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Richard Wagners Frühwerk als Rachedrama mit zwei starken Frauen

Spiel mir das Lied vom Holländer

Bayreuth

Die Bayreuther Festspiele sind zurück: Nach dem von Corona erzwungenen Pausenjahr gab es auf dem Grünen Hügel wieder eine Premiere. Und ein reduziertes, aber emphatisch reagierendes Publikum.

Von Harald Suerland

Trautes Heim? Der Holländer (John Lundgren, v.l.) soll bei Mary (Marina Prudenskaya) und Daland (Georg Zeppenfeld) einheiraten. Senta (Asmik Grigorian) wirkt nicht begeistert.
Trautes Heim? Der Holländer (John Lundgren, v.l.) soll bei Mary (Marina Prudenskaya) und Daland (Georg Zeppenfeld) einheiraten. Senta (Asmik Grigorian) wirkt nicht begeistert. Foto: Enrico Nawrath/Festspiele Bayreu

In dem kleinen Küstenort sitzen die Leute gern zusammen, um zu trinken und sich Geschichten zu erzählen. Ein alter Seebär ist darunter, ein junger, nicht ganz trinkfester Steuermann – und ein Fremdling, der eine Runde schmeißt und unheimliche Absichten verfolgt. Keiner versteht so recht, was er da dunkel von jahrelanger Abwesenheit raunt. Hauptsache, dieser Holländer hat Geld, denkt sich Seebär Daland. Da kann man ihm ja die Tochter Senta als Braut schmackhaft machen.

Handfest geht es zu auf der Bayreuther Festspielbühne im Jahr 1 nach dem kompletten Corona-Ausfall. „Der fliegende Holländer“ war für dieses Jahr ohnehin vorgesehen, er wurde jetzt zum freudig erwarteten Beginn des Neustarts. Weshalb die gut 900 Zuschauer im halb gefüllten Haus gefühlt ebenso lauten Beifall und Getrampel spendeten wie ein vollständiges Festspiel-Publikum. Und auch das Buhkonzert klang fulminant.

Der allseits geschätzte Regisseur Dmitri Tcherniakov ließ nämlich in seinem eigenen Bühnenbild, einem leicht surrealen René-Magritte-Städtchen mit beweglichen Häusern, ein Rachedrama ablaufen, dessen Vorgeschichte er zur Ouvertüre zeigte: Eine moralisch recht bewegliche junge Frau wurde dort von der Gesellschaft geächtet und in den Selbstmord getrieben; ihr kleiner Sohn konnte nur noch die zuckenden Füße der Erhängten erblicken. Keiner weiß, was aus ihm wurde. Aber wie in so manch großer Geschichte vom „Besuch der alten Dame“ bis zu „Spiel mir das Lied vom Tod“ kehren die Opfer von einst mit perfiden Racheplänen zurück.

Die Geschichte passt nicht schlecht zu Richard Wagners früher Oper, und wie Daland in trauter Runde den fremden Gast im Erker zum Essen bittet und unwissend den Rächer ins Zentrum seiner Absichten holt, ist schon schön anzuschauen. Allerdings geht es dann im dritten Akt, wenn sich plötzlich die Handlanger des Holländers in die feuchtfröhliche Gemeinschaft mischen und die Handlung mit allerlei Schüssen an ihr Ende kommt, doch allzu handfest zu: Der Regisseur holt Wagners Erlösungswahn des Mannes durch das Opfer einer Frau recht rabiat auf den Boden der blutigen Rache, in der auch eine andere, sonst eher unbedeutende Figur mitmischt, Sentas Amme Mary. Kein Wunder, dass er reichlich Buhs erntete: Das hat man gesehen, kapiert und rasch abgehakt.

Tcherniakov selbst wurde im Gegensatz zu seinem „Holländer“ von zwei Frauen – nun ja, nicht gerade erlöst, aber vor dem Vorhang getröstet. Dirigentin Oksana Lyniv, die als erste Frau am Bayreuther Pult Ovationen erntete, und Sopranistin Asmik Grigorian, in deren Senta sich das Publikum geradezu schockverliebte, herzten ihn nach Kräften. Beide hatten sich die Beifallsstürme redlich verdient: Lyniv führte das Festspielorchester zu einem detailreichen, die Sänger flexibel begleitenden Musizieren, und selbst die heikle Aufgabe, den aus dem Off singenden Chor zu inte­grieren (auf der Bühne agierte ein Teil von ihm stumm, um den Corona-Auflagen zu genügen), meisterte sie fabelhaft. Dass die populären Chorpartien des dritten Akts eher verhalten als knallig überkamen, fand allerdings nicht bei allen Zuhörern Gegenliebe.

Und Asmik Grigorian? Die gefeierte Salzburger „Salome“ verfügt über die Fähigkeit, ihren leuchtenden Sopran nicht in die Höhe drücken zu müssen, sondern gleichsam zu öffnen – dadurch kann sie sogar heikel komponierte Stellen wie Sentas Ballade weich und klangvoll ansetzen. Dass sie darüber Legato und die Farben in der Tiefe nicht vernachlässigt, macht die Sache um so schöner. Die Vehemenz, mit der sie Senta als aufmüpfiges Mädchen spielt, dem der Deal mit dem fremden Holländer sehr seltsam vorkommt, macht das Rollenporträt perfekt. Da muss sich auch der stimmgewaltige John Lundgren in der Titelpartie mit dem kleineren Applaus begnügen. Wie immer eine Bank: Georg Zeppenfeld, der einst in Münster begann, als Daland.