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„Bianca e Falliero“ an der Oper Frankfurt: Der Weg ins Freie

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Braut wider Willen: Bianca, Heather Phillips, zwischen Bass Kihwan Sim und Tenor Theo Lebow.
Braut wider Willen: Bianca, Heather Phillips, zwischen Bass Kihwan Sim und Tenor Theo Lebow. Barbara Aumüller © Barbara Aumüller

An der Oper Frankfurt wird die schmerzensreiche Handlung der Rossinis-Rarität „Bianca e Falliero“ zur Befreiungsgeschichte einer jungen Frau.

All die unglücklichen jungen Paare, die eine kaltherzige, in alte und uralte Geschichten verwickelte Verwandtschaft vom Glück abhält. Auch „Bianca e Falliero“, das Titelpärchen einer selten gespielten ernsten Oper Gioachino Rossinis (1819 uraufgeführt), zählen fast dazu. Die dann aber doch günstige Schlusswendung wird ausgerechnet durch jenen Mann initiiert, den Bianca nach dem Willen ihres Vaters hätte heiraten sollen.

Ein rarer Fall. Eben noch hat sich der ungeliebte Rivale einen weiteren Korb geholt – er ist zwar wütend, aber Kihwan Sim zeigt einen noblen Mann und lässt einen großen, milden, sympathischen Bass hören –, nun verhindert er die Hinrichtung Fallieros. Grund für dessen Verurteilung ist eine neue venezianische Bestimmung, die ein wenig an das russische „Ausländische Agenten“-Gesetz erinnert, jedenfalls ist es ebenso wie dieses Schikane und Unterdrückungsinstrument. Darum ist der ungeliebte, aber integre Brautwerber dagegen.

Der Vater von Bianca wiederum, der die Heirat der Tochter mit dem Bass erzwingen will, ist der junge, in geschmeidiger Gangstermanier auftretende, gesanglich so bewegliche wie zugkräftige Tenor Theo Lebow – die Stimmlage eine aparte Wahl des Komponisten, die sich übrigens zehn Jahre später in Bellinis „Zaira“ mit ähnlichem Überraschungseffekt wiederholt (wie jüngst in Gießen zu erleben war). In beiden Fällen leiten prächtige Arien der schurkischen Tenöre den Abend ein – ohne Text würde man glauben, als erstes den Liebhaber vorgestellt zu bekommen.

Zusammen mit dem Sopran Bianca und dem Alt Falliero ergibt sich daraus bei Rossini ein formidables Quartett, als solches von ihm auch genießerisch in Szene gesetzt. Die amerikanische Mezzosopranistin Heather Phillips gibt in Frankfurt ein beschwingtes Europa-Debüt, eine interessante Darstellerin fern von Holde-Mädchen-Opernklischees. Dem Waghalsigen des Gesangsparts ist sie gewachsen, und dass sie gelegentlich in Höhen und im Kräfteaufteilen an ihre Grenzen zu stoßen scheint, dürfte den überdurchschnittlichen Anforderungen der Partie geschuldet sein. Beth Taylors Mezzo hat spektakuläre Tiefen und souveräne Höhen, ein großer Auftritt.

Die Abfolge einer ausführlichen Musik des sanften und weniger sanften Aufbegehrens und Jammerns bietet trotz der gewissen Ebenmäßigkeit Bravourarien, durchgefeilte Ensembles und anspruchsvolle, unter der Leitung von Tilman Michael auch anspruchsvoll dargebrachte Chöre. Die Rossini-Crescendi sind mitreißend, Dirigent Giuliano Carella versteht sich im Verein mit dem Opern- und Museumsorchester auf den Zauber dieser immer etwas abgepufferten, immer nur scheinbar naturgewaltig freien Wucht. Das passt zum Thema, mit dem Regisseur Tilmann Köhler der ausführlich bespielten Klaviatur des Leidens beizukommen versucht: die gesamte Oper bei ihm ein Befreiungsversuch Biancas aus einer beklemmend engen, dabei unbehaglichen und kalten Welt. Das hat immer Aktualität, wenn auch derzeit wieder eine besondere. „Bianca e Falliero“ war an der Oper Frankfurt jedoch tatsächlich schon vor bald zwei Jahren vorgesehen, ein frühes Corona-Opfer in einer Phase, als man dachte, in ein paar Wochen sei der Spuk vorbei.

Der feingesponnenen Musik steht also bei Rossini eine etwas simpel ablaufende Geschichte gegenüber. Der Vater setzt seine Tochter unter Druck – inklusive einer Suiziddrohung –, die widersteht so gut sie kann. Falliero setzt Bianca unter Druck – inklusive einer Suiziddrohung –, die schwört ihm ewige Liebe. Dann aber setzt der Vater seine Tochter wieder unter Druck. Dann aber setzt Falliero Bianca wieder unter Druck. Köhlers Bilder widersetzen sich dem trotz einer innigen Personenführung kaum. Dass bei jeder Gelegenheit Schusswaffen gezückt werden, ist zum Beispiel doch bloß eine weitere (ungewollte?) Stupidität zur statischen Handlung.

Merkwürdig banal auch etliche Filmbilder (Video: Bibi Abel), die Phillips/Bianca in Nahaufnahmen zeigen. Sie laufen vorwärts und rückwärts, es geht nichts voran, aber Lippenstift wird aufgeschmiert wie im Horrorfilm, Rosenblätter wehen vom Gesicht und bedecken es alsbald wieder, eine Pistole, mit der nun auch die Video-Bianca ihren Suizid andeutet, ist bloß aus sinnlich zerlutschter Schokolade. Videos zur Intensitätssteigerung, lange nicht mehr so vordergründig gesehen, zumal das Personal das nicht nötig hat.

Zentral für Köhlers Anliegen ist hingegen Karoly Risz’ Bühne, ein gewaltiger geteilter Halbkreis, der nach vorne eine geschlossene runde Wand darstellt, die auf- und zugeschoben werden kann, dahinter ein zweiter, kleinerer Halbkreis. Für die Akustik bedeutet das über weite Strecken einen vergrößerten Rampensingeffekt, für Bianca bedeutet es eine dauerhafte Beklemmung. Man begreift aber nach und nach, dass das der springende Punkt sein wird. Ihre goldenen Schuhe (Kostüme: Susanne Uhl) hätten bereits den Verdacht wecken können, dass sie nicht ganz so brav ist, wie es scheint.

Als wir sie kennenlernen, ist ihr gerade ein Ausblick möglich (zu uns herüber, glücklich wie nie am ganzen Abend), dann wird es schon wieder eng und enger. Am Ende lässt sie die drei Männer, die ihr das Leben schwer gemacht haben, kurzerhand zurück. Wobei sie sich im Zweifelsfall wohl sogar doch noch für den vernünftigen Bass entschieden hätte.

Oper Frankfurt: 25., 27. Februar, 3., 5., 11., 17., 19., 26. März. www.oper-frankfurt.de

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