Von einer ausgebuhten Generalprobe und einer kaum wohlwollenderen Aufnahme der Premiere darf man sich nicht beirren lassen, denn positive Überraschungen kann es immer geben. Die zweite Aufführung der neuen Tristan-Inszenierung an der Wiener Staatsoper lieferte dazu den Beweis, denn Andreas Schager war vom Anfang bis zum Schluss in Höchstform und bot als Tristan das Beste, was ich je von ihm gehört habe – den Vergleich mit Tenorhelden vergangener Tage braucht er nicht zu scheuen.

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Ekaterina Gubanova (Brangäne) und Martina Serafin (Isolde)
© Wiener Staatsoper GmbH | Michael Pöhn

Calixto Bieito lässt ihn in seiner Inszenierung anfangs lang im Wasser auf dem Bühnenboden liegen, aber das scheint Schager wenig zu kümmern, vielleicht hilft die Strapaz sogar, sich in jenen lachend-verzweifelten, irren Zustand vor Tristans Ende zu versetzen, der über den ganzen Abend klug aufgebaut wird und den man selten so mitreißend wie mitleidend erlebt. Solche Momente entschädigen dafür, dass Bieitos Tristan an die Qualität seiner Carmen nicht anschließen kann.

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Andreas Schager (Tristan) und Martina Serafin (Isolde)
© Wiener Staatsoper GmbH | Michael Pöhn

Die metaphorische Bedeutung des erwähnten Wassers im ersten Aufzug braucht nicht weiter erläutert zu werden, aber der technische Aufwand lohnt sich zumindest für das Parkettpublikum nicht, denn nur beim Durchwaten (mit Gummistiefeln) werden Spritzer sichtbar. Über dem Wasser schwingt sich das Bühnenpersonal (zu dem auch etliche Kinder gehören) an Schaukeln, die vom Schnürboden hängen. Das Schaukeln und die Kinder im Umfeld der kinderlosen Protagonisten – dazu kann man Assoziationsketten spinnen, und auch das Auftauchen Tristans als Isoldes Vision ist nachvollziehbar. Dass es bei Bieitos Tristan aber hauptsächlich um seine eigenen (Sinn)bilder und weniger um Theater-Sinnhaftigkeit geht, merkt man daran, dass er keinen Liebestrank gibt, stattdessen schlürft man (andeutungsweise) Bühnenbodenwasser aus der hohlen Hand des/der Anderen. Auch wenn man postuliert, dass die Gefühlswelt der Protagonisten keine Requisiten braucht, wirkt das als Konventionsbruch um des Konventionsbruchs willen, denn der Trank kann ohnehin als Metapher verstanden werden; nur weil sie von Wagner verwendet wird, ist sie nicht schlechter als die von Bieito. Tristan-Neulinge werden aus dieser Szene jedenfalls nicht schlau werden, und der Text im dritten Aufzug führt sie ohnehin ad absurdum.

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Andreas Schager (Tristan) und Martina Serafin (Isolde)
© Wiener Staatsoper GmbH | Michael Pöhn

So plätschert (buchstäblich) der erste Aufzug dahin, und man fragt sich, warum die große Aufregung bei Generalprobe und Premiere? Sähen wir Holzpaneele statt dezenter Wasser-Videos im Hintergrund, wähnte man sich eher bei Christof Loy als beim vormaligen Enfant terrible Bieito. Holzpaneele gibt es dann tatsächlich im zweiten Aufzug, allerdings gedruckt auf Papier, mit dem zwei käfigartige Zimmer ausgekleidet sind. Diese hängen vom Schnürboden, wobei Tristan im linken Kubus in maskuliner dunkler Möblierung die Nacht der Liebe besingen wird, Isolde am weißen Küchentisch im rechten. Beide reißen ihre Welt (und die Papierpaneele) ein sowie die Möbel um; zunächst Isolde, dann Tristan.

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Martina Serafin (Isolde), Andreas Schager (Tristan) und René Pape (König Marke)
© Wiener Staatsoper GmbH | Michael Pöhn

Das ist eine weitere interessante (und gut choreographierte) Metapher, geht aber zulasten der Erotik und somit zulasten der von Bieito gern beschworenen „Wahrhaftigkeit des Ausdrucks“, den man als Publikum spüren soll. Ich denke da an einen Fernseh-Nachmittag mit derselben Szene eines (auch nicht rasend spannenden) Tristan von Patrice Chéreau, zu der mein damals Fünfjähriger plötzlich von seinem Lego aufsah und nach einer Weile fragte: „Bekommen die jetzt ein Baby?“ Natürlich soll hier keiner Inszenierung für Kindergartenkinder das Wort geredet werden, aber Wahrhaftigkeit des Ausdrucks führt zu derart intuitivem emotionalem Verständnis, die bei Bieito – zumindest in dieser Inszenierung – zu oft Lippenbekenntnis bleiben.

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Iain Paterson (Kurwenal), Martina Serafin (Isolde) und Andreas Schager (Tristan)
© Wiener Staatsoper GmbH | Michael Pöhn

Wenn sich dann Tristan, von Isolde umarmt, seine todbringende Wunde selbst zufügt, kann man mutmaßen, dass die Szene von Yukio Mishimas Kurzfilm Patriotism inspiriert ist, der einen Ehren-Doppelselbstmord zu Stockhausens „symphonischer Synthese“ von Tristan und Isolde zeigt. Intellektuell verständlich, wird die Szene mit Melot dadurch leider unglaubwürdig bis unfreiwillig komisch, die Rekapitulation im Text des dritten Aufzugs unverständlich. Abgesehen davon kann man sich als Publikum selbst denken, dass die Wunde – durch Untreue gegenüber Marke – letztendlich selbstverschuldet und gemäß Tristans psychischer Disposition sogar gewollt ist.

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Andreas Schager (Tristan) und Martina Serafin (Isolde)
© Wiener Staatsoper GmbH | Michael Pöhn

Im dritten Aufzug sind die umgestoßenen Möbel des zweiten Aufzugs wohl nicht von Cornwall nach Kareol gebeamt, sondern eine Fortsetzung der Idee aus dem zweiten Aufzug, erweitert um nackte Statisten. Zum Finale, nach der eingangs erwähnten Glanzleistung von Andreas Schager, wird Tristans blutüberströmte Leiche von Martina Serafin alias Isolde an ihren Küchentisch gesetzt, bevor sie sich mit dem „Liebestod“ müht und man nicht sicher ist, ob die Mühe Philippe Jordans langsamem Dirigat geschuldet ist, oder im Gegenteil, Jordan ihr über das Finale hilft. Darstellerisch brillant, fehlt ihr leider das stimmliche Unterfutter für diese Partie, vieles wirkte schrill und hohl. Brangäne war mit Ekaterina Gubanova ebenfalls nicht glücklich besetzt, dazu hat die Stimme zu viel Vibrato und zu wenig Strahlkraft – in Erinnerung wird primär ihr Auftritt im zweiten Aufzug beim Fische-Ausnehmen bleiben. René Pape schien von den Premierenschwierigkeiten erholt und gab einen souveränen König Marke, Iain Paterson einen ebenbürtigen, sehr präsenten Kurwenal.

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Tristan und Isolde
© Wiener Staatsoper GmbH | Michael Pöhn

Das Staatsopernorchester war – bis auf einige wenige Ermüdungserscheinungen im Blech – gut disponiert und von Philippe Jordan sängerfreundlich und handwerklich bestens geführt. Dem Vorspiel hätten ein wenig Tempo und mehr Mysterium gutgetan; zum Ausgleich geriet das Vorspiel zum dritten Aufzug phänomenal. Fazit des Abends: Viel Schatten, aber auch Glanzlichter.

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