Staatsoper Hamburg: Schostakowitsch „Moskau, Tscherjomuschki“ in der Opera stabile – mit Humor und Ohrwurm!

Staatsoper Hamburg/ Opera stabile/ Moskau, Tscherjomuschki / Sungho Kim, Shin Yeo, Dongwon Kang/Foto @ Jörg Landsberg

Die Opera stabile, das nicht viel mehr als 100 Plätze umfassende, „Kleine Haus“, der Staatsoper Hamburg ist ein Garant für innovatives Musiktheater auf kleinem Raum. Und die jährlichen Projekte des Internationalen Opernstudios zum Abschluss jeder Saison zeigen dort, wortwörtlich greifbar nah, was die jungen Sängerinnen und Sänger leisten und können. So auch gestern bei der Premiere von Dmitri Schostakowitschs Moskau, Tscherjomuschki. (Rezension de Premiere v. 21.6.2019

 

Während im großen Haus bei John Neumeiers Ballett „Nijinsky“ Schostakowitschs 11. Sinfonie op. 113 oder seiner Sonate für Viola und Klavier op 147 tief unter die Haut des Publikums ging, wurde sich in der Opera stabile köstlich zu den Klängen seiner „musikalischen Komödie“ amüsiert. Das Werk behandelt anhand von mehreren, fast Revueartig aneinander gereihten Musiknummern die Geschichte von Menschen, die Ende der 1950ger dem Umzug in die frisch erbaute Trabantenstadt Tscherjomuschki entgegenfiebern. Schostakowitsch, bekannt für wuchtig eindrucksvolle Klänge, die auf dramatische Weise in ihren Bann ziehen, charakterisiert diese Geschichte um Hoffnung, Liebe, Korruption und Neuanfang durch Klänge, die im wirklich positivsten (!!!) Sinne, an ein Kurorchester mit viel Blech und einigen Streichern erinnern. Immer wieder kommt der Wunsch auf, sich zu den operettenhaft schönen Melodien mit im Takt zu wiegen. Das Tscherjomuschki-Lied ist ein wahrer Ohrwurm. Und dennoch, lassen weder die Musik, die Handlung, noch der Text, dessen deutsche Fassung aus der Feder von Ulrike Patow stammt, den ernsthaften Hintergrund des Themas vergessen. Denn alles endet damit, dass der nun zum Funktionär aufgestiegene ehemalige Hausmeister verkündet, die Wohnungen müssten einem Einkaufszentrum mit 10.000 Parkplätze weichen.

Doch Regisseurin Vera Nemirova und ihr Team: Sonja Nemirova (Co-Regie), Bühnen- und Kostümbilderin Dimana Lateva, Choreograf Christian Bakalov und Baha Hamdemir (Video), lassen mit reduzierten Mitteln und auch Mitspielern eine Welt entstehen,  die deutlich macht das Humor, Ironie und menschliches Miteinander sich auch von Korruption nicht „unterkriegen“ lassen.

Staatsoper Hamburg/ Opera stabile/ Moskau, Tscherjomuschki / Larissa Wäspy, Sungho Kim, Na’ama Shulman/Foto @ Jörg Landsberg

Weiße Umzugskartons dienen als alles Mögliche. Unter anderem auch als Automobil, mit dem die Protagonisten hinaus zu ihren neuen Wohnungen fahren. Herrlich hier die Leistung aller, die sich im Rhythmus zur Musik, scheinbar durchrütteln lassen und sich aneinanderklammern müssen, wenn der Chauffeur die Kurven zu schnell nimmt oder die Straße zu holprig ist. Aus Gips, einem auch im alten Orient bereits verwendeten Baumittel, entstanden die Blumen für den „Zaubergarten“. Ähnlich wie in Shakespeares Sommernachtstraum, amüsieren sich hier auch schon mal die falschen Pärchen miteinander, berauscht von Vodka und dem Zauber des Neuen. Es gäbe noch so viel zu berichten und beschreiben; die Gondel eines Kettenkarussells, die als Bank der Wahrheit dient, all die für die für die späten 50iger üblichen Kleinigkeiten, wie Sitzsauna, plüschige Stehlampen, Videos die Filmchen aus der damaligen Zeit zeigen, und so weiter. Nicht zu vergessen auch die Szene, wenn vor den Augen der Zuschauer frische Gemüse für Borschtsch geschnippelt wird und sich der Raum erst mit dessen Duft und dann mit dem, des fertigen Eintopf füllt, der dann in der Pause erworben werden kann. Ein schöner Einfall, der den Abend noch ein wenig lebendiger und authentischer macht.

Doch noch wichtiger als diese Äußerlichkeiten ist die Leistung der jungen Sänger, die nicht nur allesamt in ihren Rollen brillieren, sondern zeitweise noch dazu die Partie von Chor und Ballett übernehmen. Mit unübertrefflicher Energie und schier ansteckender Freude.

Shin Yeo ist als Funktionär Fjodor Michailowitsch Drebednjow, ist ein „Großkotz“ wie er im Buche steht: überheblich, stets Sonnenbrillen bebrillt, Meister raumgreifender Gesten. Sein Bass ist hier ebenso wie profund, wie er ihn bereit auf der großen Bühne unter Beweis stellte: wohltönend und absolut sicher und rollenbedingt auch humorvoll geführt. Stellte er im vergangenen Jahr bei „Ring und Wrestling“ bereits seine kampfsportlichen Fähigkeiten unter Beweis so zeigte er hier auch, dass er ein durchaus guter Tanzpartner ist, der mit Larissa Wäspy als Drebednjows Gattin Wawa einen durchaus anmutigen „Pas de deux“, samt leichter Hebungen, bieten kann.

Larissa Wäspy, anders als die anderen weder derzeitige noch ehemaliges Mitglied des Internationalen Opernstudios von Hamburg, bezaubert mit einem wunderbaren Sopran, der leicht geführt und sicher klingt, perlend wie Champagner, dem sicher einzigen Getränk, das für ihre Figur, die herrlich zickige Funktionärsgattin, annehmbar ist. Auf Highheels stöckelt sie über die Bühne, Töne mühelos aus ihr herausfließend. Genauso mühelos scheint auch ihr Tanz und ihre immer wieder nötige Verwandlung in eine namenlose, dann nicht mehr hochnäsige, sondern bodenständige Nachbarin. Wie schön, dass sie in der nächsten Spielzeit als Papagena in Mozarts Zauberflöte zu hören sein wird.

Staatsoper Hamburg/ Opera stabile/ Moskau, Tscherjomuschki / Ang Du/ Foto @ Jörg Landsberg

Der aus China stammende Bass Ang Du als Afanassi Iwanowitsch Barabaschkin ist eine Bereicherung für das Ensemble der Staatsoper Hamburg. Sicherlich war es Absicht, dass er als der seine Mieter schon vor dem Einzug traktierende Hausmeister, im Laufe des Stückes mehr und mehr Drebednjow gleicht, übernimmt er doch dessen Funktionärsrolle. Ang Du, wirklich vom Typ her Shin Yeo sehr ähnlich, stellt diese Entwicklung mit offensichtlicher Spiel- und Sangesfreude da. Ersteres zeigt sich besonders in seinem Tanzsolo in Hosenträger gehaltenem Tutu, wenn er auf einem roten Samtkissen endlich die Schlüssel überreicht. Letzere in seinem Couplet, das er im Foyer darbietet, während seine Kollegen den Rhythmus vorgeben bzw. ihn auf der Gitarre begleiten.

Erfrischend kauzig und überzeugend vom Alter gebeugt zeigt auch Dongwon Kang als Semjon Semjonowitsch Baburow, das ein guter Sänger sein, heißt Spiel und Stimme gleichermaßen zu beherrschen.

Im wahrhaft mitreißenden Maße tut dies auch Na’ama Shulman, als Baburows Tochter. Die junge israelische Sopranistin ist eine entzückend jugendliche Lidotschka, deren Stimme klar perlt, wie eine naturreine Quelle. Reizend auch wie sie zuerst zögert, dann kokketiert um sich endliche ihren Gefühlen zu Boris Korezki (gesungen von Jóhann Kristinsson) hinzugeben.

Jóhann KristinssonsBoris sprüht vor jungenhafter Lässigkeit, die Szene in der er für Lidotschka den Ritter aus dem 17. Jahrhundert spielt, mit einem Umhang aus Malerfolie berührt in ihrer Gesamtheit, so wie es auch das Lied, in dem er sich fragt, warum denn alles so kompliziert sein muss, tut. Denn sein Bariton ist von einschmeichelnder, beinahe melancholischer Wärme.

Ein weiteres, sich innig liebendes Pärchen, das, obwohl bereit verheiratet, erst jetzt die Möglichkeit bekommt endlich auch zusammenzuleben, bilden Mezzosopranistin Ruzana Grigorian und Tenor Hiroshi Amako als Sascha. Wunderschön ihr trauriger Pas de deux im ersten Akt, wenn sie sich einfach nicht trennen können. Amakos heitere Zärtlichkeit und Vorfreude besticht darstellerisch wie stimmlich. Dass Ruzana Grigorian auch nach ihrem Abschluss der Staatsoper Hamburg erhalten bleiben wird, erfreut sicher die Herzen des Publikums, wurden und werden doch nur allzu oft viel versprechende Talente – und sei es auf eigenen Wunsch – ziehen gelassen, nachdem sie das Opernstudio absolvierten. Ihre Mascha strahlt Herzlichkeit aus, ihr Mezzo erinnert auch hier an die herbe Süße bitterer Schokolade.

Staatsoper Hamburg/ Opera stabile/ Moskau, Tscherjomuschki / Sungho Kim, Hiroshi Amako, Ruzana Grigorian, Na’ama Shulman, Jóhann Kristinsson/ Foto @ Jörg Landsberg

Glockenhell strahlend hingegen ist der Sopran von Narea Son, die als Ljusja zusammen mit dem südkoreanischen Tenor Sungho Kim, das dritte Liebespaar dieses Stückes bildet. Kim singt den Chauffeur Sergej Gluschkow mit Schmelz in seinem ausdrucksvollen Tenor und überzeugt durch anfangs schüchterne, vergebliche Verliebtheit ebenso, wie durch übermütiges Spiel mit seinem Freund Boris und endlich auch Glückseligkeit in seinem Duett mit Ljusja. Auch Narea Son untermalt und verstärkt ihren Facettenreichen Gesang durch ebensolches Spiel.

Und es bleibt als Fazit des gesamten Abends einfach nur zu sagen, das alle, wirklich alle, eine großartige Leistung boten die zu schildern, sich noch viele weitere Worte anböten. Aber die letzten sollen nun Rupert Burleigh gelten, wie auch den namentlich ungenannten aber durch ihre Leitung sehr geschätzten Mitgliedern des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg, die alle sichtlich und hörbar ebenso viel Freude hatten wie Sänger und Publikum.

Alles in allem ein Abend, der umgehend vergessen lässt, dass das Erreichen der Plätze und auch die Plätze selbst nicht ganz so bequem sind, wie im Großen Haus, doch einen Besuch genauso wert. Oder sogar einen zweiten …

 

  • Rezension der Premiere v. 21.6.2019 von Birgit Kleinfeld
  • Staatsoper Hamburg / Stückeseite
  • Titelfoto: Staatsoper Hamburg/ Opera stabile/ Moskau, Tscherjomuschki / Foto @ Jörg Landsberg
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