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Jacquelyn Wagner (Elsa), Eric Cutler (Lohengrin). Foto: © Ruth Walz
Jacquelyn Wagner (Elsa), Eric Cutler (Lohengrin). Foto: © Ruth Walz
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Brav, oh und Buhs! Richard Wagners „Lohengrin“ bei den Salzburger Osterfestspielen 2022

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Unwissenheit bietet keinen Schutz vor bösen Überraschungen. Das beweist der Spitzel-Zar vom Kreml ja gerade der ganzen Welt und insbesondere seinen bisherigen Verstehern. „Nie sollst du mich befragen, noch Wissens Sorge tragen …“ – ist dieses Zitat aus Richard Wagners Romantischer Oper „Lohengrin“ nicht geradezu ein Abbild heutiger Unzeit? Bloß keine Fragen stellen und möglichst ahnungslos bleiben – eine gültig gebliebene Metapher?

Mit diesem Dreiakter wurden die diesjährigen Osterfestspiele Salzburg eröffnet, nach mehreren pandemiebedingten Absagen und Verschiebungen endlich wieder plangemäß. Aber gab es da wirklich eine Neuauflage des 1850 in Weimar uraufgeführten „Lohengrin“? Oder wurde im Großen Festspielhaus nicht vielmehr eine Neuausdeutung gewagt? Das Regieteam um Jossi Wieler, Anna Viebrock und Sergio Morabito hat solche Überlegungen zumindest sehr nahegelegt. Und viele weitere Fragen gleich mit. Die meisten allerdings blieben unbeantwortet.

Wo und wann spielt diese spezielle Form von Romantik? In einem Schiffshebewerk? An einer Schleuse? Gegen Ende des Ersten Weltkriegs, in einer Zwischenkriegszeit? Oder vielleicht nur im Kopf und in den Gedanken von Elsa, die ihren Bruder auf dem Gewissen hat? Obwohl sie die Erstgeborene war, hätte der Jüngere, weil männlich, die Thronfolge antreten können. Wusste Elsa das etwa mit einem Brudermord zu verhindern? Und wurde dabei dummerweise von ihrer Rivalin Ortrud gesehen?

Wagners Opernpartien werden oft als mörderisch bezeichnet, weil sie Sängerinnen und Sängern über lange Abende hinweg so ziemlich alles abverlangen. Auch in seinen Libretti ist nicht selten von Mord und Totschlag die Rede. In dieser Deutung aber steht Elsa, die Tochter des verstorbenen Herzogs von Brabant, nicht nur unter Mordverdacht, sondern wird unverkennbar als Mörderin gebrandmarkt. Ein Elsa-Krimi also, in dem die Schuldige schon von Anfang an feststeht. Sie hat ihren jüngeren Bruder umgebracht, um sich die Thronfolge zu sichern.

Um das Erlangen von Macht geht es auch Graf Telramund und seiner Gattin Ortrud, diesem oft als diabolisch böse gezeigtem Paar. Noch machtvoller aber, rabiat und brutal, überrollt der deutsche König Heinrich mit seinem Heer das Volk von Brabant. Natürlich nur, um es zu „befreien“; da war Wagner seiner Zeit weit voraus: „Was deutsches Land heißt, stelle Kampfesscharen.“ Um bei solchen Stellen an den Krieg in der Ukraine zu denken, braucht es keine Aktualisierungen auf der Bühne, die gedanklichen Parallelen zu dem dortigen Schrecken sind omnipräsent. Ausstattung und Kostüme orientieren sich jedoch zumeist an Uniformen des 1. Weltkriegs, Heinrich erinnert an den dicken Hindenburg, die Absperrgitter zwischen Volk und Militärmaschinerie sind heutig.

Wenn Elsa aber Thronfolge aber auf ihre Weise gelöst hat, warum braucht sie dann noch einen Retter, der sie von diesem Verdacht wieder befreien soll? Aus heutiger Straßenkleidung schlüpft sie in ein himmelblaues Kleid, in eine Traumwelt, die ihr diesen Retter namens Lohengrin als Vision erscheinen lässt. Macht sie sich selbst etwas vor, um den Mord zu vergessen? Nur nach Herkunft und Namen fragen darf sie nicht, ihrer Vision also nicht auf den Grund gehen. Denn sonst zerplatzt der ganze Wahn.

Was er zwangsläufig auch macht. Und damit leider auch der Kerngedanke dieser Inszenierung, die mehr Fragen offenlässt als schlüssige Antworten liefert. In der Tristesse des gewaltigen Bühnenbildes ist alles in Bewegung, das Volk wird drangsaliert, ist gottergeben und lässt sich willig verführen. Hauptsache, es hat wen oder was zum Anbeten. Da kommt ihm dieser Lohengrin (nun plötzlich heraus aus Elsas Kopf?) gerade recht. Optisch eine Art Salvator mundi mit langem Lockenschopf à la da Vinci. Wieso aber trägt er silberne Schuhe, kommt er doch von einem anderen Stern? Und wieso erscheint Telramund erst mit einem Schwert, erleidet dann einen Herzinfarkt und erscheint schließlich mit einem riesigen Maschinengewehr? Ach ja, offene Fragen …

Wenn die Guten die Bösen sind, werden Bösewichter keineswegs Gutmenschen

Das Regieteam wird dafür mit einem heftigen Buh-Konzert abgestraft. Wer knapp 500 Euro pro Karte zahlt, will nicht brüskiert werden, sondern bestens unterhalten. Dabei bot die Inszenierung durchaus Spannung und überzeugte mit einfallsreicher Choreografie sowohl der Massenszenen (drei Chöre mit weit über 100 Mitwirkenden!) als auch der individuellen Personenführung.

Allen voran wiederum Elsa. Jacquelyn Wagner spielt ihren Part so liebenswert glaubwürdig, geht in ihren Traumwelten auf – nie und nimmer würde man sie für eine Mörderin halten! Ihr klarer Sopran unterstreicht dies noch mit feinem Timbre und großer Strahlkraft. Die hat ihre Rivalin Ortrud freilich auch. Elena Pankratova wirkt magisch, ja dämonisch, mit gewaltigem Spektrum des vokalen Ausdrucks. Mit ihrem Telramund spielt sie einen Psychokrieg, der Mann könnte einem fast leidtun, zumal Martin Gantner ihn so inbrünstig singt wie er ihn lebensecht darstellt. Vor König Heinrich das Fürchten zu lehren fällt Hans-Peter König nicht schwer, mit massigem Bass beherrscht er die Szene, auch Bariton Markus Brück als Heerrufer ist kaum zu widerstehen.

Den Lohengrin gestaltet Tenor Eric Cutler so lyrisch wie energetisch, spielerisch ist er mal Draufgänger, der Elsa rasch an die Wäsche will, mal Sagenheld vom Stamm der traurigen Gralsritter. Einen Schwan sucht man hier vergebens, stattdessen gibt’s am Schluss noch Elsas Bruder als schaurige Wasserleich’, von Elsa selbst ans Licht gezogen.

Das Miteinander von Sächsischem Staatsopernchor, Bachchor Salzburg und dem Chor des Salzburger Landestheaters ist ein Fest, wenn auch ein Fest mit kleineren Holperern. Die unterlaufen der Bühnenmusik auch hier und da – aber wer wollte wohl mäkeln angesichts eines musikalisch überragenden Wagner-Abends, in dem die Sächsische Staatskapelle (mal wieder) ein Feuerwerk an klanglichem Kolorit abfeiern darf? Da gibt es feinste Nuancen, beinahe nur gehauchten Zärtlichkeiten, immer mal wieder eine fast aufgehobene Zeitlosigkeit, der dann aber ein orgiastisches Lospreschen folgt, eine Überwältigung, deren Zügel bei Christian Thielemann in beinahe magischen Händen liegen. Kein Wunder, dass er und die komplette musikalische Fraktion (bis auf die Leiter der drei Chöre, die fatalerweise zunächst für das Regieteam gehalten worden sind) mit Beifall und Bravi nur so überschüttet worden sind. Das Inszenierungstrio hingegen musste einen Orkan aus Buh-Rufen hinnehmen, wie es ihn in den vergangenen zehn Jahren bei den Osterfestspielen nicht gegeben hatte.

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