehört zum Regiekonzept. Lohengrin als Führer, Heiland, Held, der die Gesellschaft rettet? Der 44-jährige Regisseur aus Ungarn, in seiner Heimat 2017 offiziell zum „Staatsfeind“ erklärt, mag solche Vorstellungen nicht glauben – und nicht inszenieren. Ebenso misstraut er der Erlösung am Ende: Nicht Lohengrin ist es, der mit seinem Gebet den von Ortrud verwandelten Gottfried erlöst und zum Herzog kürt. Nein, die böse Ortrud, die Elsa dazu verführt hat, die verbotene Frage doch zu stellen, schnappt sich den nächsten Blouson aus der Menge und hebt ihn aufs Podest: „Seht da den Herzog von Brabant!“

Die Deutung ist rustikal, aber im Trend. Auch in Bayreuth blieben starke Frauen auf der Bühne und sanken nicht, wie Wagner das wollte, „entseelt langsam zu Boden“.

An Schillings Regieansatz mag man sich reiben, aber die Inszenierung ist handwerklich gut gemacht. Es gibt eindrucksvolle Bilder (Bühne: Raimund Orfeo Voigt, Kostüme: Tina Kloempken). Der Ehestreit zwischen Ortrud und Telramund findet in einem Raum statt, der noch von einer dieser Neubayreuther Sakralbühnen stammen könnte. Verlottert mit zerrissener Smokinghose präsentiert sich Lohengrin ein letztes Mal Elsa und dem Volk. Er ist am Ende, wenn er die Gralserzählung anstimmt.

Orchester überdeckt die Stimmen

Der neue Chef am Pult des Staatsorchesters erobert die Herzen der Stuttgarter im Sturm. Cornelius Meister dirigiert einen ebenso dynamischen wie satten Wagner, scheut nicht die Lautstärke. So dass sich mancher im Parkett die Ohren zuhält, wenn zwölf Trompeten von der Bühne und den Balkonen erschallen. Immer wieder überdeckte das Orchester auch die Stimmen.

Rundum überzeugte das starke Ensemble mit Simone Schneider als Elsa und Michael König als Lohengrin, Okka von der Damerau als Ortrud und Martin Gantner als Telramund. Diese beiden sind in den Rollen eine Wucht, darstellerisch wie sängerisch. Aber auch die anderen Rollen wie der Heerrufer oder der König sind mit Shigeo Ishino und Goran Juric hervorragend besetzt. Großer Applaus natürlich auch wieder für den Chor, der gerade wieder von den Kritikern zum „Opernchor des Jahres“ gekürt worden ist.