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Georg F. Händels AGRIPPINA | Agrippina: Gianluca Buratto (Claudio), Elsa Benoit (Poppea), Franco Fagioli (Nerone), Iestyn Davies (Ottone). Foto: © Wilfried Hösl.
Georg F. Händels AGRIPPINA | Agrippina: Gianluca Buratto (Claudio), Elsa Benoit (Poppea), Franco Fagioli (Nerone), Iestyn Davies (Ottone). Foto: © Wilfried Hösl.
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Wenige Zerrbilder der Macht - Händels „Agrippina“ im Münchner Prinzregententheater

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Wenn diese Zeilen online stehen, wird doch wohl im Prinzregententheater Monteverdis „Krönung der Poppea“ in der unvergessenen Produktion des „Dream-Teams“ Bolton-Alden-Steinberg-Shiff von 1997-2005 gegeben? Als Ergänzung zu den soeben reizvoll, beeindruckend, geradezu abendfüllend, weil die Premiere prägenden Anfängen dieser High-Society-Hure – doch Halt: nichts mit Monteverdi, das Werk hieß ja „Agrippina“ und war von diesem jungen „caro Sassone Giorgio Haendel“ für die damals berühmte Oper von Neapel komponiert worden. Doch eben nicht die Titelfigur stand im Mittelpunkt fand unser Kritiker Wolf-Dieter Peter.

Leider dominierte auf der leeren dunklen Bühne des Prinzregententheaters zunächst ein schwarzer Kubus von Rebecca Ringst als Einheitsbühnenbild. Er konnte dann zwar in drei Scheiben mit je sechs Räumen auseinanderfahren, doch sein im Licht heller Stahlcharakter mit auf- und abfahrenden Jalousien wirkte so technizistisch kühl sperrig wie Ringsts missglücktes „Fidelio“-Stahlgestänge. Prompt stellte sich in der ersten Hälfte des Abends keine Atmosphäre ein, die irgendetwas von „Technokratie“, „Diktatur“ oder „Machtapparat“ besaß oder interpretatorisch aussagte. Auch die Regie von Barrie Kosky wirkte anfangs wie davon erschlagen und entfaltete erst im zweiten Teil das von ihm zu erwartende Format: die mies-machtgeilen Ambitionen aller im römischen Herrschaftszentrum um den erst totgeglaubten, dann doch einem Schiffsuntergang entkommenen Kaiser Claudio; die kalt strategisch und darum menschenverachtenden Intrigen der Kaiserin Agrippina, ihren inzestuös-narzisstischen Sohn Nero als Thronfolger zu installieren; die turbulenten Liebesbeziehungen aller Männer zu diesem kess-kecken Biest Poppea – für all diese Auf-und-Ab-Volten führte Kosky nach der Pause sein hochkarätiges Solistenensemble dann so turbulent, so entlarvend in kleinen Gesten bis zur fallenden Männerhose, dass jetzt - durch die vielen Türen und Räume des öden Ringst-Kubus - alles wie ein böses Modell für Georges Feydeaus bissig-ironische Gesellschaftskomödien um 1900 wirkte. Endlich Zerrbilder aller Macht.

Für das gebildete Publikum von 1709 waren die Attacken des von Kardinal Grimani verfassten Librettos auf den von ihm gehassten Papst Clemens XI. und die Verhältnisse im Vatikan offensichtlich … heutige Besucher können an „Dallas“, „Denver“ über „Games“ bis hin zu “House of Cards“ denken - und an nachgerade alle miesen Regimes bis herauf zu Trampeln in Amt und Würden… wozu die Business-Anzüge der Herren und die bildschönen Haute-Couture-Roben Agrippinas und Poppeas von Klaus Bruns perfekt passten.

Alle wirkten spielerisch frei trotz Ivor Boltons sprudelnden Tempi. Das mit Barock-Instrumenten durchsetzte Staatsorchester samt zeittypischem „Continuo“ mit Bolton am Cembalo klang nicht mehr ganz so vibrato-arm historisierend wie in der langen Händel-Phase unter Intendant Peter Jonas. Doch Bolton machte die fein schattierte Vielfalt von Händels Komposition, die hier beginnende Meisterphase hin zum Barock-Star in London hörbar. Da gab es rasante Koloratur-Perlenketten und vokale Weitsprung-Artistik besonders von Counter Franco Fagioli als Nero, der als schlurfender Szene-Freak mit grässlichem Tattoo auf Kahlkopf, Hals und Schulter und dann als herausgeputzte Show-Puppe im Glitzeranzug sich auf den Kaiser-Reif fixierte. Da tändelte als sinnliches Zentrum des Abends Elsa Benoits Poppea durch die Räume, über die eine große Treppe und versteckte schon mal drei Liebhaber hinter störend kurz auf- und wieder abgebauten Möbeln. Mit ihrem strahlend runden Sopran, der vokale Artistik als kapriziöse Charakterzüge gestaltete, machte sie die Schärfen und vor allem die kalt-schrille obere Lage in Alice Cootes Agrippina-Mezzosopran fast schmerzlich hörbar. Doch abermals schlug der Welt- und Menschenkenner Händel mit dem anderen Ende des Barock in Bann: mit der anrührenden, ja Atem verschlagenden Gestaltung des von Gryphius in Gedichten beschworenen „menschlichen Elende“ - wenn Ottone sich von Kaiser und Kaiserin, speziell auch von der geliebten Poppea verstoßen, verlassen und verraten glaubt und seine Klage gleichsam „de profundis“ hinaussingt – Counter Iestyn Davies gestaltete einen zeitlos existentiellen Abgrund – Bravo!

Dem sonst gespenstisch fröhlichen Ausklang des Werkes – denn historisch hat Nero später Agrippina vergiftet, Ottone verbannt und die dann geheiratete hochschwangere Poppea über eine Treppe zu Tode gestürzt – fügten Bolton und Kosky einen bitter-gültigen Kommentar hinzu: Bolton dirigierte ein kleines Lamento aus Händels „IL Allegro, Penseroso, Moderato“ und Kosky ließ die siegreich-vereinsamte Agrippina stumm im öd-leeren Kubus Platz nehmen, während die Jalousie final herabfuhr – wie ein anderer musiktheatralischer Weltherrscher letztlich „in den Trümmern der eig‘nen Welt“.


  • Live-Stream: 28. Juli 2019: AGRIPPINA, 18.00 Uhr und danach für zwei Wochen als Video On Demand.

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