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Ensemble. Foto: Monika Rittershaus
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„Naja“-Amüsement – Die Oper Frankfurt mit Carl Nielsens „Maskerade“

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„Nicht-ich-selber-Sein“, sich zumindest äußerlich in eine*n andere*n zu verwandeln – das durchzieht die Menschheitsgeschichte. Wenn dadurch ein soziales Höher und Tiefer, ein Überwinden gesellschaftlicher Konventionen, Standesgrenzen und gar von Gesetzen möglich wird, dann kann es Revolution geben – oder eben Komödie. Die formte 1724 Ludvig Holberg in einem dänischen Schauspielerfolg. An den wollte 1906 Carl Nielsen mit seiner komischen Oper in Kopenhagen anknüpfen.

2005 versuchte ein Team um David Pountney mit enormem Aufwand, Nielsens Komik bei den Bregenzer Festspielen zum Erfolg zu verhelfen. Auch die Oper Frankfurt unternahm jetzt große Anstrengungen. Völlig richtig entschieden Intendanz und Regie-Team um Tobias Kratzer, dass Komödienwitz sofort verstanden werden muss: also deutsche Sprache - mehr noch: auf einem fast bühnenbreiten Balken mitten in der Szene wurde der Text situations- und taktgenau, sogar samt Wiederholungen projiziert – „Zentraltitel“. Der bühnen- und musical-erfahrene Martin Berger war mit einer neuen Textfassung beauftragt. Er stellte sich der Herausforderung, wie im Schauspiel und Opernlibretto auch jetzt auf Deutsch zu reimen – leider auch mit „Schicht im Schacht“ und „Schuss ins Bein“ bis zu „geil“, also ein „naja“-Ergebnis zwischen Bemühung und Lustigkeit.

Regisseur Kratzer ließ alle maskierte Gesellschaftskritik des 18. Jahrhunderts oder von 1900 beiseite: Konflikte wie Söhne gegen Väter, Ehefrauen gegen erstarrte Konvention, Frauen gegen Männerdominanz, Arm gegen Reich sind zeitlos – so auch Rainer Sellmaiers grauer, offener Bühnenraum, dessen drei Wände sich mit vielen Türen für turbulent schnelle Auf- und Abtritte öffnen. Es ist auch ein Seelenraum, denn Nielsen hat neben vielerlei maskierten Tänzen auch kleine choreografische Zwischenspiele komponiert – bildungsbürgerlich um griechisch-mythologische Figuren kreisend und in einem diesseitigen „Hahnentanz“ gipfelnd“ (Choreografie: Kinsun Chan). Im Zentrum steht der Plan zweier alter Patriarchen, ihre Kinder zwangszuverheiraten – Protest der Jungen, denn die beiden haben sich auf einer Maskerade jeweils sterblich verliebt – wie sich am Ende herausstellt: Wie Büchners Leonce und Lena schon „richtig“ ineinander. Das führt Kratzer in Sellmaiers Masken- und Kostümopulenz sehr aktionsreich vor. Der von Tilman Michael sicher einstudierte Chor mischte da bruchlos mit. Doch es blieb bei einem „Naja“-Amüsement.

Fast ungetrübte Freude verbreitete die musikalische Seite. Dirigent Titus Engel langte mit dem hörbar gut aufgelegten Museumsorchester ein paar Mal zu kräftig hin, dafür entfaltete sich Nielsens Witz in kleinen solistischen Instrumentalkommentaren, in schwelgerischen Melodien und schäumenden Ensembles; der Nachtwächter aus Wagners „Meistersingern“ grüßte herein; der gewitzte Diener Henrik sollte zwar an Figaro erinnern, blieb aber ein schräger Hallodri – was nicht an Liviu Holender lag, denn er wie alle übrigen Solisten sangen erstklassig und machten alles Rennen, Fallen, Liegen und Sich-Verbiegen sichtbar angetan mit – voran der liebend strahlende Leander-Tenor Michael Porter. Einhelliger Beifall, ein paar Buhs für Text-Reimer Berger – und eine ordentliche Enttäuschung durch zu wenig Lachen.

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