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Foto: Bregenzer Festspiele, Karl Forster
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Kaffeefahrt-Spektakel - Verdis „Rigoletto“ verkommt zum Vielerlei auf der Bregenzer Seebühne

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Ein Hauch von Demokratisierung von Hochkultur: allabendlich bietet die hochtechnisierte Bregenzer Seebühne für 7000 Besucher ein populäres Werk in beeindruckendem Großformat, durchaus auch mal mit spektakulären Zügen. Doch nicht die Show stand in den letzten, höchst erfolgreichen Jahrzehnten im Vordergrund. Das prüfte auch in diesem Jahr unser Kritiker Wolf-Dieter Peter an der Neuinszenierung von Verdis „Rigoletto“.

Für die über einhundert Meter bebau- und bespielbare Seebühne muss ein Regie-Team her, das „Opern-Cinemascope“ kann. In der Papierform wäre Philipp Stölzl so ein Mann an der Spitze. Leider hat ihn niemand gebremst. So wurde es szenisch ein Abend des Vielerlei, Allerlei und des aufwändig Leeren.

Stölzl begann als Bühnenbildner und seine Partnerin Heike Vollmer hat seine Ideen drauflos sprudeln lassen, statt sie zu konzentrieren. Alles beginnt mit dem grell schwarz-weißen Höfling Marullo oben auf dem riesigen Narrenkopf im Zentrum, der in der gezielt schrillen Manier des „Cabaret“-Film-Conférenciers über Handy-Verbot und einige Gags in den Abend einführt. Zu den ersten düsteren Musiktakten schwebt dann ein Rigoletto-Double von links taumelnd über den See, verliert seinen kleinen Luftballon und stürzt ins Wasser. Soll alles Folgende nun Rigolettos surrealer Todestraum sein? Das machen Stölzls Regie und Georg Veits Lichtregie in den folgenden pausenlosen zwei Stunden nicht überzeugend klar. Stölzl Ideen blieben in oberflächlich „showiger“ Dekoration stecken.

Auf drei lose verbundenen Spielflächen ist links eine große bewegliche Holzhand mal Gildas – umständlich, mit Statistenhilfe oder Sicherungsseil bekrabbeltes – Zuhause, später auch ein ödes Liebes-Dorado zum „La donna e mobile“ des Herzogs mit vier Lebendigen, an den Fingern hängend zappelnden Sex-Puppen – obwohl die Fantasy-Hure Maddalena weit entfernt verortet ist – und am Ende auch Sterbeort Gildas – obwohl ihr Double genau gegenüber... In der Bühnenmitte fährt der Narrenkopf auf und ab, klappt mit seinen Kulleraugen und reißt den Mund auf – ohne dass eine zwingende Dramaturgie in der Aufführung ersichtlich würde – nur im Programmheft? Auf der ringförmigen Spielfläche um den Kopf herum tobt eine von Kathi Maurer grell kostümierte Nebenrollen- und Akrobaten-Truppe, deren Gerenne, Gewusel und Gezappel mal Wimmel-Bilder, mal Stills ergibt. Der eigentlich werkprägende Fluch – ursprünglicher Titel „La Maledizione“ – des zum Tode verurteilten Vaters Monterone geht in den seltsam kleiner als sonst wirkenden Figurengewusel zu sehr unter. Der Herzog ist von vier auch akrobatischen Hof-Affen umgeben, die sich scheinbar aus Doris Dörries Münchner „Planet-der-Affen-Rigoletto“ an den Bodensee geflüchtet haben und durch Turn- und Renn-Aktion auffallen. Auf der rechten Spielfläche wartet ein aus Rigolettos Eröffnung zu voller Größe mutierter Fesselballon, der aus einer zweiten väterlichen(?) Holzhand aufsteigt, in dem die mutig-sportive Gilda-Sängerin zu ihrem “Caro nome“-Liebenentzücken ganze 14 Meter in den Nachthimmel entschwebt. Sie wird von den vier Affen aber heruntergeholt und ins Maul des Narrenkopfes „entführt“. Der Herzog und Rigoletto verfluchende Monterone wird zwar als verpackte Leiche ins Wasser geworfen, singt aber später wieder ganz normal ausgeleuchtet aus dem Narrenmaul heraus… und so ließen sich viele, allzu viele weitere „Anything-goes“-Regieeinzelheiten und -zutaten aufzählen – etwa, dass dem Narrenkopf beispielsweise mit professionellem Hämmern die Nase abgeschlagen wird, ohne „blutige Nase…“-Anspielung, oderoderoder...

Um 22.50 Uhr rollte erst leises, sich dann fulminant steigerndes Donnergrollen heran und dann zeigte das neue Soundsystem „BOA 2.0“ samt Lichtregie, was ein Mord(s)-Unwetter sein kann – das geriet zum einzigen Höhepunkt des Abends.

Doch davor hatte die Klangregie noch nicht das frühere Bregenz-Niveau erreicht, das ja immerhin das James-Bond-Team zur Übernahme des „Tosca“-Originaltons bewog. Auch die Bühnentechnik arbeitete mehrmals hörbar, allzu sichtbar und der große Metallschwenkarm des Narrenkopfes wirkte eben nicht „surreal“.

Zwischen Dirigent Enrique Mazzola, den gut reagierenden Wiener Symphonikern und dem klanglich groß ausgesteuerten, auf der Bühne eher kleinen Chor gab es noch Premieren-Wackler. Dafür bot die Ton-Aussteuerung aber auch etliche Nebenstimmen des Orchesters. Die einzig ungetrübte Freude ließen die Solisten hören. Vladimir Stoyanov sang einen guten Opern-Air-Rigoletto, doch ein Einheitskostüm und die wiederholte Luftballon-Idee an seiner Hand vertieften nicht, sondern schmälerten seine Wandlung vom „Luftschloss“-Vater zum scheiternden Rächer. Melissa Petit reihte auf ihren langen Spielwegen dennoch blitzblanke Koloratur-Perlenketten und entschwebte als sterbendes Liebesopfer erneut im Ballon in den Nachthimmel. Ein tenoral beeindruckend viriles Mannsbild stellte Stephen Costellos Herzog dar; für sein „Quest’o quella“, die oft nach „Parmi veder le lagrime“ gestrichene Cabaletta „Possente amor mi chiama“ – befremdlich auf einer Leiter zu singen - wurde er zurecht gefeiert. Alles übrige sollte sich von bunter Kaffeefahrt-Unterhaltung auf das bislang zu bewundernde Bregenzer Seebühnen-Niveau steigern: weglassen, der Tragkraft der Musik vertrauen, konzentriert herausstellen, ruhende Tiefe zulassen – dafür ist in den folgenden 20 Aufführungen und vor allem bei den Wiederaufnahmeproben im nächsten Sommer hoffentlich Einsicht und Gelegenheit.

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