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„Sizilianische Vesper“ in Berlin: Dieser Krieg und alle anderen

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Der Verdi-Schlüsselbegriff „Freiheit“, diesmal aber auf Französisch.
Der Verdi-Schlüsselbegriff „Freiheit“, diesmal aber auf Französisch. © Marcus Lieberenz/bildbuehne.de (Veroeffentlichung nur gegen Honorar und Belegexemplar!)

Giuseppe Verdis „Die sizilianische Vesper“, ausnahmsweise auf Französisch gesungen, wird von Olivier Py in Berlin konsequent als Grand opéra in Szene gesetzt.

Angriff und Gegenwehr, Unterdrückung und Befreiungskampf sind große klassische Opernthemen. Bei allen Manipulationsmöglichkeiten, die ein Libretto bereithält (wenn zum Beispiel Richard Wagner es schreibt und dabei Zwerge diffamiert oder Präventivschläge gegen die östlichen Nachbarn nahelegt), wird sich die Oper im Großen und Ganzen auf die Seite der Bedrängten stellen. Und die Schurken kenntlich machen. Man wird ihnen gerne zuhören, denn sie werden prächtig singen, man wird zugleich still für ihr Unglück beten. Opern, so repräsentativ und so beliebt in den Oberschichten, sind an sich gefährliches Terrain.

Natürlich ist das bei keinem deutlicher als bei Giuseppe Verdi, dem es in patriotischen Fragen auf der Bühne immer um das Risorgimento, die nationale Unabhängigkeit Italiens, ging. So wurde und wird auch die „Sizilianische Vesper“ verstanden und damit als durch und durch italienische Oper – im hier erzählten sizilianischen Aufstand gegen die Franzosen 1282 spiegelte sich der Kampf gegen Fremdherrschaft auch fast 600 Jahre später selbstverständlich wider. Dass Verdi diesmal eine französische Grand opéra nach dem Vorbild Meyerbeers komponierte, geriet hingegen nach der Uraufführung in Paris 1855 aus dem Blick. Fast immer, wenn überhaupt, wird die italienische Fassung aufgeführt.

Wie sehr das französische Original die Atmosphäre verändert, kann man sich aber an der Deutschen Oper Berlin anhören. Gesungenes Französisch ist unbehaglicher und schärfer als gesungenes Italienisch. Zudem lässt sich der französische Regisseur Olivier Py nicht altmodisch, aber entschlossen auf alles ein, was zur Grand opéra gehört: große Bilder, große Tanzszenen, ein lebhaftes Spiel mit Theater und Künstlichkeit. Worauf er verzichtet: den Versuch, eine konsistente, runde Handlung zu erzählen. Das wäre sicher möglich gewesen, aber angesichts des Librettos auch schwierig.

An den schlimmsten Stellen wird es psychologisch grotesk: wenn der Schurke den wiedergefundenen Sohn anfleht, ihn Vater zu nennen, und ihm andernfalls mit der Hinrichtung seiner Geliebten droht; wenn der Tenor sich nicht zwischen seinem schurkischen Vater und der edlen Aufständischen entscheiden kann und alle fünf Minuten die Seiten wechselt, mit grauenhaften Folgen, die ihm aber niemand dauerhaft verübelt, weil er der Tenor ist; wenn überhaupt das Private und das Politische auf so holperige Weise sich ineinanderschieben, dass „Sturm der Liebe“ auf ein klassisches Drama trifft.

Das klassische Drama: Unter den auf Befreiung vom fremden Joch erpichten Aufständischen ist der junge Henri, der erst nach einer Weile erfährt, dass ausgerechnet der unglaublich böse Vizekönig Guy de Montfort sein Vater ist. So gerät er zwischen die Fronten und verrät seine Geliebte, die junge zornige Hélène, und den Kopf der Aufrührer, Procida. Solche Konflikte sind extrem opernaffin, sie müssen andererseits besser in eine Handlung gebettet sein, um Wirkung zu erzielen. Nun hat man allein einen Tenor, der nicht weiß, was er will, einen Sopran, der abwechselnd Rache schwört und verzeiht, einen Bass, der der größte Lumpenkerl aller Zeiten ist und sich jammerigen Vatergefühlen hingibt.

Die Regie kann versuchen, das zu kitten, aber Py wählt einen anderen Weg: Seine „Vêpres siciliennes“ interessiert sich wenig – etwas sehr wenig, gar nicht – für die psychologische Seite, arbeitet sich daran jedenfalls nicht sichtbar ab, sucht stattdessen Bilder für die große Musik, die unter der Leitung von Enrique Mazzola und mit dem exzellenten Orchester in disziplinierten Wogen über die Bühne geht. Auch konstruiert er sich ein eigenes Grundkonzept: Die Handlung verlegt er dichter an unsere Zeit heran, in den unaufdringlich anskizzierten Algerienkrieg: auch hier Frankreich als Aggressor, zumal ebenso die kriegerische Eroberung des Landes im vorangegangenen Jahrhundert in Reminiszenzen auftaucht. Py sorgt dafür, dass die Kostüme wechseln, aber die Szenen sich doch gleichen, die damit auch anderen Bildern aus anderen, allen anderen Kriegen gleichen werden.

Stark das Bühnenbild von Pierre-André Weitz, das auf der großen Drehbühne ein riesiges altes Algier-Foto zeigt, eine Gefängnisfassade, aber auch eine gülden gerahmte Theaterbühne, nicht nur Ort für Ballettszenen oder Kostümball – was Weitz Gelegenheit gibt, opulente historische Kostüme unterzubringen –, sondern auch für Arien, wenn sie besonders opernhaft sein sollen. Wie die Handlung bleibt es unruhig bis ins Disparate.

Eine kleine Tanztruppe (auch als Gespenster der Vergangenheit) mischt mit, die Schwanenseetänzerinnen werden derb belästigt und verschleppt, der Krieg mäht die Schönheit nieder. Das ist weder sehr intellektuell noch übermäßig sinnlich. Es ist aber wirkungsvoll, wenn man sich nun für das Plakative entschieden hat und dafür, das Verwirrende nicht auszubessern, sondern mitzumachen. Das wichtigste Kriterium für diesen Grand-opéra-Ansatz – optisch nicht zu sehr hinter die Musik zurückzufallen – erfüllt sich.

Chor und Solistinnen und Solisten, szenisch also mäßig gefordert, überzeugen dafür musikalisch in einem gut dreistündigen Kraftakt. Im Zentrum Hulkar Sabirova als Hélène mit einem eleganten, in den Höhen anfangs spitzigen, auf Dauer bewundernswert stabilen Sopran. Sie bildet ein Quartett mit Piero Pretti als Henri mit einem schlanken, fitten Tenor, mit Thomas Lehman als Montfort mit vehementem Bariton und dem mit Noblesse auftretenden und singenden Bass Roberto Tagliavini als Procida.

Ein Fall von Ausstattungstheater, aber mit Sinn und Verstand. Zu schön für diese Welt? Zu ungemütlich dafür, und verlogen ist es auch nicht.

Deutsche Oper Berlin: 31. März, 3., 16. April. deutscheoperberlin.de

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