Berlin. Es war die letzte Operette der Weimarer Republik: Barrie Kosky feiert Premiere mit „Frühlingsstürme“ an der Komischen Oper.

Klein und billig ist dieses Orchester nicht: Gleich der Anfang der Musik hat etwas vom musikalischen Jingle einer Hollywood-Filmgesellschaft. Wie sehr Operette ist Jaromír Weinbergers Bühnenwerk „Frühlingsstürme“ aus dem Jahr 1933, das jetzt von Barrie Kosky an der Komischen Oper ausgegraben wurde, wirklich? Wie sehr bezieht sie ihre Kraft aus der Lächerlichmachung aller gesellschaftlichen und bühnenmäßigen Konventionen – wie einst die klassische Operette Jacques Offenbachs und viele danach?

Der schweizerische Fernseh- und Theaterschauspieler Stefan Kurt ist in der Rolle des russischen Generals Wladimir Katschalow durchaus ein Garant für das virtuos alberne Wesen auch dieses Stückes. Von der Liebe zu der mondänen Witwe Lydia Pawlowska und von seiner vorlauten Tochter Tatjana wird er an der Aufgabe, das japanische Heer zu besiegen, stetig gehindert und zappelnd und quasselnd durch die Handlung geschleudert – im letzten Bild durch den bestens funktionierenden Drehtür-Gag aus der klassischen Hollywood-Ära.

Als das Hauptquartier des Kaiserlich-Russischen Armee-Oberkommandos stellt Bühnenbildner Klaus Grünberg einen erdfarben-hässlichen Würfel auf die Bühne, der später allerdings auch, als Schlafgemach der unstet liebenden Lydia Pawlowska herhalten wird. Sie wird mit durchschlagkräftigem und doch schlankem Sopran von Vera-Lotte Boecker gesungen. Stefan Kurt gibt tatsächlich als zugleich gefühliger wie jähzorniger General das Abziehbild einer Operettenfigur ab. Doch schon die schnellen und scharfzüngigen Dialoge mit den anderen Sprechcharakteren erlauben dem Publikum nicht, sich zurückzulehnen.

Von Braunhemden zusammengeschlagen

Weinbergers „Frühlingsstürme“: eine Operette? Die Antwort: Das Stück in drei Akten gehört seinen äußeren Kennzeichen nach zum halbseidenen Genre – aber die Zeiten, in denen es entstand, waren für den tschechischen Juden Weinberger zu ernst für bloßen Klamauk. Startenor Richard Tauber etwa wurde nach der Premiere in Berlin von Braunhemden zusammengeschlagen.

Die militärische Rahmenhandlung, die 1905 während des russisch-japanischen Kriegs spielt? In der Tat hat sie äußerlich etwas Operettenhaftes, denn die Absurdität aller Kriege dieser Welt und ihrer Akteure, der Soldaten, war auch schon zuvor ein Motor für viele Operetten. Doch die Grausamkeit dieses Krieges, der gerade wieder aufflammte, lag 1933 nicht lange genug zurück, um über Liebe und Lust zu erzählen.

Entsprechend geht es für den Liebhaber Ito, einen japanischen Generalstabsoffizier, nicht nur in der Liebe, sondern auch im Leben ums Ganze. Er spioniert bei den Russen, und die gehetzte Angst vor der Entdeckung ist dem hervorragenden Darsteller und wunderbar seine Stimme führenden Tenor Tansel Akzeybek, in sein Agieren eingeschrieben. Wenn man ihn und seine Angebetete Lydia Pawlowska als Hauptpersonen begreift, dann kommt bei der Geschichte so etwas ähnliches heraus wie Ernst Lubitschs spannende Komödie „Sein oder Nichtsein“ von 1942.

Im Lubitsch-Film funktioniert der Titel als wahlweise Liebe oder Tod bringendes Codewort. Mit „Frühlingsstürme“ haben Weinberger und sein Librettist Gustav Beer ihrerseits keinen bloß läppischen Konsalik-Titel gewählt. Vielmehr ist auch dies in einer grausamen kriegerischen Auseinandersetzung eine Losung, mit welcher der japanische Spion die russischen Linien durchbrechen könnte.

Operette? Die rückhaltlose Schenkelklopferei und grassierende Unvernunft ist vor solchen Hintergründen nicht herzustellen – und folgerichtig geht der Kapellmeister der Komischen Oper Jordan de Souza in seinem präzisen Dirigat von „Frühlingsstürme“ mit dem großen Orchester, das nach Rekonstruktion des Werks im Graben sitzt, klanglich weit in den Bereich der großen nachromantischen Oper hinein – Puccini, Strauss und Schreker sind nicht weit.

Tänzerinnen mit Straußenfedern

Im großen Liebesduett zwischen dem Spion Ito und der mondänen Lydia sind die Protagonisten umstellt von einer Welt aus Zwang und Tod, während Tänzerinnen mit Straußenfedern auftreten. Man sieht die Elemente des offensiv Unpassenden, also der Operette – aber sie stören hier absichtlich den Plot, anstatt kurzweilig zu zerstreuen.

Dieser Ernst ist für Barrie Koskys Operetten-Bemühungen an der Komischen Oper ungewohnt groß. Da kann und soll auch der Bariton Dominik Köninger als Roderich Zirbitz trotz viel Gaga nichts wettmachen – in der Rolle des schlitzohrigen Journalisten, der sich in seiner heimlichen Liaison zur Generalstochter (tonschön und mit aufdringlicher Operetten-Albernheit: Alma Sadé) als Meister virtuos inszenierter Stand-Up-Comedy erweist.