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Stuttgart zeigt Verdis „Don Carlos“: Im Smog der Macht

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Bedrängt vom hungernden Volk entscheidet sich Elisabeth (Olga Busuioc) zur Heirat mit Spaniens König.
Bedrängt vom hungernden Volk entscheidet sich Elisabeth (Olga Busuioc) zur Heirat mit Spaniens König. © Foto: Matthias Baus

So leer und pur war „Don Carlos“ selten: Lotte de Beers Verdi-Erfolg in Stuttgart.

Stuttgart - Ein freundlicher Himmelsklecks könnte das sein – wenn da nicht diese Form wäre. Nach rechts spitzt sich die Wolke zu, und man weiß nicht so recht: ein Symbol der Hoffnung, des Unheils oder einer Waffe? Ein letztes gefährdetes Gespinst vor der totalen Verdunkelung? Viel Zeit kann man mit diesem Grübeln verbringen, weil es sonst nichts gibt auf der Bühne. Nur Schwarz und eine umherirrende Elisabeth, die ihren letzten Arienmonolog in existenzieller Not heraussingt und einmal auch Tabletten vor sich aufreiht.

So leer war „Don Carlos“ mutmaßlich noch nicht. So entkleidet, so nackt, so pur wie hier an der Stuttgarter Staatsoper – und gleichzeitig so übervoll mit Gedanken, Gefühlen und Allusionen, die man aus diesen fünf Stunden mitnimmt. Lotte de Beer, an der Bayerischen Staatsoper mit Puccinis „Il trittico“ für eine der wenigen herausragenden Inszenierungen der Ära Bachler verantwortlich, liegt gar nicht so viel am Politdrama, am todbringenden Aufeinanderprallen von Dissidenten, weltlicher Macht und religiöser Allmacht.

In einem autoritären Irgendwo lässt sie Verdis Schiller-Oper spielen, in dem Philipp II. sich mit dem Habitus des aufgeblasenen Popanz gegen seine Verzweiflung panzert, in dem Elisabeth eine Verratene und zu allem Entschlossene ist, in dem sich Posa vom coolen Aussteiger zum Mitläufer im weißen Anzug wandelt und in dem der Großinquisitor nicht blind und knorrig durch die Szene tapst, sondern genüsslich einen Apfel verspeist, bevor er der nächsten Ketzerin auf dem Weg zum Henker den langen Todeskuss gibt.

Zum Autodafé gibt es „nur“ einen Verurteilten

Es ist nicht unbedingt neu, das (oft nur vorgeblich) Politische aus dem emotionalen Kraftfeld der beteiligten Personen zu entwickeln. Doch Lotte de Beer riskiert hier einiges, weil sie auf so gut wie gar keine szenischen Krücken mehr vertraut. Umso stärker die Elemente und Versatzstücke, die ihr Ausstatter Christof Hetzer auf schwarz-gräulicher Bühne offeriert und die umweht sind vom Smog der Macht. Das Bett, eine Treppe, Philipps Schreibtisch, die wiederkehrende Wolke, Gehenkte. Zum Autodafé gibt es eine aufgeklappte Gefängnisfassade und „nur“ einen Verurteilten, der der Hinrichtung entgegenzittert.

Umso schärfer modelliert de Beer ihre Figuren heraus. Und was schön dabei ist: Die intensiv choreografierte Zweierszene gehört genauso dazu, etwa die in Gewalt umschlagende Begegnung zwischen Titelheld und Königin, aber auch der große, raumgreifende Opernmoment. Alles ist gleichermaßen intensiv, echt, plausibel erfühlt und gespielt bis hin zu Don Carlos, der zuckend an einem Trauma leidet – surreale Szenen mit Kindern, Anspielungen auf Michael Hanekes Film „Das weiße Band“, raunen davon.

Robustes aus dem Orchestergraben

Da passt es, dass vieles in dieser Premiere nach Entäußerung klingt, nicht nach geschliffenem Kalkül. Olga Busuioc (Elisabeth) und die fast maskulin orgelnde Ksenia Dudnikova (Eboli) kommen dabei zu den besten Charakterporträts. Björn Bürger hat sich seinen lyrischen Bariton für den Posa gut zurechtgelegt. Goran Juric zelebriert die Philipp-Partie nicht, sondern findet im kernigen Gesang auch Gebrochenheit. Falk Struckmann zieht maliziös seine Inquisitor-Show ab. Massimo Giordano ist als verkniffener Carlos ein guter Typ, bleibt aber meist unter der korrekten Tonhöhe.

Eine seltsame Promenadenmischung lässt Stuttgart da aufführen: Man spielt den kompletten ersten Akt der Urfassung, um dann in eine spätere gestraffte Version des Stücks abzubiegen. Das Ballett wird gekürzt, dafür die grelle „Pussy-(r)-Polka“ musiziert, eine Verdi-Verfremdung Gerhard E. Winklers von 2015. Generalmusikdirektor Cornelius Meister stürzt sich nicht nur hier lustvoll in die Partitur. Verdis Spätstück denkt er sich aus dem knackigen Gestus der Frühwerke heraus. Die Tempi sind flexibel, Meister und das Stuttgarter Staatsorchester geben die Chamäleons, stellen immer neue atmosphärische Zustände her. Vieles gerät zu robust und deckt die Sänger zu. Wie viel mehr man doch behutsam und als Feinmotoriker aus dem Werk herausholen könnte: Lotte de Beer hat’s vorgeführt.

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