Triumph der Frauen
Frenetischer Applaus für Dirigentin Oksana Lyniv und Sopran Asmik Grigorian beim "Fliegenden Holländer" in Bayreuth

26.07.2021 | Stand 04.08.2021, 3:33 Uhr
Ihr liegt Bayreuth zu Füßen: Die litauische Sopranistin Asmik Grigorian als jugendlich-rebellische Senta mit blondierten und grün-orange-gesträhnten Haaren und mit dem Bild des Holländers in der Hand. Im Dorf ist sie ein Fremdkörper. −Foto: Enrico Nawrath / Bayreuther Festspiele

Bayreuth - Richard Wagner war fast 20 Jahre tot, als sein Sohn Siegfried zum ersten Mal das Frühwerk "Der fliegende Holländer" im Bayreuther Festspielhaus inszeniert hat.

Bei der Uraufführung in Dresden 1843 war noch kein Gedanke daran, dass der bayerische König Ludwig II. dem so oft gescheiterten, verschuldeten und vor Gläubigern und Polizei geflohenen Komponisten und Revolutionär von 1872 bis 1876 ein Theater allein für seine Bühnenwerke auf den Grünen Hügel stellen würde. Der "Holländer" ist nicht gemacht für das Festspielhaus und seinen abgedeckten Orchestergraben, er muss dort klanglich neu justiert werden.

Eine doppelte Herausforderung also für die 43 Jahre alte Dirigentin Oksana Lyniv, auf die am Sonntagabend die Augen der Welt gerichtet waren bei ihrem Debüt als erste Frau, die je eine Oper im Festspielhaus geleitet hat. Auch wenn die gebürtige Ukrainerin sagt "Das Geschlecht spielt keine Rolle", so ist ihr doch bewusst, dass ihr Erfolg oder Misserfolg ein Zeichen "für die Welt und für die Zukunft" senden wird. Das Urteil darüber fällt das Premierenpublikum beim Schlussvorhang mit euphorischem Trampeln, mit Bravorufen und Standing Ovations.

Oksana Lyniv war Assistentin bei Kirill Petrenko an der Bayerischen Staatsoper und teilt mit diesem wesentliche Auffassungen der Wagnerinterpretation. Den romantischen Klangrausch, die flächige Breite verweigert sie, eher sieht sie das Festspielorchester als Instrument, um die Texte zu illustrieren, mit einer auffallenden Fülle sensibler kleiner Variationen in Lautstärke, Tempo und Phrasierung, gelegentlich auch mit so fein gesetzten Orchestereinwürfen in die Deklamation hinein, dass es wie barockes Continuo anmutet. Wenig überraschend, dass Anhänger von Breitwandklangbildern sich über eine "überambitionierte" Darbietung mokieren.

Ob einem diese Wagnerdeutung gefällt, hängt sehr von Sozialisation und Geschmack ab. Der Schwachpunkt des Lyniv-Dirigats ist, dass Verzweiflung und Verdammnis, schäumende Wogen und peitschender Wind der Meeressinfonie-Ouvertüre auch von der Leine gelassen werden dürfen. Lyniv leitet streckenweise betont zurückhaltend, drängt aber zugleich das Geschehen voran und baut vor allem den Stimmen eine dezente Bühne - was von Fortissimo-Wagner-gestählten Hörern, Kritikern wie Sängern eine gewisse Umstellung verlangt. Die Umstellung gelingt nicht jedem gleich gut: Der schwedische Bariton John Lundgren - 2018 in Bayreuth in der Partie zu hören - hat alles, was der Holländer braucht: Fülle, dämonisch dunkle Farbe, machtvolle Spitzen, und nebenbei eine imposante Erscheinung und Körpersprache, die der Figur etwas Unheimliches verleiht. Und doch ist seine Vorstellung des Öfteren zu routiniert, zu wenig zupackend.

Ganz anders Georg Zeppenfeld als Daland. Sein Bass hat die Gravität und Gewandtheit, um der Kaufmannsseele Würde und Leichtigkeit zu geben. Seine sonore Tiefe ist legendär, seine Artikulation kann Kollegen als Vorbild dienen.

Star des Abends wird die gebürtige Litauerin Asmik Grigorian, die in ihrem Rollendebüt als Senta dort weitermacht, wo sie 2018 bei den Salzburger Festspielen als Salome Schwung genommen hat. Zu ihrer schauspielerisch intensiv-exzentrischen Darstellung des Outlaw-Mädchens, das sich dem braven "Summ-und-brumm"-Spinnerlied verweigert und lieber morbide Balladen von verfluchten Typen singt, kommt eine Stimme, die für Senta, wie sie die Tradition kennt, fast schon zu explosiv ist. Grigorian singt die Partie jugendlich und hochdramatisch, mit drastischem Furor - ein fulminanter Auftritt. Mehr noch als der Dirigentin Oksana Lyniv liegt das Publikum der Sopranistin zu Füßen. Auch Eric Cutler als Erik, Marina Prudenskaya als Mary und Attilo Glaser als Steuermann bieten sängerisch feine Leistungen und werden gefeiert.

Unverschämt sind die vereinzelten und - umso frappierender - hartnäckigen Buhs gegen den Festspielchor und Leiter Eberhard Friedrich. Gut möglich, dass die Buhs nicht als künstlerische, sondern als politische Äußerung zu verstehen sind: Im Beisein des Kunstministers, des Ministerpräsidenten und der Kanzlerin Dampf ablassen gegen die Hygieneregeln, die es nötig machen, dass die eine Hälfte des Chores stumm auf der Bühne spielt, während die andere Hälfte von einer Probenbühne aus singt und übertragen wird.

So wie Wagner mit dem "Fliegenden Holländer" seinen Weg einschlägt zum deutschen Musikdrama als Anti-Belcanto, so deutet Regisseur Dmitri Tcherniakov die "Romantische Oper" zur nachgerade Anti-Romantischen um: Schiffe mit blutroten Segeln, Klippen, Wogen kommen nicht vor, ebenso wenig Matrosenanzüge in Elena Zaytsevas muffig-beigen Kostümen. Der Regisseur und zugleich Bühnenbildner setzt die Oper in ein kleinbürgerliches Küstendorf, in der Hauptsache spielt die Handlung in der Kneipe, auf der Straße und in Dalands Platzangst erzeugend engem Wintergarten.

Dieser Holländer ist nicht verflucht, weil er den Teufel herausgefordert hat, er hat ein Kindheitstrauma, musste er doch zusehen, wie seine Mutter sich - nach einer Affäre mit Daland geächtet - erhängt (so erzählt es Tcherniakov in der Ouvertüre). Nach sieben Jahren kehrt er in seine Heimat zurück und sucht Rache. Senta wiederum will keine Geister erlösen, sondern fühlt sich als Außenseiterin zu einem Mann hingezogen, der noch mehr Außenseiter ist als sie. Das Buhgewitter gegen die Regie ist angemessen, weil sie mit ihren Bildern kalter Bürgerlichkeit und kalter Rache am Wesen des Textes wie auch der Musik vorbeigeht.

DK

ZUR PRODUKTION

Theater:

Bayreuther Festspielhaus

Regie und Bühne:

Dmitri Tcherniakov
Kostüme:

Elena Zaytseva

Vorstellungen:

31. Juli, 4./7./11./14./ 20. August, Beginn je um 18 Uhr

Aufzeichnung des BR

zu sehen bis 31. Dezember.

Kartentelefon:

(0921) 7878780