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„Zigeunerbaron“, trotz allem!

Leitender Feuilletonredakteur
Szene aus Tobias Kratzers Inszenierung von „Der Zigeunerbaron“ Szene aus Tobias Kratzers Inszenierung von „Der Zigeunerbaron“
Szene aus Tobias Kratzers Inszenierung
Quelle: Monika Rittershaus/ Komische Oper Berlin
Eine Operette, die „Der Zigeunerbaron“ heißt, hat es heute schwer. Trotzdem hat sich die Komische Oper zu Berlin daran gewagt. Und eine neue Lesart für dieses notorisch unterschätzte Stück gefunden.

Lange nicht mehr so oft das Z-Wort gehört. Lange nicht mehr so lange das Z-Schnitzel gesehen. Und die rote Soße, die darüber ausgegossen ist, leuchtet vermutlich bis zum zweiten Rang der Komischen Oper zu Berlin empor. Denn dort hat man sich mal wieder was getraut. Man hat das für unsere Augen und Ohren wohl verminteste Stück des europäischen Lustspielrepertoires auf die Bühne gebracht. Es hört jetzt auf den Titel „Der ,Zigeuner‘baron“. Zumindest in der Fassung von Tobias Kratzer. Aber Anführungsstriche kann man bekanntlich nicht singen. Auch nicht spielen. Was also tun? Schaun wir mal. Was gibt’s zu sehen?

Als Erstes sehen wir einen jungen Mann in Husarenuniform, dem „bunten Rock“ schlechthin, wie man zur Zeit von Johann Strauss gesagt hätte. Derangiert wirkt sie allerdings, die Uniform, zumal ihr Träger die Jacke geöffnet hat, sodass die goldenen Schnüre etwas schlaff herunterhängen. Dominik Köninger, mal mit Gelfrisur und ausrasiertem Seitenscheitel, gibt den Repräsentanten der Staatsmacht in diesem Stück als abgehalfterten Krieger, der sein Z-Schnitzel zwar nur mit viel Hochprozentigem herunterspülen kann. Doch an der Notwendigkeit von soldatischer Männlichkeit und einer klaren Aufteilung der Welt in Oben und Unten hält er eisern fest.

Und damit ist der Ton gesetzt. Damit ist der Grundgedanke von Tobias Kratzers Sicht auf den „Zigeunerbaron“ angespielt, um den sich das gesamte Regiekonzept dieser auf eindreiviertel Stunden eingedampften Operette dreht, die neben der „Fledermaus“ wohl das opernhafteste, weil musikalisch komplexeste aller Strauss-Werke ist. Und dieser Grundgedanke lautet: In den Zigeunern liegt das Heil. Sie sind es, die sich in jenem Krieg, in den die Männer am Ende des zweiten Aktes so frohgemut und abenteuerlustig ziehen, mit der größten Tapferkeit hervortun. Sie sind es auch, die in Gestalt des neu-alten Woiwoden Barinkai (mehr Django als Sándor, nämlich ein langmähniger Cowboy, der auch sängerisch eher hartgesotten als einschmeichelnd daherkommt: Thomas Blondelle) am Ende sozial gleichauf mit den Alteingesessenen in der Donaumonarchie liegen.

Einheit im Vielvölkerstaat

Ja, der „Zigeunerbaron“ ist entgegen der weitverbreiteten Meinung, die sogar der Operettenpapst Volker Klotz vertritt, kein reaktionäres Stück. Und schon gar nicht beteiligt es sich an der direkten oder indirekten Diskriminierung einer Bevölkerungsgruppe im Habsburgerreich, die vor allem im aufmüpfigen Kronland Ungarn von alters her (das Stück ist im 18. Jahrhundert angesiedelt) eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Es ist vielmehr, 1885 uraufgeführt, ein Stück, das die innere Einheit eines Vielvölkerstaates heraufbeschwört und feiert.

Eine Einheit, die zwar auch (und anders, als wir Demokraten uns das heute wünschen) mit „Blut und Eisen“ hergestellt wird, aber nicht nur. Sondern eben auch durch Aufmerksamkeit für die Vielfalt der Kulturen, Traditionen und Mentalitäten, die in diesem Vielvölkerstaat leben.

Und das drückt sich, wie es sich für eine Operette gehört, auch musikalisch aus. Die eindrucksvollste Nummer des unsterblichen Publikumslieblings ist ja nicht von ungefähr die große Arie des Zigeunermädchens Saffi gleich im ersten Akt. Und wenn jetzt an der Komischen Oper Mirka Wagner ihr „Oh, habet Acht vor den Kindern der Nacht“ singt, dann lässt der Regisseur sie ganz vorn an der Rampe diese Selbstbehauptungsbekundung von sich geben. Mag sie auch mit Gruselklischees spielen („Mann, gib Acht auf dein Pferd; Frau, gib Acht auf dein Kind!“), so ist diese Saffi, so energisch und stolz, wie Mirka Wagner sie verkörpert, im Grunde so etwas wie die Schwester der Ortrud, die im zweiten Akt von Richard Wagners „Lohengrin“ ihre „entweihten Götter“ anfleht.

Endlich ernst genommen

Man kann sich fragen, ob die Repräsentanten der bereits Integrierten in diesem Stück wie vor allem der Schweinezüchter Zsupán (rossinihaft überdreht darf Philipp Meierhöfer im dritten Akt seine aus dem Feld mitgebrachte Kriegsneurose ausagieren) unbedingt als bourgeoise Karikaturen angelegt werden müssen. Aber dass Kratzer auf jeglichen Folklorekitsch für seine Charakterisierung der Zigeuner verzichtet, ihnen vielmehr, auch wenn sie im Kollektiv auftreten, Würde und Individualität belässt, das leuchtet ein, mehr noch: Es erweist diesem Stück einen großen Dienst, weil es damit endlich einmal ernst genommen wird.

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Musikalisch lässt die Aufführung allerdings zu wünschen übrig. Operettenseligkeit ist nicht! Das liegt schon daran, dass die vielen Binnenstreichungen in den Ensemblenummern das Eingrooven in den schwelgerischen Schmelz der Partitur unmöglich machen. Auch gibt es Koordinationsschwierigkeiten zwischen den Sängern und einem Orchester, das Corona-bedingt auf die Hinterbühne verbannt ist. Das klingt dann manchmal reichlich matt. Manch Zuckerguss wie der Hochzeitskuchen-Chor ist ja vielleicht tatsächlich in einer Inszenierung, die soziale Konflikte in den Vordergrund rückt, mal entbehrlich. Aber andere Höhepunkte fehlen schmerzlich.

Wer von der Komischen Oper Krach und Krawall, Sexappeal und erotisches Knistern erwartet, wenn es um Operette geht, kommt dieses Mal jedenfalls kaum auf seine Kosten. Dafür wird ihm ein Stück neu erschlossen, das er vielleicht doch nicht so gut kannte, wie er immer dachte.

»Der ›Zigeuner‹baron« an der Komischen Oper Berlin
Ohne Männer lebt es sich ganz ungeniert, und auch Frauen von 1885 können mal eine rauchen (Dominik Köninger passt trotzdem auf): Szenenbild aus „Der ‚Zigeuner‘baron“
Quelle: Monika Rittershaus/ Komische Oper Berlin

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