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Vom Glück und von der langen Traurigkeit

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„Stabat mater“ mit Kelsey Lauritano und Monika Buczkowska. © Barbara Aumüller

Die Oper Frankfurt zeigt Pergolesis „La serva padrona“ und „Stabat mater“ als melancholisches Doppel.

Erneut behilft sich die Oper Frankfurt, die jetzt ursprünglich Jacques Offenbachs „Banditen“ herausbringen wollte, mit einer schlankeren Alternative, die sich als kompatibel mit der Corona-Situation erwies und mit demselben Produktionsteam zu realisieren war. Zweimal Giovanni Battista Pergolesi.

Das Intermezzo „La serva padrona“, eine unwiderstehlich schlagerhafte und musikhistorisch relevante Kleinigkeit, die 1733 entstand – Pergolesi war 23 und hatte doch nur noch drei Jahre zu leben. Die konventionelle, aber quicklebendige Handlung, in der sich eine Dienerin listenreich ihren zögerlichen Herren als Gatten schnappt, wird in einer seinerzeit unerhört reaktionsfreudigen, beweglichen Weise umgesetzt, das Quirlige der Frau, das Nervös-Bräsige des Mannes nehmen musikalisch Form weit über die steifgewordene Affektarie hinaus an. Vom Affekt zum Effekt, das wäre die neue Formel, und die Menschen wollten das unbedingt hören und bescherten dem Stückchen ein langes und eigenständiges Aufführungsleben. Zusammen mit dem heute berühmteren „Stabat mater“ – bereits im Todesjahr entstanden, 1736 – ergeben sich daraus immer noch nicht mehr als 100 Minuten Musik, im Opernhaus so flugs hintereinanderweg gebracht, wie das längliche Stimmen der Instrumente es zulässt.

Ansonsten nämlich tun Dirigent Karsten Januschke und Regisseurin Katharina Thoma alles, um ein geschmeidiges Ganzes herzustellen. Die Musik beruhigt sich vom Intermezzo zur katholischen Dichtung hin, aber sie behält bei verlängerten Melodielinien und entsprechenden verlängerten Empfindungen im Text eine Sensibilität dem Wort gegenüber, die vom kleinen Orchester und winzigen Ensemble überwältigend intensiv umgesetzt wird. In der Oper zu Scherzen aufgelegt mit gewitzt reinkommentierenden Glissandi, im frommen Gesang engelsgleich.

„Die Magd als Herrin“ verlegt Thoma nicht ungeschickt in ein katholisches Milieu – als sollte das Zaudern des Mannes mehr Veranlassung bekommen, auch wenn es nun zugleich das nicht euphorische, aber vorhandene Happyend gewissermaßen verunmöglicht. Zudem teilen Angestellte und Chef offenbar schon das große Bett, hinter dessen Vorhängen sie nacheinander auftauchen. Gut möglich, dass sie schon schwanger ist. Gordon Bintner ist Uberto, jetzt ein Geistlicher, der mit beweglichem Bassbariton und stoischer Haltung ein schönes Pendant zu Simone Osborne darstellt, der agilen, auch als Sopranistin robusten Serpina in diesem kanadischen Duett. Serpinas Kittelschürze (Kostüme: Irina Bartels) ist das einzige, das eine zeitliche Einordnung im Heute nahelegt. Im etwas kärglichen katholischen Umfeld (Bühne: Etienne Pluss, Licht: Olaf Winter), mit allerdings prachtvollem Klappaltar – auf dem, als einziger klassischer Gag, zwischenzeitlich das Antlitz der reizenden Serpina dem braven Mann erscheint.

Keineswegs als Spaßvogel eingesetzt ist der stumme Diener Vespone, der Schauspieler Frank Albrecht, der von Serpina für eine wenig ausgespielte Verkleidungsszene genutzt wird und ansonsten introvertiert dem Geschehen folgt. Auch orgelt er ein bisschen. Wie er halten sich Osborne und Bintner zurück, Melancholie und eine protestantische Beleuchtung liegen über dem Ganzen, was angesichts des zweiten Teils verblüfft, weil man einen „Il trittico“-haften Kontrast erwarten würde, den Thoma regelrecht verweigert.

Dies analog zur Musik, die trotz ihrer Empfindlichkeit für das jeweilige Geschehen tatsächlich nicht in zwei Welten spielt – als läge eben doch keine so scharfe Grenze zwischen irdischen und überirdischen Belangen, die zudem im „Stabat mater“ geerdet sind. Wir sind aufgefordert, uns dem Leiden einer Mutter zu widmen, deren Sohn vor ihren Augen stirbt und für die der größere, weltrettende Sinn der Unternehmung in diesem Moment nicht wesentlich erscheinen kann.

Wirkungsvoll geht die Rückwand von Pfarrers Wohnung zu den ersten Takten des „Stabat mater“ hoch, die Bühne wird weit und abstrakt. Als fromme Renaissancedamen schieben sich die Sopranistin Monika Buczkowska und Kelsey Lauritano, Mezzo, von den Seiten hinein: in geschmackvoller Hell-Dunkel-Malerei ausgeleuchtet, die samtenen Gewänder in einem die Malkunst herausfordernden Faltenwurf, die Stimmen homogen und meditativ genug, um bei aller Süße eine Novemberstimmung zu erzeugen. Gemäldehaft auch die Gesten, aber Thoma sorgt dafür, dass sie nicht ins Posieren kommen. Auch hier hält sich das Geschehen in einer Mittellage aus Ernst und Gelassenheit, so dass bei aller unverhohlener Theatermäßigkeit der Bebilderung doch das Leben gespiegelt wird. Vielleicht ist das das Besondere an der Regiearbeit, bei allen Einschränkungen, die man als amüsierwillige Zuschauerin dafür in Kauf nehmen muss: Sich gerade nicht mit den näherliegenden Lösungen zufriedenzugeben.

Denn nun geschieht noch etwas Verblüffendes. Losgelöst von den beiden aus der Zeit gefallenen Damen kommt nacheinander einiges Volk auf die Bühne, normale Leute, die Szenen aus dem Alltag und der Welt von heute zeigen. Als auch wir im Text aufgerufen werden, Mitleid zu verspüren, wird ein kleines Kirchenasyl eingerichtet. Als von der Schuld die Rede ist, wird ein Mensch fallengelassen und kann zusehen, wie er sich wieder aufrappelt. Als es gilt, in Liebe für die Sache Jesu zu entbrennen, ziehen Fliehende Rauch-, vielmehr Staubfahnen hinter sich her. Auch Serpina und Uberto, die inzwischen ein Baby haben, kommen wieder vorbei.

Das ist kindlich, aber schon auch um Ecken und vor allem nicht als intellektuelles, sondern innigliches, kitschvermeidendes Erlebnis gedacht. Die Kraft der bescheidenen, offenherzigen Bilder zeigt Nachwirkung.

Oper Frankfurt: 22., 30. Oktober, 1. (zwei Vorstellungen), 7., 12. November. www.oper-frankfurt.de

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