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„Ariadne“ zur Wiedereröffnung der Oper Frankfurt: Leben musst du, liebes Leben

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Ambur Braid als Ariadne.
Ambur Braid als Ariadne. © Barbara Aumüller

„Ariadne auf Naxos“ in einer beschwingten konzertanten Aufführung im Frankfurter Opernhaus.

Das Spektakulärste an dieser konzertanten Aufführung ist die Verbindungslinie, die mit selten gehörter und gesehener Deutlichkeit von der „Salome“ direkt zur „Ariadne auf Naxos“ reicht. Wie in der „Salome“ ohne Unterlass von Liebe die Rede ist, aber der Tod regiert von Anfang an, so gibt es diesmal keinen Augenblick lang Zweifel daran, dass für Ariadne der nächste Gott gegangen kommt. Zerbinetta hat es ausführlich angekündigt, aber während Ariadne traditionell gleichwohl von Kopf bis Fuß auf Tod eingestellt ist, wirkt Ambur Braid bei Bacchus’ Erscheinen wie eine erwachsen gewordene Salome, eine lachende, lebensgierige Salome vor einem Happyend.

Das ist ein Wahnsinnseindruck, zumal Bacchus AJ Glueckert ist, der Herodes aus Barrie Koskys Frankfurter „Salome“-Inszenierung. Wie diese hier nachschwingt, ehrt Regisseur und Duo.

Wer sagt, sie sei duldsam?

Musikalisch sind das große Auftritte: Die Kanadierin Braid gibt ihr Rollendebüt, hochdramatisch und auffahrend der Sopran und das Gebaren, freilich sagt auch niemand, dass Ariadne eine duldsame und gemessene Dame sein muss. Wenn Ambur Braid, und das passiert ihr nicht oft, die Luft nicht richtig einteilt und sich kürzer fassen muss, lässt das Richard Strauss’ lange, fordernde Melodielinien nur umso imposanter hervortreten. Brillant und sicher die Spitzentöne, was auch für den kurz, aber vehement geforderten Tenor gilt. Glueckerts Stabilität in den drucklos sich öffnenden Höhen ist wunderbar. Und kein siegfriedischer Prahlhans ist auf der wüsten Insel angelandet, sondern ein neugieriger, ziviler Mann.

Der Abend begnügt sich aber noch nicht mit diesem gut gelaunten, lebenszugewandten Liebespaar. Zwiespältig das Ende, wir kommen darauf zurück.

Tatsächlich sollte an der Oper Frankfurt Strauss’ „Salome“ in Koskys dichter Inszenierung wiederaufgenommen werden. Der Berliner Dirigent Thomas Guggeis war dafür engagiert und demonstrierte nun, dass er auch für die schlankere „Ariadne“-Partitur zu Hugo von Hofmannsthals genialem Text einen mitreißenden und gut kontrollierten Zugang fand. Die Aufführung zum Neustart nach dem Lockdown ist so belebt wie irgend möglich. Im Rücken des Dirigenten und vor dem in die Tiefe des Bühnenraums verteilten Orchesters (alles durchgefeilt, wie eine Mannschaftsaufstellung) entsteht eine ordentliche Spielfläche. Guggeis ist für Sängerinnen und Sänger offenbar über einen Schirm am angestammten Dirigentenplatz zu sehen, praktisch. Wenn Notenständer ins Spiel kommen, dienen sie zugleich als Requisiten, schließlich ist ein Theater der Ort des Geschehens.

Doch kein Schachbrett

Passenderweise blickt das Publikum vorerst in ein bühnengroßes Spiegelbild des Zuschauerraums. Dass die geplante Schachbrettsetzung behördlich noch scheiterte, macht den Anblick etwas trauriger als gehofft. Statt etwa 650 dürfen nur 350 in den Saal. Dafür ist zur Ouvertüre der von seinem Lehrer, Sebastian Geyer, loyal betreute Komponist schon da, gibt Guggeis letzte Hinweise, hört zu. Diana Haller aus Stuttgart ist das, silbrig-metallisch ihr angenehmer Mezzosopran, der über Höhen und Tiefen von erheblicher Reife, Fülle und Schönheit verfügt.

Im ersten Teil der pausenlosen Aufführung gestaltet sich das Spiel insgesamt nun noch etwas ungeübt – es gibt jedoch etliche Termine, und das Ergebnis ist auch nicht staubig steif, sondern jugendlich drauflos. Braid gibt zunächst die eisige Diva, Glueckert den hemdsärmeligen Tenor, Sarah Aristidou tut als Zerbinetta passenderweise so, als wäre sie sie selbst: eine selbstbewusste, junge Frau von heute. So singt sie nachher auch, brilliert mit jeder Koloratur, und auch wenn von einer Zerbinetta in Frankfurt nichts anderes zu erwarten ist, verblüfft doch die Lässigkeit bei gleichzeitiger Perfektion.

Aristidou treibt in der großen Arie auch auf die Spitze, was eine Devise des Abends zu sein scheint: Strauss’ große Musik wird transformiert in wirkliche, intensive Mono- und Dialoge, und die bühnenbildlose Aufführung kommt damit näher an die Idee des Wagnerschen Gesamtkunstwerks als manche so titulierte Bombastveranstaltung. Zerbinetta verfertigt ihre Gedanken beim Koloraturensingen. Die Clowns an ihrer Seite, Theo Lebow, Kihwan Sim und Michael Porter, singen nicht nur, sie würden tanzen und singen, sondern tanzen auch dazu, angeführt von dem unverschämt entspannten Tanzmeister Michael McCown und dem Harlekin Mikolaj Trabka, der mit exorbitanter Schuhgröße und einschmeichelndem Bariton überzeugt. Ariadnes Nymphenbegleitung sind mit Takt und reizend abschattierten Klangfarben Zanda Svede mit carmenhaftem Mezzo und die Sopranistinnen Florina Ilie und Angela Vallone (schon ein stimmiges Wiederaufnahmentrio für Brigitte Fassbaenders Inszenierung von 2013).

Kein Moment Langeweile, darauf verlässt man sich bei „Ariadne“ mit gutem Grund. Dass damit zugleich der hier von dem Frankfurter Schauspieler Peter Schröder als Haushofmeister kühl und äußerst hochdeutsch vertretene Wiener Mäzen, der unsichtbare Unsympath, recht behält: immer wieder ärgerlich.

Nun aber die Schlussvolten, die niemand für sich reklamierte, aber eigen waren sie schon. Erstens: Mit Bacchus’ Ankunft wechselt die Spiel- in eine Konzertsituation. Das hilft über Verlegenheiten beim Unzeigbaren hinweg, aber es ist auch sinnfällig – als würde von hier an die reine Musik übernehmen. Nun jedoch – der Tenor stimmt die Schlussapotheose an, Ariadne ist bereits fertig – verwandelt sich Braid zurück in die Diva, verbeugt sich schon einmal, wartet statuarisch ab, bis die Musik endlich vorbei ist. Glueckert tut es ihr nach, wippt bloß geduldiger auf den Füßen, während das Orchester die unendliche Melodie allmählich beendet. Auch der Komponist ist wieder da, man ist zufrieden, erwartet den Applaus. Das ist im Rausch der Musik eine Ernüchterung, aber auch prickelnd: Als wäre etwas zu sehen, das Profis sonst gut verstecken.

Oper Frankfurt: 20., 25., 27. Juni – am 20./25. singt Andreas Schager den Bacchus. www.oper-frankfurt.de

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