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Senta-tionell: Asmik Grigorian begeistert im „Fliegenden Holländer“

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Szene aus der Bayreuther Neuinszenierung von „Der fliegende Holländer“: Asmik Grigorian als Senta.
Von ihrer Energie lebt die Bayreuther Neuinszenierung: Asmik Grigorian als Senta. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Mit „Der fliegende Holländer“ starteten am Sonntagabend die Bayreuther Festspiele. Die Neuinszenierung lebt vor allem von Asmik Grigorian als Senta. Unsere Premierenkritik:

Eine Warnung, aber so, wie man sie von dem Werk noch nicht kennt. „Den fliegenden Holländer lasst in Ruh“, singt Mary im zweiten Akt, weil sie weiß: Den Kerl hat sie sich reserviert. Für einen gezielten Schuss mit dem Gewehr kurz vor den harfenumwehten Finalakkorden. Erlösung heißt hier Rache. Für eine Familientragödie, die Regisseur Dmitri Tcherniakov im Bayreuther Festspielhaus aufrollt und die fraglos als Nordic-Talking-Thriller taugt, aber ein Problem hat – an Wagners vielschichtiges Sturmflutstück dockt sie nur punktuell an.

Regisseur Dmitri Tcherniakov wird gern für Psycho-Deutungen gebucht

Denn einst, das zeigt die (über-)bebilderte Ouvertüre, musste der kleine H., so nennen ihn die Zwischentitel, mitansehen, wie seine Mama vom Dorfobersten Daland vergewaltigt wurde. Die Mutter erhängte sich, Jahrzehnte später kommt der erwachsen Gewordene zurück in die spießige Klinker-Siedlung. Abgesehen hat er es auf Dalands Tochter. Und auf Sühne – am Ende flackert’s à la „Götterdämmerung“ überall aus den Fenstern. Doch der Rächer im weißen Seemannspulli hat die Rechnung ohne Dalands Frau gemacht: Mary erfährt bei Tcherniakov eine Aufwertung von der Amme zur dunklen Dame des Hauses.

Für seine Psycho-Deutungen wird Tcherniakov gern gebucht. Das kann, wie kürzlich beim Münchner „Freischütz“, sehr schiefgehen. Und hat, siehe Harry Kupfers legendärer „Holländer“, durchaus Bayreuth-Tradition. Von der nervenzerfetzenden Dringlichkeit dieser Deutung ist Tcherniakov allerdings so weit entfernt wie Senta von der glücklichen Ehe.

Zu mindestens 70 Prozent lebt die Inszenierung von Asmik Grigorian

Überhaupt stolpert die Premiere über viele Ungereimtheiten. Und muss sich damit immer wieder auf Asmik Grigorian verlassen, von deren Energie die Aufführung zu 70 Prozent lebt. Ihre Senta ist sensationell und die Mittelpunktsfigur. Trotzdem wird in keiner Sekunde plausibel gemacht, warum sich dieses coole, zickige, freiheitsliebende Mädchen mit Rap-Touch in diesen älteren Herrn verknallen sollte: Vaterkomplex oder nur ein seltsames Liebesspiel, das sie nicht ernst nimmt?

Sobald Erik auftaucht, wird ohnehin alles andere ausgeblendet. Dies ist, das zeigt eine minutiöse Personenchoreografie, das eigentliche Paar. Noch immer ist da Liebe zwischen dem verletzten Bullen und dem Aggro-Gör. Sein Pathos wird von ihr verlacht, und doch fühlt sie sich hingezogen. Wie dies Asmik Grigorian und Eric Cutler in ihren beiden Duett-Szenen verdeutlichen, diese An- und Abstoßungsreaktionen, an deren Ende, hätte Wagner es gewollt, auch harter Sex als Versöhnung stehen könnte, das hat enorme musiktheatrale Qualität.

Standing Ovations für Asmik Grigorian

Mutmaßlich ist das Eigenregie der beiden Beteiligten. Denn auf eine solche Senta hat nicht nur Bayreuth lange gewartet: Die Grigorian singt sich von den ersten „Johohohe“-Rufen langsam in Rage, lässt Identifikation und gleichzeitig spöttische Distanz zu Klang und in ihrer Unbedingtheit Singen zum verlängerten Sprechen werden. Gleißende Kraft bringt sie auch noch im Finale auf, und als die Litauerin vor den Vorhang tritt, reißt es 911 zugelassene Gala-Gäste von den Klappsitzen, auch das gab es in Bayreuth lange nicht mehr.

Cutler ist ihr ein idealer Partner. Mit der heiklen Erik-Lage hat er keine Probleme. Er ist technisch sogar so sattelfest, dass er für jeden Satz die passende Nuancierung hat und in der steten Reaktion auf Senta ein – auch vokal – vieldimensionales Psychogramm formt. Dass Daland der Übeltäter ist, versendet sich schnell. Georg Zeppenfelds diktionsklares Gestalten ist wieder eine Ohrenweide, trotzdem wirkt er unterfordert. Attilio Glaser könnte mühelos vom Steuermann zum Erik befördert werden. Marina Prudenskaya ist als Mary luxusbesetzt, passt damit zur Aufwertung der Figur. Nicht ganz glücklich wird man mit John Lundgren in der Titelrolle. Sein eisiger Desperado geht als Typen-Besetzung durch. Enttäuschend aber die extreme Deckung der Stimme, die Farbarmut, das hohlwangige, unstete Singen.

Jubelstürme nach der Premiere für Dirigentin Oksana Lyniv

Was alles in dieser Partitur steckt, hätte Dmitri Tcherniakov gern mit Oksana Lyniv besprechen können. Das phonstarke Aufrauschen der Ouvertüre täuscht. Andere preschen durchs Stück, verlassen sich auf den Sturm-Drang-Charme, die erste Pultfrau am Grünen Hügel entdeckt dafür Nuancen, Nachdenklichkeiten, Fragemomente, Situationen des Innehaltens, der fein gezeichneten Lyrik. Sicher ist da auch Überwältigung. Aber noch mehr erstaunt, wie Oksana Lyniv die Zweitfassung des „Holländers“ wirklich als solche dirigiert, nämlich nicht als ungebremstes Früh-Stück, sondern als neu austarierte, vor allem in den Mittelstimmen reichere Variante.

Das selbstbewusste Festspielorchester folgt ihr dabei, eine starke eigene Handschrift, ein souveränes Bewusstsein für Bayreuths Akustik ist spürbar. Dass die Chöre aus dem Probenraum zugespielt sind, merkt man kaum. Im Gegenteil: Einen solchen verhaltenen, oratorisch geformten Matrosenchor im dritten Akt vernimmt man hier selten. Heftiger Jubel für Oksana Lyniv, ebensolche Ablehnung fürs Regieteam. Spannende Momente wie das beklemmende Dinner bei Dalands und der Showdown stehen neben lose heraushängenden Konzeptfäden und einer handwerklich dürftigen Chor-Regie. Vielleicht sollte sich Tcherniakov für seine im Prinzip spannende Story einfach eine andere Oper suchen.

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