Theater Basel: „Eine Winterreise“ – Rezension der Uraufführung am 22.01.2022

Theater Basel/EINE WINTERREISE/Foto @ Monika Rittershaus

Wer kennt ihn nicht, den berühmten Liederzyklus “Winterreise” von Franz Schubert. Davon existieren verschiedene Bearbeitungen und er wurde auch mit Ballett choreografiert, mit Videoprojektionen arrangiert und von vielen großen Sängern interpretiert. Im Theater Basel, wo die Sängerin Anne Sofie von Otter im Jahre 1983 debütiert hatte, erlebte man die Uraufführung von „Eine Winterreise“. Für diese Version wurden nur gerade sechs Lieder aus dem Zyklus verwendet und mit neun weiteren Liedern u.a. aus dem “Schwanengesang” und “Die schöne Müllerin” ergänzt. Die Idee des Regisseurs Christof Loy, das kurze Leben Schubert’s als eine Fiktion darzustellen und die Sängerin ( hier *ER” genannt)  als Seele Schuberts, wenn er nicht so jung gestorben, sondern alt geworden wäre zu interpretieren, ist ein spezieller Ansatz. (Rezension der Uraufführung am  22. Januar 2022)

 

Die zentrale Figur dieser Aufführung ist die international wohlbekannte und beliebte Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter. In dieser Rolle steht sie den ganzen Abend in einfachem Männerkostüm auf der Bühne und schwelgt in den Liedtexten, welche Erinnerungen, aber auch Gefühle der Vergänglichkeit und Todesnähe verströmen.

Theater Basel/EINE WINTERREISE/Foto @ Monika Rittershaus

Das Bühnenbild von Herbert Murauer ist einem Ballhaus am Ende des 19. Jahrhunderts nachempfunden und stellt einen düsteren, nur spärlich mit Requisiten bestückten Saal dar, wo eine bedrückende Stimmung herrscht. Dort erscheinen vier stumme Gestalten im Raum und beleben die Szenerie mit meistens zeitlupenartigen, zuweilen auch chaotischen Bewegungen. Eine davon (Nicolas Franciscus) widerspiegelt Schubert als jungen Mann. Der zweite Mann ist Schubert’s Freund Franz von Schober (Kristian Alm) mit welchem Schubert ein enges Verhältnis pflegte. Die beiden weiblichen Gestalten sind die Kurtisane (Matilda Gustafsson), welche Schubert zum Verhängnis werden sollte, da dieser an einer Syphilis erkrankte und starb, sowie Viola, eine junge Tänzerin (Giulia Tornarolli), welche die bedrückende Stimmung mit ihrer unbeschwerten Jugendlichkeit immer wieder aufhellt. Die einzelnen Charaktere sind gut gezeichnet und beleuchten interessante Facetten von Schubert’s Leben. Das Schlussbild mit der verschneiten Landschaft, welche durch ein großes Fenster sichtbar ist, zusammen mit dem Text aus “Der Dichter” einem Epilog zu “Die schöne Müllerin”, verleiht dem Finale eine leicht humoristische Note.

Theater Basel/EINE WINTERREISE/Foto @ Monika Rittershaus

Die musikalische Seite dieses Abend war geprägt durch Anne Sofie von Otter und durch den großartigen Pianisten Kristian Bezuidenhout am Hammerflügel. Zusammen bildeten sie ein perfekt harmonierendes Duo. In zwei Musikstücken wurde der Pianist vom Geiger Claudio Rado begleitet. Eindrücklich war die Interpretation des Liedes „Viola“ mit einem Text von Franz von Schober, Es  war das längste der gesungenen Lieder. Hier wurde die Idee mit den stummen Darstellern am ehesten sichtbar.

Besonders aufgefallen ist Anne Sofie von Otter’s gepflegte Diktion der gesungenen und gesprochenen Texte. Jede Silbe zeugt vom Erleben der Sprache. Dies ist auch zutreffend für den durch Nicolas Franciscus gesprochenen kurzen Text als junger Schubert, übrigens der einzige gesprochene Text der stummen Gestalten.

Theater Basel/EINE WINTERREISE/Schlussapplaus/Foto @ DAS OPERNMAGAZIN

Eine Fiktion auf die Bühne zu bringen, ist ein anspruchsvolles Unterfangen. So ist die wortlose Hintergrundhandlung dieser „Winterreise“ ohne vorherige Lektüre des Programmhefts nur schwer nachvollziehbar.

An diesem Abend durfte man eine neue Sichtweise auf den Komponisten und dessen unsterbliche Lieder erleben. Das Publikum bedankte sich dafür bei der verehrten Sängerin und dem ganzen Team mit viel Applaus.

 

 

  • Rezension von Marco Stücklin / Red. DAS OPERNMAGAZIN-CH
  • Theater Basel / Stückeseite
  • Titelfoto: Theater Basel/EINE WINTERREISE/Foto @ Monika Rittershaus
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