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Wind. Foto: © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler
Wind. Foto: © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler
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Klangleerer Welt-Liebes-Traum – Alexander Moosbrugger scheitert in Bregenz mit „Wind“

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Nicht nur „2 G“-Kontrollen bei den Bregenzer Festspielen, nachdem die von Brigitte Fassbaender betreute und inszenierte Studio-Produktion von Rossinis „Italienerin in Algier“ wegen einer Infektion im Ensemble komplett abgesagt werden musste: zur Maske auch klinisch weiße Überzüge für die Schuhe der Besucher der Werkraumbühne. Doch das hatte auch szenische Gründe…

Der 1972 im Bregenzer Wald geborene Alexander Moosbrugger ist ausgebildeter und inzwischen europaweit anerkannter Organist – mit in Philosophie, Bildende Kunst und Architektur ausgreifenden Ideen. Er erlebte das Außen und Innen umfassende „Theatrum Anatomicum“ zur Feier des von Peter Zumthor zu internationalem Ruhm gekommenen Kunsthauses Bregenz. Dieses „Ausgreifen“ hat Moosbrugger wohl dazu verführt, das 1499 erschienene Renaissance-Wunder-Buch „Hypnerotomachia Poliphili“ als Kompositionsthema zu wählen: ein dickes, mit 172 phantastischen Stichen bebildertes Rätsel-Buch, das auch 1999 auf einem Kongress nicht wirklich entschlüsselt werden konnte.

Ganz verkürzt: ein Traum, der Poliphilo in einer wahren Odyssee durch allen Zauber und Horror von Welt und Traum zu seiner geliebten Polia führt – und sich als Traumgespinst erweist. Daraus haben Moosbrugger, die in der ganzen Welt renommierte Orgelfirma Rieger mit 172 speziellen Orgelpfeifen, das SWR-Experimentalstudio und die Bregenzer Festspiele nun den 90-minütigen, pausenlosen „Wind“ geformt.

Die „Intermediale Inszenierung“ von Leonora Scheib fand in einem klinisch weißen Raumgeviert von Flaka Haliti statt: zwei gegenüberliegende Stufenpodeste für die rund 200 Besucher; auf 16 weißen, zum Teil auf und abfahrbaren Pfeilern unterschiedliche Orgelpfeifen, gesteuert von zwei SWR-Elektronikspezialisten, aus dem Off von Michael Wendeberg am Klavier per Video dirigiert, samt dem klassisch besetzten Quatuor Diotima ergänzt, die von den sieben Sänger-Schauspielern mehrfach auf der Spielfläche zwischen den Sitzpodesten umgesetzt wurden. Die durchweg in weißen Togen „abstrahierten“ Figuren sangen in zeitgenössischer Stimmführung, rezitierten in Deutsch, Italienisch und Englisch. Als Requisiten wurden Blumenkohlköpfe (als Gehirne?), Metallstäbe als Speere und auch als Polias Angel und gelegentlich Fotokopien eines antiken Antlitzes genutzt. Auf den weißen Plastikwänden waren Text-Teile und dann Renaissance-Bildschnipsel projiziert. Gesamtergebnis: zu wenig erzählend, spielerisch blutleer, von Renaissance-Sinnlichkeit aber auch keine Spur.

Zusätzlich grundlegend enttäuschend aber war Moosbruggers Orgel-Komposition: ein herausragender Aufwand, der sich nur nicht entfalten durfte. Da fuhren nach rund 75 Minuten zwei Wandteile auf und gaben den Blick auf meterhohe hölzerne (alte?) Orgelpfeifen frei – und es folgte: Gesäusel, kein Klangraum, weder bezaubernd noch überwältigend – so wie zuvor die Liebesbegegnung weder vokal noch klanglich und damit auch nicht emotional stattfand. Als Text stand einmal „Verschlupfwinkelte Ohren“ an der Seitenwand: eher schade! Und auch die Aufforderung, dass das Theater verstummen soll – nein! Genau das Gegenteil! Diesem Welt-Liebes-Träumer Moosbruggers ist so nicht zu helfen. Orgelliebhaber: auf zu Charles Widor und weiter bis herauf zu Cameron Carpenter!

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