„Otello” in Neapel :
Die Mörder sind unter uns

Von Klaus Georg Koch
Lesezeit: 4 Min.
Eifersucht in einer heutigen Armee im Nahen Osten: Otello (Jonas Kaufmann, links) erwürgt Desdemona (Maria Agresta)
Stéphane Lissner versucht, in der verarmten Stadt Neapel das Opernhaus zu einer „sozialen Plattform” zu machen. Mit Giuseppe Verdis „Otello” findet er, nicht nur dank Jonas Kaufmann, Anschluss an Europa.

Anfang Oktober erlaubte sich der in Paris erscheinende Le Figaro, Neapel als „die Dritte Welt in Europa“ zu bezeichnen. Für die offensichtliche Armut Neapels, für seine Desorganisation und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit hätten sich auch andere Namen wählen lassen. Aber das zwischen Exotismus und Zurückweisung schillernde Wort war eben nicht nur der rhetorische Clou einer sachlichen Analyse. Es rührte in der Wunde eines Beziehungsproblems. Viele Italiener sehen sich Europa mit seinen zivilisatorischen Ansprüchen in einer Art Hassliebe verbunden, andererseits empfängt die Stadt ihre Besucher mit außergewöhnlicher Herzlichkeit. Jetzt kulturell verstoßen, auf dem eigenen Kontinent für exterritorial erklärt zu werden, das schmerzt.

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