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Boitos „Nero“ bei den Bregenzer Festspielen: Die dunkle Seite der Macht

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Lucio Gallo und  Rafael Rojas
Widersacher im Kampf um Rom sind der Magier Simon (Lucio Gallo, li.) und Nero (Rafael Rojas), der in dieser Regie-Assoziationswüste auch als Messias auftritt. © Karl Forster

Arrigo Boitos vergessene Oper „Nero“ wäre durchaus ein Fall für die Bühne - vorausgesetzt, man inszeniert sie anders als bei den Bregenzer Festspielen.

Der Meister selbst hat es wohl geahnt. Beim römischen Zündel-Kaiser winkte Giuseppe Verdi ab, wie zuvor schon beim „Lear“: Was sich bei „Otello“ noch zum vielschichtigen, in die Moderne weisenden Musikdrama vollendete, dies mithilfe des genialen Textdichters Arrigo Boito, schien ihm beim „Nero“ zu weit bis zur Bühnenreife. Boito selbst nahm dann die Komposition in Angriff, tüftelte und schraubte 56 Jahre lang bis zu seinem Tod. Vier von fünf Akten waren fast fertig, Arturo Toscanini besorgte für die Scala-Uraufführung 1924 die Rest-Instrumentation. Die letzte Musiker-Ölung also für ein gescheitertes Projekt?

Traditionell kümmern sich die Bregenzer Festspiele im Festspielhaus um vergessene Schätze, die sie mit ihrem Freiluft-Spektakel finanzieren (heuer wieder Verdis „Rigoletto“). Und sie treten erneut einen sehr diskussionswürdigen Beweis an: Boitos „Nero“ entzieht sich zwar den Formen und Schemata des 19. Jahrhunderts, ist ein Scharnierwerk, das strukturelle Offenheit und das klangliche Experiment zum Prinzip erhebt. Aber es könnte funktionieren – vorausgesetzt, man bleibt dicht dran und treibt die Sache nicht drei, vier Umdrehungen weiter, wie es Regisseur Olivier Tambosi getan hat.

Niedergang der römischen Götter

Das Angebot ist ja auch zu verführerisch. Boito stellt nicht simpel einen wahnsinnigen Monarchen in den Mittelpunkt. Er entwirft das Psychogramm eines Gespaltenen, der den Niedergang der alten römischen Gottheiten zugunsten des Christentums erlebt, sich daran weidet wie am Blut seiner Gegner. Der sich als Künstler begreift und Grausamkeit als ästhetischen Aspekt. Und dem mit dem Magier Simon ein Mann gegenüber gestellt wird, der in Wahrheit die dunkle Seite der Macht verkörpert. Ein Strippenzieher, der die Wirren der religiösen Strömungen und im Kaiserkopf für eigene Ambitionen nutzt. Ein Wiedergänger Jagos, dieser Figur, die Verdi/Boito in ihrem „Otello“ fast am eindrücklichsten gelang.

Von den Massenszenen, den grausamen Spielen im Circus Maximus, lassen sich Tambosi und Bühnenbildner Frank Philipp Schlössmann nicht verführen. Diese Momente werden ins Off verbannt, bleiben Imagination eines Despoten und dröhnen aus dem Graben mit Fernchor. Auch manches andere soll an diesem dreistündigen Abend Ergebnis von Neros Synapsen-Kurzschlüssen sein: Der Herrscher erscheint vervielfacht, inszeniert sich als Christus oder im kleinen Grünen mit Stöckelschuhen, ist Heiland, Märtyrer und Schaulustiger zugleich.

Irgendwann kreist die Aufführung wie die fleißig bediente Drehbühne mit ihren Psychoräumen um sich selbst, verirrt sich in den Fallstricken ihres Konzepts, findet aus dem Assoziationswust zwischen Religiösem und Zwanzigerjahre nicht heraus. Und dass vieles so aussieht, vom schwarzen Engel über die Messiasse mit Dornenkrone bis zu Zwanzigerjahre-Gespenstern, als sei es Stefan Herheims Bayreuther „Parsifal“ entlaufen, ist fast ein Fall für die Plagiatspolizei. Kunststück: Dieselbe Kostümbildnerin, Gesine Völlm, ist hier am Werk.

Bestechendes Handwerk von Dirigent Dirk Kaftan

Was bleibt, ist das musikalische Erlebnis. Dirigent Dirk Kaftan realisiert die poröse Partitur, an der die Fliehkräfte zerren, mit bestechendem Handwerk. Energie, Klarheit, Tempo gibt es im Übermaß, Süffigkeit (die Boito auch beabsichtigte) und Raum für Melos dagegen weniger. Kaftan blickt mit den stark geforderten Wiener Symphonikern aus dem 20. Jahrhundert auf „Nero“, begreift ihn als Auftaktwerk zu Späterem.

In den Gesangspartien knüpft Boito an Verdis „Otello“ an. Für den Irrsinnskaiser braucht es ein flexibles Tenor-Großkaliber. Rafael Rojas kann das größtenteils bedienen, hütet sich dabei vor Grenzübertritten – und muss Verdi-Veteran Lucio Gallo als graustimmigem, nie zu plakativem Simon-Ekel den Vortritt lassen. Vor allem in den Frauenpartien hört man, wie schwer sich „Nero“ besetzen lässt. Sopranistin Svetlana Aksenova stößt als in Nero verliebte Asteria mit ihrem herben Sopran an Grenzen. Mezzosopranistin Alessandra Volpe als Rubria, die zwischen Christentum und römischem Volksglauben zerrissen ist, macht die Mehrfachbödigkeit der Figur dagegen auch hörbar. Etwas unschlüssiger Applaus, Jubel für Dirk Kaftan. Ehrenrettungen mögen anders aussehen, aber sie klingen weitgehend so.

Weitere Vorstellungen
am 25. Juli und 2. August.

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