Hauptbild
Annabella (Lavinia Dames), Giovanni (Jussi Myllys). Foto: Hans Jörg Michel
Annabella (Lavinia Dames), Giovanni (Jussi Myllys). Foto: Hans Jörg Michel
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Fantasievoll im Fantasielosen – Zur Uraufführung von Anno Schreiers Oper „Schade, dass sie eine Hure war“ in Düsseldorf

Publikationsdatum
Body

Dem Haus droht Sanierung oder Abriss und Neubau. Mitten in diese ungewisse Zukunft setzt die Deutsche Oper am Rhein eine Uraufführung mit Anno Schreiers Oper „Schade, dass sie eine Hure war“. Unsere Autorin Regine Müller kommt zur Überzeugung: Das war jetzt leider viel Retro ohne die Spur von Nonsense. Diese Oper sei letztendlich bloß „fantasievoll im Fantasielosen. Denn für einen postmodernen Spaß ist sie nicht lustig und ironisch genug.“

In Düsseldorf wird gerade über ein neues Opernhaus diskutiert. Da für das bestehende Gebäude an der Heinrich-Heine-Allee erneut eine Generalsanierung bevorsteht, und man sich angesichts des Debakels im benachbarten Köln vor ähnlich unkalkulierbaren Kosten und Zeitüberschreitungen fürchtet, steht nun die Idee im Raum, das etwas betuliche Haus aus den 1950er Jahren abzureißen und an gleicher Stelle eine Signature-Architektur hinzuwuchten. Transparent soll das Haus sein, sich den Besuchern öffnen, ganz im Trend des Multifunktionalen und der erweiterten Aufgaben des Theaters, kurzum: der Zukunft zugewandt. Ein Architekturbüro gab den Anstoß, nun überbieten sich schon drei Entwürfe, der neueste plädiert für einen Bau im Medienhafen nach dem Vorbild Sydneys.

Und was macht die Rheinoper? Sie schaut demonstrativ zurück. Denn der bei Anno Schreier in Auftrag gegebenen Oper „Schade, dass sie eine Hure war“ ist ihr Retro-Sound nicht aus Versehen unterlaufen, sondern als Bekenntnis zu verstehen. Hat man doch den Compositeur für Pressefotos ernsthaft posieren lassen mit einem weißen Tuch in den Händen, auf dem zu lesen steht „Verdi&Wagner&Mozart& Schreier“. Nun ja.

„Verdi&Wagner&Mozart& Schreier“ – Nun ja.

Bevor es losgeht, wird noch gewerkelt auf der Bühne, alles scheint noch nicht ganz fertig zu sein. Das ist natürlich keine Panne, sondern volle Absicht und soll uns eine gewisse Distanz zum Geschehen empfehlen. Alles nur Theater hier! Ohne Ouvertüre schießen dann zum Beginn die Flöten mit einem flinken Lauf in die Höhe und auf der Bühne treffen unter den Lamellen eines leise wackelnden Riesen-Fliegenpilzes zwei blonde Teenager aufeinander. Sie im roten Kleid mit weißen Tupfen, er im weißen Schlabbershirt und roter Pyjamahose, ebenfalls weiß getupft, wie der giftige Pilz. Diese zwei gehören zusammen, sagen uns die Kostüme, aber diese Liebe ist vergiftet, denn Annabella und Giovanni sind Geschwister. Darum und um die Folgen dieser Inzest-Liebe im Konflikt mit einer verlogenen und bigotten Gesellschaft wird es die kommenden zweieinhalb langatmigen Stunden gehen. Eigentlich. Tatsächlich geht es in Anno Schreiers Oper „Schade, dass sie eine Hure war“ um nichts wirklich ernsthaft und auch nicht im Spaß, sondern um eine Art Opern-Revue, hervorgekramt aus der Klischee-Mottenkiste des kollektiven Operngedächtnisses.

Aus der Klischee-Mottenkiste des kollektiven Operngedächtnisses

Und auch das skandalträchtige Sujet ist nicht etwa ein Stoff des 21. Jahrhunderts, sondern beruht auf John Fords elisabethanischem Schauerstück gleichen Namens von 1633, das ein böses und zugleich grotesk lustiges Monstrum ist. Für die Opernfassung des 40-jährigen Anno Schreier hat Kerstin Maria Pöhler, die auch als Opernregisseurin mit biederen Arbeiten in Erscheinung trat eine deutsche Textfassung geschrieben, die prall sein will, bisweilen auch Goethe einpflegt, aber meist unbeholfen mit Banalem peinigt. Das klingt dann so: „Das gibt ihm den Rest, ich werde ihn töten, was für ein Fest!“ Ojeh.

Die Handlung zerfällt in eine Abfolge kurzer Szenen, die dramaturgisch nur lose zusammenhängen und schnell erzählt sind: Das verbotene Paar gerät in Bedrängnis, weil Annabella (eine Anleihe an Strauss „Arabella“) von Giovanni schwanger wird, mit ihren zahllosen Freiern aber nichts anzufangen weiß. Ein Geistlicher mischt sich ein, Annabella willigt notgedrungen ein, ihren Freier Soranzo zu heiraten. Der entdeckt den Inzest und plant, das Paar zu töten. Giovanni kommt dem zuvor, am Ende sind alle drei tot.

Anno Schreier ist ein Komponist, der mit Avantgarde erklärtermaßen nichts am Hut hat, aber auch nicht nach einem eigenen Personalstil sucht. Er orientiert sich an Vergangenem, gibt Britten und Strauss als Vorbilder an, bedient sich aber hier nun von Monteverdi bis Phil Glass, scheut auch Filmmusik und Musical-Anleihen à la Bernstein und Loewe nicht und klöppelt all’ das derart flugs zusammen, dass man kaum nachkommt mit dem Zuordnen. Rossini, Bellini, auch Mozart, Janacek, immer wieder Strauss und ja, das Englischhorn-Solo, das ist natürlich eine „Tristan“-Anleihe.

Handwerklich ist das hoch virtuos gemacht, Schreier ist ein Meister der Adaption, instrumentiert süffig, überhaupt ist die Partitur dicht gesetzt, überreich an Anspielungen, aber letztendlich fantasievoll im Fantasielosen. Denn für einen postmodernen Spaß ist sie nicht lustig und ironisch genug. Auch als Kommentar zum Copy-Paste-Zeitalter der Plagiate im Sinne einer sarkastischen Bastelarbeit aus YouTube-Schnipseln taugt sie nicht. Weil Schreier das dann doch irgendwie ernst meint mit seiner Affekt-Musik, die immer eng am Text bleibt und brav bebildert.

Nun könnte man diese Opern-Parodie-Revue auf der Bühne überzeichnen oder konterkarieren. Regisseur David Hermann aber hat das Opus mit spitzen Fingern angefasst und überbietet Schreiers Parodie nur zaghaft. Damit man sich stilistisch zurechtfindet, steckt er die Figuren in die Kostüme (Michaela Barth), die unmissverständlich auf darauf verweisen, was genau Schreier gerade parodierend abkupfert. Amme Putana (Susan McLean) sieht aus wie aus Rossinis „Barbier“, Bergetto kommt als Rokoko-Schranze mit Puderperücke wie in Strauss’ „Rosenkavalier“ daher – Florian Simson macht daraus ein Kabinettstückchen -, der Mönch (stimmlich herausragend Bogdan Talos) schreitet zu düsteren Bläser-Klängen wie aus Verdis „Don Carlo“ herein und Philotis (flirrend in der Höhe: Paula Iancic) ist eine Fortsetzung von Strauss’ Zerbinetta. Die beiden Hauptrollen (famos: Lavinia Dames und Jussi Myllys) haben musikalisch viele, sehr viele Vorbilder. Lukas Beikircher im Graben und die spielfreudigen Düsseldorfer Symphoniker lavieren elegant und souverän durch den musikalischen Adventskalender und doch ermüdet man rasch durch die Stil-Hetzerei, außerdem kaschiert die Betriebsamkeit kaum den Mangel an Spannung. Aber was will und das nun sagen? Noch eine Oper-über-Oper?

Dabei ist das letzte Wort in Sachen Opern-Ausschlachtung doch längst gesagt. Bereits 1987 setzte John Cage mit seiner Zufalls-Collage „Europeras“ einen Schlusspunkt, als er verkündete: „200 Jahre lang haben uns die Europäer ihre Opern geschickt. Nun schicke ich sie alle zurück.“ Das war lustig. Und berührend. Freundlicher Applaus im Düsseldorfer Opernhaus für alle Beteiligten.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!