Richard Wagners Meistersinger von Nürnberg ist (sein Frühwerk ausgenommen) seine einzige komische Oper. Doch statt oberflächlicher fränkischer Glückseligkeit und sommerlicher Festwiesen-Romantik, lässt Regisseur David Bösch seine nunmehr bereits fünfte Regiearbeit an der Bayerischen Staatsoper recht düster und geradezu tragikomisch daherkommen. Visuell in grauer Nachkriegs-Tristesse zwischen heruntergekommenen Betonhäusern und Baugerüsten statt anheimelnden Nürnberger Fachwerk angesiedelt, scheint er einen grauen Schleier über die Meistersinger gelegt zu haben. Abgesehen von den pastellfarbenen Kleidern der Frauen ist grau die Farbe des Abends. Von den Anzügen der Meister, über die Betonfassaden, bis hin zu den Haaren von Sachs ist alles ergraut und wirkt trist und abgeklärt.

Während die Prozession durch ein heruntergekommenes Problemviertel vorbei an Graffitiwänden, Bierfässern und Europaletten schreitet, begegnen sich Stolzing und Eva und flirten zugleich und wirken heftig verliebt. Walther mit Lederjacke und Gitarre mimt den Rebell, dem sich Eva im Petticoat-Kleid zugleich bereitwillig hingibt. Ein Lichtblick inmitten dieser Einöde.

Sara Jakubiak lieferte eine spritzige, jugendlich unbeschwerte Darstellung Evas. Trotz wenig deutlicher Aussprache überzeugte die Sopranistin mit schönen Gesangslinien und einer klaren, vibratoarmen Stimme, die mühelos in die Höhen stieg. Der Tenor Daniel Kirch sprang kurzfristig für Jonas Kaufmann ein. Trotz geringer Zeit zur Einarbeitung in die Rolle beeindruckte er mit einer detailreichen und überzeugenden Darstellung Walther von Stolzings. Nur zu überzeugend und sympathisch verkörperte er den unerfahrenen Sänger, der mehr Herz als Verstand zu haben scheint. Bei manchen Höhen an seine Grenzen stoßend, sang er dennoch mit viel Souveränität. Seine recht tiefe Tenorstimme ließ gestalterisch noch ein paar Wünsche offen, reihte sich aber in das durchweg hohe Niveau der Vorstellung ein.

Neben David, der von den Lehrbuben mehr als nur scherzhaft gefoppt wird, tritt vor allem Beckmesser ins Visier der Nürnberger Bürger und wird zum Ventil angestauter Aggressionen. Stets verlacht, verprügelt und sogar ernsthaft Schaden zugefügt sucht er letztlich seinen Ausweg im Freitod. Auf dieser Note enden Böschs Meistersinger und hinterlassen einen bitteren Beigeschmack. Schlüssig wirkt die Personenzeichnung Beckmessers dennoch nicht. Zwar wird sein Schicksal bereits durch das Überschütten mit dem Inhalt eines Benzinkanisters angedeutet, aber die Vorstellung ist von zu vielen halbherzigen Witzeleien und Gags übersät, als dass man sein Handeln ernst nehmen könnte. Beckmesser, gesungen von Martin Gantner, gelang der Balanceakt zwischen den Genres und glänzte trotz aller szenischer Anforderungen (singen auf einer wackeligen Hebebühne oder im grenzenlos peinlichen goldenen Paillettenanzug) mit einer vielschichtigen und differenzierten Darstellung – sowohl stimmlich als auch in der Interpretation seiner Figur. Sein Beckmesser war gesanglich ausgereift und er brillierte mit kantiger, charismatischer Baritonstimme.

Bei all den Regieeinfällen, zahllosen Requisiten und dem zwischen Komik und Tragik changierenden Geschehen kann Hans Sachs nicht zur Hauptfigur avancieren. Mit fettigen Haaren und verlotterter Kleidung fristet dieser sein Dasein in seiner mobilen Schusterstube, einer ehemaligen Würstlbude, die zum Reparaturtruck umfunktioniert wurde. Der Kaffee wird nicht allzu selten mit Schnaps versetzt, um sich so die Arbeit nachts erträglich zu machen. Wolfgang Koch, der die Rolle des Hans Sachs seit weit mehr als zehn Jahren singt, waren keine Überraschungen mehr abzugewinnen. Mit solidem, recht hellen Bariton meisterte er zwar die Anforderungen der Rolle, doch ein wenig mehr Esprit und stimmliche Gestaltung wären wünschenswert gewesen. Schlussendlich ging seine Darstellung aber ein wenig unter und er wirkte der Rolle fast schon überdrüssig.

Magdalene, gesungen von Okka von der Damerau, beeindruckte mit ihrer kräftigen, vollen, aber dennoch eleganten Mezzostimme – eine Idealbesetzung für die Rolle, in der sie Eva stimmlich fast die Show stahl. Allan Clayton war ein ebensolcher Glücksgriff und sang David mit jünglingshafter Klarheit und kräftiger, zielgerichteter Stimme.

Die das Komische immer wieder durchbrechende erschreckende Tragik der Inszenierung wirkt nur mäßig folgerichtig. Diese Meistersinger bleiben statt klar definierter Interpretation eher ein Potpourri mannigfaltiger Emotionen der Nürnberger Nachkriegsgesellschaft, von David Bösch nur lauwarm serviert, aber immerhin einen unterhaltsamen Abend bescherend.

Letztlich blieb der Abend dank seiner musikalischen Exzellenz im Gedächtnis haften. Kirill Petrenko bekam bereits vorm ersten Heben des Taktstocks so viel Applaus wie so mancher nicht nach Beenden der Vorstellung. Das internationale und weitgereiste Münchner Opernfestspielpublikum ließ mit deutlichen Ovationen für den Generalmusikdirektor, der an diesem Abend seine vorletzte Vorstellung der Spielzeit gab, erkennen, was der Grund ihrer Reise war. Seine Meistersinger waren wenig pathetisch und setzten auf eine virtuose Interpretation mit reichem, satten Klang. Trotz straffer Tempi spielte das Bayerische Staatsorchester sauber und arbeitete mit Petrenko zahlreiche Feinheiten und Details heraus. Dies schuf eine überaus emotionale Darstellung der Musik Wagners und machte dem Nationaltheater München als Ort der Uraufführung alle Ehre.

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