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Die Walküre. Foto: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Die Walküre. Foto: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
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Aktionskünstler Hermann Nitsch als später Wagner-Interpret – „Die Walküre“ bei den Bayreuther Festspielen

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Es war ein kühner Entschluss von Festspielleiterin Katharina Wagner, in diesem Sommer auf Bayreuths Hauptwerk, den „Ring des Nibelungen“, nicht ganz zu verzichten, sondern alle vier Teile individuell neu anzureißen und für die komplette „Walküre“ den heftig umstrittenen Aktionskünstler Hermann Nitsch einzuladen: in der nur in diesem Sommer zu erlebenden Visualisierung ist „das Publikum Teil des Kunstwerks“ und „jeder Abend anders“ (Katharina Wagner).

Beim Betreten des Zuschauerraums ist der Hauptvorhang bereits geöffnet, die Bühne strahlt in hellem Licht, welches sich während der ersten beiden Aufzüge als Einheitsstimmung nicht verändert. Auf dem weiß ausgelegten Bühnenboden erhebt sich ein Triptychon aus weißer Leinwand, etwa 20 Farbeimer sind vertikal aufgereiht, vorne warten weißfarbige Stühle auf die Solist*innen. Mit Auftrittsapplaus (den es sonst in Bayreuth nie gibt), treten diese in schwarzen Einheitsgewändern mit langen Ärmeln in Erscheinung.

Anfangs betrachtete der Rezensent jeden einzelnen Schütteinsatz der zehn Assistent*innen von Hermann Nitsch, die teils von der Oberkante nach unten, auf den Bühnenboden fließenden Streifen in unterschiedlichen Farben sowie die auf den beiden Bühnenseiten angemischten Farbeimer, die auf die Grundfläche des Bodens geschüttet werden. Beim erneuten Übergießen decken die Farben total, ja selbst eine schwarze Wand, mit Weiß übergossen, kann wieder völlig weiß werden.

Diese Farbigkeit soll nach der Meinung des „Wolluststrom“-Künstlers Nitsch, der sich bei der Pressekonferenz als leidenschaftlicher Wagner-Liebhaber geoutet hatte, der Farbigkeit von Wagners Musik entsprechen. Hinsichtlich der Tonarten-Symbolik ist ein solcher Vergleich nicht haltbar; aber hinsichtlich der Vielfalt der thematischen und kontrapunktischen Arbeit in Richard Wagners Partitur mag jene Gleichsetzung angebracht erscheinen.

Die Solist*innen singen glücklicherweise auswendig und vermitteln ansatzweise das dramatische Spiel – auch ohne spezifische Anleitung. Aber von Richard Wagners Definition der Anarchie der Bühne, welche anlässlich seiner „Parsifal“-Uraufführung gewaltet habe, indem ohne Anleitung jeder das Richtige getan hätte, ist dieser Abend denn doch erheblich weit entfernt. Beispielsweise singt das inzestuöse Wälsungenpaar händchenhaltend, mit finaler ausgiebiger Umarmung bis zum Black-out und fallendem Wagnervorhang.

Überschreibungen, Überschüttungen

Hermann Nitschs „Malaktion“, parallel zu Wagners Musik, leitet der 1938 in Wien geborene Künstler aus Prinzendorf live, indem er, neben dem Inspizienten sitzend, mit Zeichen und Farbtafeln Anweisungen an seine zehn Assistent*innen erteilt. Das Programmheft listet Nitschs Geschmacks- und Geruchsmotive und die zugeordneten Farben auf. Bei allem obwaltenden Zufall ist ein ordnendes Prinzip zu erkennen. Die geschütteten Streifen gemahnen an die Strichcodes der digitalisierten Welt – oder mythisch an Schicksalsfäden.

Wenn Nitschs Assistenten, womöglich im Duktus der aggressiven Musik, mit Power ihre Eimer in Richtung der Sänger schleudern, diese aber nicht treffen, so besitzt dies einen eigenartigen Reiz. Im dritten Aufzug malen zwei Damen mit bloßen Händen rosafarbene Flächen auf das Bodentuch, und das Triptychon wird nun erstmals auch von unten angeschüttet, zunächst mit textlichem Bezug zu Brünnhildes Worten über das bevorstehende schmerzvolle Gebären Sieglindes, dann auch bei Wotans „In festen Schlaf schließ‘ ich dich“; die geschütteten roten Kreise auf der Rückwand assoziieren immer deutlicher einen Feuerring für die schlafende Brünnhilde.

Hermann Nitsch ist insbesondere bekannt für sein Orgien-Theater mit Farbe, Blut, Eingeweiden und nackten, häufig auch gekreuzigten Körpern. In der „Walküre“ ist diese szenische Komponente reduziert auf eine gekreuzigte, bekleidete Frau, die am Ende von Brünnhildes Todverkündung am Kreuz aufgerichtet wird und wohl Bezug nimmt auf das bevorstehende Leid der Sieglinde. Ganz am Ende des Abends dann doch ein bisschen mehr an Nitsch-Ikonographie: Eine weiß gekleidete Frau wird auf einem Kreuz in die Bühnenmitte getragen und auf den imposanten farbigen Boden gelegt, während dahinter eine barbusige Nitsch-Priesterin ihre Monstranz hochhebt.

So setzten dann nach Verklingen der Musik und einer erfreulich langen Stille im Auditorium neben Bravorufen auch gleich Buhrufe ein, die sich beim Applaus-Auftritt des greisen Mal- und Orgien-Meisters steigerten, die aber auch den Dirigenten trafen.

Denn Pietari Inkinen ist im mystischen Abgrund merklich noch nicht zu Hause, seiner Interpretation fehlt (noch) der große Bogen und fehlen auch die besonderen Höhepunkte; so gesehen mag es gut sein, dass noch nicht der komplette „Ring“-Zyklus herausgekommen ist, sondern dass der Dirigent diese drei separaten „Walküre“-Aufführungen nutzen kann, um sich mit der besonderen Akustik des Bayreuther Festspielhauses vertraut zu machen und ein eigenes deutliches Profil zu entwickeln.

Da das Walküren-Oktett (textlich nicht besonders homogen) noch über keine Choreografie verfügt, treten die acht Künstlerinnen als Gruppe in einer Reihe gemeinsam auf und erinnern damit an Wieland Wagners eigenwillige Lösung für den Anfang des 3. Aufzugs seiner „Walküre“-Inszenierung in Stuttgart, als Wotans stehendes Heer – eine Lösung, die Wieland Wagner nicht nach Bayreuth übernommen hatte, feiert an diesem Abend fröhliche Bayreuth-Urständ.

Unter den Solisten fällt der finstere Bass von Dmitry Belosselskiy als Hunding positiv auf, mit einem Stimmorgan, das an den legendären Gottlob Frick erinnert. Bewusst leicht und lyrisch geht Klaus Florian Vogt die Partie des Siegmund an, vermag aber auch die dramatischen Erfordernisse zu gewährleisten. Sehr viel gewichtiger, manchmal zu laut und mit wenig Textverständlichkeit gestaltet Lise Davidsen die Sieglinde. Christa Mayer intoniert die Fricka sehr schön aber mit wenig emotionalem Tiefgang. Iréne Theorien beherrscht die Rolle der Brünnhilde im Schlaf – aber in der entstandenen Routine herrschen Vokalketten auf Kosten der Konsonanten vor – und offenbar hat der junge Dirigent von den Solisten, und schon gar nicht von dem langjährigen Profi, Textverständlichkeit eingefordert.

Zwischen Generalprobe und Premiere hatte der Bassist Günther Groissböck die Partie des Wotan abgesagt, nicht nur für dieses Jahr, sondern überhaupt für den neuen „Ring“. Für die diesjährige Premiere der „Walküre“ eingesprungen ist Tomasz Konieczny, der die Partie gut studiert hat, mit viel Charakterisierung operiert, häufig aber zu grob zu Werke geht und über wenig Stimmschönheit verfügt.

Grundsätzlich ist diese „Walküren“-Besetzung bereits jene der kommenden Neuinszenierung; ob dies auch für die Partie des Wotan zutrifft, wird sich zeigen. Seit Juni dieses Jahres probt das Regieteam bereits mit den Solist*innen. Nach Aussagen des Regisseurs Valentin Schwarz entsteht das Epos einer Familie, deren Mitglieder sich auf einem Landsitz aufhalten – „wie ein Marathon am TV, wo man nicht abschalten kann, sondern die Fortsetzung erleben will, das Zusammenspiel der Figuren über die Zeiten, wie die Welt entsteht und vergeht.“ Mit dem gemeinsamen Wohnsitz der Protagonist*innen erinnert diese Konzeption spontan an den Kopenhagener „Ring“ in der Inszenierung von Kasper Bech Holten. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Parallele auch in der Bühnen-Realität bestätigen wird.

  • Weitere Aufführungen: 3. und 19. August 2021.

 

 

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