Volksoper: Die Herzogin als queere Ikone

Ursula Pfitzner ist eine vokal und darstellerisch imponierende Herzogin.
Ursula Pfitzner ist eine vokal und darstellerisch imponierende Herzogin. (c) Palffy/Volksoper
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Ursula Pfitzner begeistert im Kasino als Herzogin in Thomas Adès' Kammeroper „Powder Her Face“, etwas überzogen, aber effektvoll inszeniert von Martin G. Berger.

Ein Libretto, ein Libretto, und die Oper ist gemacht!“, rief Verdi einmal aus: Wenn der Text passt, kommt die Musik wie von selbst – entsprechende Begabung vorausgesetzt. Bei „Powder Her Face“, dem 1995 uraufgeführten Bühnenerstling des englischen Komponisten Thomas Adès, hat sich das bewahrheitet. Wer bei der österreichischen Erstaufführung im Jahr 2000 durch die Musikwerkstatt Wien dabei war, der erinnerte sich, wie schlagkräftig sich in „Powder Her Face“ alles zusammenfügt, schlagkräftiger noch als bei den folgenden Opern „The Tempest“ (Staatsoper) und „The Exterminating Angel“ (Salzburger Festspiele): Philip Henshers Libretto über eine nach Liebe lechzende Frau, die aber bestenfalls Sex und schließlich Verachtung bekommt, und die Musik, die den Kreuzweg ihres Abstiegs aus der High Society in Armut und Vergessenheit mit eklektischer Prägnanz schildert. Die Partitur tönt trotz kleiner Instrumentalbesetzung manchmal fast überreich brillant, aber Adès kann die Anspielungen auf Strawinsky und Cole Porter, Wagner und Alban Berg doch mit scheinbar leichter Hand amalgamieren – und er gibt seiner tragischen Heldin mit den wie Klunkerketten blitzenden Klängen eine Art von Würde wieder, die sie real längst verloren hatte.

Nicht Heilige, nicht Hure, nicht Opfer

Denn ohne jemals Klarnamen zu nennen, erzählt das Werk in Rückblenden das Leben der Millionenerbin Margaret Whigham (1912–1993), deren Ehe mit dem Herzog von Argyll 1963 in einem spektakulären Prozess geschieden wurde – nicht zuletzt aufgrund eines Polaroidfotos, das die Herzogin, nackt bis auf eine dreireihige Perlenkette, bei einem Blowjob zeigt: shocking! Der Image-Knick bedeutete zwar nur einen überraschend geringen gesellschaftlichen. Doch ihr luxuriöser Lebensstil ließ sie schließlich verarmt sterben. Adès und Hensher stilisieren sie weder zur Heiligen noch zur Hure oder zum reinen Opfer einer bigotten Männerwelt, sondern zeichnen eine rätselhaft vielschichtige Figur. Und doch schreibt das Werk auch jenes uralte Opernthema fort, das ein kluger Ironiker einmal in den Worten „Frauen geht's schlecht“ zusammengefasst hat.

„Powder Her Face“ geht's jedenfalls im großen Ganzen sehr gut im Kasino am Schwarzenbergplatz. Seit 2017 bringt hier ja die Volksoper jede Saison eine zeitgenössische Kammeroper auf die Bühne. Allerdings dauert es, bis man sich an die Assoziations-, Bebilderungs- und Überhöhungslust der Produktion gewöhnt hat, denn Martin G. Berger inszeniert die Herzogin mit Bestemm gleich als Ikone queerer Lebensformen.

Die Hälfte von dem, was da von den vier Protagonisten und einigen Statisten an Negligés und Fetisch-Outfits über den Laufsteg rund um das Orchester getragen wird, was an Alkohol, Schokolade und Blut fließt, würde reichen. Aber in Summe stimmt's dann doch irgendwie: weil mit Wolfram-Maria Märtig am Pult die Musik schmeichelt, funkelt und ätzt – und vor allem, weil Ursula Pfitzner sich als vokal und darstellerisch imponierende Herzogin entpuppt. Großartig etwa, wie unter ihrem stöhnenden Liebeshunger der für Geld zum Sex bereite Zimmerkellner von ihr gleichsam aufgesogen wird und sich via Versenkung dennoch verflüchtigt: Wieder bleibt ihr nur Leere.

Stark auch die übrigen Darsteller, Morgane Heyse als wohlklingende „Heldensoubrette“, David Sitka und Bart Driessen, hier alle zugleich auch männliche und weibliche, jüngere und ältere Facetten der Herzogin: lautstarke Begeisterung.

„Powder Her Face“: Noch acht Vorstellungen bis 28.4.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2019)

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