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„Lohengrin“ in Stuttgart: Retter wider Willen

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Der Schwänchenritter: Lohengrin (Michael König) und Elsa (Simone Schneider).
Der Schwänchenritter: Lohengrin (Michael König) und Elsa (Simone Schneider). © Foto: Matthias Baus

Mit einem dunklen, nihilistischen „Lohengrin“ startet die Stuttgarter Oper in eine neue Intendanz. Nicht alles lief dabei optimal. Die Premierenkritik.

Stuttgart - Vielleicht heißt sein Vater ja Johannes. Oder Ludwig. Die Berufung auf Parzival nimmt man ihm jedenfalls nicht ab. Ein Bär, ein verwundbarer, ein am Ende tatsächlich innerlich schwerverletzter Bulle, dem Richard Wagners ätherische Streicherklänge wie eine Behauptung umwehen. Man glaubt ihm, dem Sohn, nicht einmal, dass er Lohengrin heißt. Nix Glanz, nix Wonne, an der Stuttgarter Staatsoper wird die Gralsritter-Saga als das gegeben, was sie trotz C- und A-Dur-Gepränge tatsächlich ist: das dunkelste, nihilistischste Stück des Meisters.

Zum Aufbruch in eine neue Ära blickt man am Neckar also in ein schwarzes, respektive betonfarbenes Loch. Wachwechsel an einem der wichtigsten Opernhäuser Deutschlands, und das mit Münchner Zutaten. Viktor Schoner, zuvor Künstlerischer Betriebsdirektor der Bayerischen Staatsoper, ist nun Intendant. Von der Isar hat er den Bassisten Goran Jurić ins Ensemble mitgebracht, der einen beherzten, noch etwas neutralen König Heinrich singt. Martin Gantner, früher eine Münchner Größe, gibt den Lohengrin-Opponent Telramund als textlich prononcierten Wiedergänger Willy Lomans aus „Tod eines Handlungsreisenden“, der schmalere Florett-Bariton klingt eher nach Querbesetzung.

Okka von der Dameraus erste Ortrud

Einen Triumph feiert eine Münchner Leih-Sängerin. Okka von der Damerau singt ihre erste Ortrud so, wie es sein muss, nämlich allein mit den Zinsen ihrer Stimme. Kein einziges Mal gerät ihr substanzreicher Mezzo an den Anschlag. Nach innen gekehrte Passagen formt sie, ohne klanglich etwas abzuschnüren, Entladungen funktionieren ohne künstlichen Nachdruck. Eine solch natürliche, inhaltlich genau gestaltete, auch sehr frauliche Ortrud jenseits aller funkensprühenden Hexen-Klischees ist ein singulärer Fall – und dürfte Begehrlichkeiten bei den internationalen Besetzungsbüros wecken.

Dass dieses „fürchterliche Weib“, wie es im Text heißt, am Ende siegt und sich aus der verängstigten Menge einen Lohengrin-Nachfolger angelt, ist einer der Kniffe von Arpád Schilling. Der ungarische Regisseur, in München für „Rigoletto“ verantwortlich, begreift Wagners Drama im kargen Einheitsraum von Raimund Orfeo Voigt als gescheitertes Experiment einer Graumausgesellschaft (Kostüme: Tina Kloempken). Aus ihrer Mitte wird der widerwillige „Retter“ nach vorn gezerrt, ein Gebrochener, der sich von Elsa ein bisschen Liebe erwartet. Und als sich dieses Pflänzchen regt, überträgt sich die Stimmung auf ganz Brabant, wo nun plötzlich die streng nach Männlein und Weiblein getrennten Fraktionen zur – wie wir erfahren werden – sehr endlichen Utopie zueinander finden.

Als Gastgeschenk ein Spielzeug-Schwan

Schillings Grundansatz ist akzeptabel, wenn da nicht ständig Ungereimtes dazwischen funken würde. Die allgemeine Frust-Ästhetik nivelliert vieles. Man fürchtet anfangs um die Produktion, die im kleinen Moment (die erniedrigende, unschlüssige Ohrfeige Lohengrins für Telramund statt Schwertkampf) oft besser ist als im großen Aufriss. Mit der Zeit gewinnt alles an Dichte und Stringenz. Elsa ist hier die selbstsichere Frau, von Simone Schneider mit reifem, gedecktem, (zu) großem Sopran gesungen, die den kleinen Spielzeug-Schwan, Lohengrins bescheidenes Gastgeschenk, an ihn zurückgibt. War wohl nichts. Als die ums Glück gebrachte Menge sich ihr drohend nähert, fällt rechtzeitig der Vorhang – den mutmaßlichen Suizid Elsas sieht man nicht.

Überhaupt glückt im Finalakt Berührendes. Man kennt sie eben, diese gebrochenen Typen, die sich das kleine Glück ersehnen, um dann an der Realität zu scheitern. Vor diesem Hintergrund ist Michael König, kein Silber-, eher Charaktertenor, eine ideale Besetzung. Stimme und Spiel entsprechen sich sehr glaubhaft, was einen Verdacht nahelegt: Vieles in dieser Aufführung dürfte Eigeninitiative der Solisten sein.

Dass in Stuttgart, von allen beäugt und behört, eine andere Zeit beginnt, hört man dem Abend an. Cornelius Meister, der neue Generalmusikdirektor, dirigiert anfangs einen Raubauz-„Lohengrin“. Sehr robust, viel zu laut, unstet, intonatorisch gefährdet. Die Überdosis Adrenalin und Nervosität ist zu spüren. Ebenso, dass Meister mit großem Gestaltungswillen und Furor vorgeht. Es gibt kleine Ausfälle, auch auf der Bühne. Und nicht immer ist der – auch dieses Mal – grandiose Staatsopernchor fugenlos ins musikalische Geschehen eingepasst. Szene für Szene regelt sich das. Nun müsste sich der Chefdirigent etwas genauer in die Stuttgarter Akustik einfühlen. Wird schon, die Neuen sind ja gerade erst aus dem Startblock heraus.

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