Tschaikowskys "Mazeppa" : Der verlogene Zar einer unabhängigen Ukraine
Die „Nacht der Qualen“ senkt sich fürchterlich herab: Die Posaunen blasen tief und apokalyptisch, die Pauke brüllt, die Streicher kreischen. Was über den Gutsbesitzer Kotschubej hereinbricht, ist die Hölle: Kotschubej wird ein zweites Mal der Folter zugeführt, damit er nach gelogenen Geständnissen auch noch den Verbleib seines Vermögens preisgibt. Peter Tschaikowsky, nicht nur Kenner menschlicher Höllen, sondern auch ausgefuchster Dramatiker, wird unmittelbar anschließend den Kosakenführer Mazeppa, der die Folter veranlasst hat, als zartfühlenden, liebenden Mann vorführen. Mit denkbar größtem Kontrast: Auf die abgrundtiefe Düsterkeit von Pauke und Posaunen antwortet der Silberglanz der Holzbläser. In höchster Lage spielen Flöte, Klarinette und Oboe im Choral, klingendes Sternenlicht erfüllt die „ukrainische Nacht“, die Mazeppa nun besingt, im Schoß der Natur, fern menschengemachter Höllen. Und wie bei der konzertanten Aufführung von Tschaikowskys Oper in der Berliner Philharmonie der großartige Bariton Vladislav Sulimsky nun die weichsten, tenoral strahlenden Seiten seiner Stimme präsentiert und nicht nur die Nacht besingt, sondern auch seine Geliebte Maria (deren Vater er soeben foltern lässt), ist die Verwirrung beim Betrachter perfekt. Kann ein so zartfühlendes Herz Böses tun? Selbstverständlich.