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OPERN-KRITIK: KOMISCHE OPER BERLIN – KATJA KABANOVA

Gift statt Ertrinken

(Berlin, 27.11.2021) Partiendebüt und Psychothriller: Sopranistin Annette Dasch krönt einen grandiosen Janáček-Abend des idealen Zusammenspiels von Charakteren, sängerischer Erschließung und Einfühlungsvermögen.

vonRoland H. Dippel,

Mit dem Satz „Ich kann ja nicht schlafen.“ beginnt dieser großartige Opernabend richtig – alles bis dahin schien wie sämiges und stellenweise verlangsamtes Vorgeplänkel. Jetzt hört man von Annette Dasch zum ersten Mal das für sie so charakteristische Pianissimo – mehr als schön, genau am Text und mit packenden Zwischentönen. In der Titelpartie von Leoš Janáčeks 1921 in Brünn uraufgeführter Oper nach Alexander Ostrowskis Drama „Gewitter“ von 1859 sind es im Idealfall besonders viele und vor allem subtile. Die Protagonistin ist eine an ihrer Schwiegermutter und dem Notalkoholiker-Gatten leidende Frau – in angesehener gesellschaftlicher Stellung, irgendwo an der Wolga. Für Annette Dasch war Katja Kabanowa das richtige Partiendebüt zur richtigen Zeit und in einem kongenialen künstlerischem Umfeld.

Annette Dasch meißelt an jedem Ton.

Barrie Kosky rief nach dem intensiven, langen Schlussbeifall einige ermutigende Worte zur Bewältigung der Pandemie ins Publikum. Immer wieder aufs Neue wurde man durch die Feinarbeit der Inszenierung von Jetske Mijnssen gefesselt. Katjas leichtes Zittern beim Austeilen des Essens, ihre unsteten Blicke, die körperliche Anspannung bei der ersten die Dämme brechenden Berührung – das alles verdichtet Annette Dasch großartig. Eine Bravourpartie ist Katja Kabanowa, die anders als Schostakowitschs „Katerina Ismailowa“ lieber sich selbst als ihren Mann umbringt, nicht. Statt die orgiastischen Momente des Monologs im dritten Bild und in der Sterbeszene zu suchen, meißelt Annette Dasch an jedem Ton, jeder Silbe und jeder Bewegung dieses von ihr sehr persönlich genommenen Psychothrillers. Damit überragt sie – das ist an diesem Abend extrem schwer –eine exemplarische Ensembleleistung, die sich durch das ideale Zusammenspiel von Charakteren, sängerischer Erschließung und Einfühlungsvermögen auszeichnet.

Szenenbild aus „Katja Kabanowa“
Szenenbild aus „Katja Kabanowa“

Drahtig und düster

Dieses pfeilscharfe Supertheater spielt irgendwann vor oder nach Perestroika in drei Räumen. Hinter deren Neonlicht und Flügeltüren gibt es nur Nebel, aber keine Wolga-Idylle. Aus Sängerengeln kitzelte Jetske Mijnssen die Schauspieltiere. Allenfalls eine Figur ist richtig böse und das nur, weil der Stoffzwang keine andere Wahl lässt. Wenn Doris Lamprecht als Kabanicha zu ersten Erniedrigungen Katjas ausholt, könnte man das noch als latentes Betteln um Aufmerksamkeit verstehen, weil die mit fataler Energie alternde Frau ihre Felle davonschwimmen sieht. Später, bei der routinierten Balz mit ihrem Zweckgalan Dikoj, und ihren Reaktionen an Katjas Leiche, merkt man: Kabanichas Härte ist nicht zu brechen und sie selbst unwillig zur Selbstbefragung. Eine starke Frau ohne Mitleid. Der Dikoj von Jens Larsen ist ein fast milder, aber noch immer unnachgiebiger Patriarch mit Herbst in der Hose.

Szenenbild aus „Katja Kabanowa“
Szenenbild aus „Katja Kabanowa“

Kalter Fotorealismus

Querbeet durch den provinziellen Menschenpark erarbeitet Jetske Mijnssen aufklärende, spannende und, da in der Handlung nur selten existent, wenige emotionale Details. Der kalte Fotorealismus von Julia Katharina Berndts Bühnenraum und die wenig farbenfrohen Kostüme von Dieuweke van Reij geben Sinn und Form. Damit räumt Mijnssen einige Vorurteile über die Figuren im von Janáčeks selbst verfassten Textbuch auf. Weder Katjas Mann Tichon (Stephan Rügamer) noch der am Ende ans andere Ende Russlands aufbrechende Boris (Magnus Vigilius mit beachtlichem Lover-Potenzial in der Stimme) zeigen in den Männerfiguren fast ähnlich tiefe Persönlichkeitsrisse wie die Katjas. Endlich sieht man einmal, dass Kudrjasch (Timothy Oliver) Lehrer ist und seinem Schüler Kuligin (NikitaVoronchenko) die Physik des Gewitters und – letzteres vorsichtig –  die Chemie der Menschen erklärt. Einziger Lichtblick des Abends ist Kudrjaschs Schäferstündchen im Kerzenschein mit der sympathischen Barbara (Karolina Gumos). Janáčeks Naturtöne werden vom Kolorit zur Vision der Titelfigur. Im Salon und den Hinterstuben dominiert dazu fad-fauliges Beige. Die komponierte Sommernacht fehlt ebenso wie das Gewitter und die in der Partitur komponierte Wolga. Machtvoll tönen deren Stimmen – diese einzige Szene des unsichtbaren Chors gerät besonders eindrucksvoll. Wie kostbar ist doch jede Sekunde Glück in einer von Doppelmoral geprägten Umgebung, in der Figuren wie Sylvia Rena Ziegler in den Mägderollen zu Lemuren werden. Die tschechische Originalsprache macht alles noch härter.

Szenenbild aus „Katja Kabanowa“
Szenenbild aus „Katja Kabanowa“

Wagner-Klänge ohne Wolgarauschen

Das sonst so gestische Orchester der Komischen Oper bringt die vielschichtige Partitur sehr Wagner-nah zum Klingen. Das passt nur an den wenigen explosiven Stellen der Leidenschaft, aber die mindestens drei Ebenen im Klangkosmos Janáčeks – Kolorit, Konversation und das instinktive Wollen der Figuren unter dieser – verschwimmen. Da zieht Giedrė Šlekytė tatsächlich an einem Strang mit der Regie. So entsteht betreffend der Orchesterbehandlung ein ambivalenter Endruck, obwohl die symphonische Gangart den Stimmen erstaunlicherweise mehr Spielraum gibt. Giedrė Šlekytė ummäntelt die Partitur mit einer dem Stück eigentlich fremden Melancholie, während Janáčeks Beklemmung sonst durch ein zackiges Parlando und geschärfte Spitzen seiner Instrumentation bricht. Das muss vielleicht so sein. Katja nimmt hier am Ende Gift, statt in die Wolga zu gehen. Dieses Sterben mit Hitzewallungen, Schmerzen und konvulsivischen Zuckungen hat quälende Intensität. Ein solches Ende hätte es mit Katja wohl auch ohne Ehebruch genommen, so wie sich diese Figur durch den Alltag quält. Ach, dieses bittere Leben der Frauen in der realistischen Literatur…

Ein unendlich trauriges Wesen

Annette Dasch erhebt Katja Kabanowa in den Olymp der großen widerständigen Verliererinnen wie Anna Karenina und Madame Bovary. Auch deshalb, weil an der Komischen Oper Berlin von dem inneren Leuchten der Figur sehr wenig zu sehen ist. Dafür zeigt Dasch ein unendlich trauriges Wesen, welches sich das Glück mit Selbstvorwürfen und Skrupeln um jeden Preis verbietet. Demzufolge hat Giedrė Šlekytė schon wieder Recht, wenn sie Janáčeks tönendes Wolga-Rauschen mit etwas Schlamm verdickt.

Komische Oper Berlin
Janáček: Katja Kabanova

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