Verdis „Falstaff“ in Hamburg :
Die Toilette als Kraftwerk der Sinnbildung

Von Jürgen Kesting
Lesezeit: 4 Min.
Windsors lustige Weiber: Maija Kovalevska, Nadezhda Karyazina, Elbenita Kajtazi und Ida Aldrian
Bei Giuseppe Verdis „Falstaff“ an der Staatsoper Hamburg überragt der Sänger Ambrogio Maestri ein Trauerspiel, zu dem der Regisseur Calixto Bieito das Stück herabzieht.

Das große Fressen eines Anarchisten, der „sich nur der Herrschaft des eigenen Genusses beugt“, werde im Mittelpunkt seiner Inszenierung von Giuseppe Verdis „Falstaff“ stehen, hatte Calixto Bieito angekündigt. Vor dem Auftakt sitzt der dicke Ritter im gelben Hemd in einem Sessel auf der Bühne – nicht in der Wirtsstube des Gasthofs „Zum Hosenband“ in Windsor, sondern vor „The Boar’s Head“, einem modernen Deli in Dublin – und schlürft gefühlte fünf Minuten lang vor dem Allegro-Vivace-Einsatz des Orchesters laut schmatzend Auster um Auster um Auster. Die Erwartungen, der spanische Regisseur werde seinem Ruhm durch eine Variante des Fressorgien-Films „La Grande Bouffe“ von Marco Ferreri gerecht werden, sollten sich nicht erfüllen. Er begnügt sich mit nur einer Ekelszene. Bei der Rangelei mit Falstaffs Spießgesellen Bardolfo und Pistola wird der geprellte Dr. Cajus geschüttelt, bis er auf den Boden kotzt; über dem Erbrochenen breitet Falstaff eine Serviette aus.

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