Barrie Kosky zeigt Verdis „Falstaff“ als überdrehte Komödie an der Komischen Oper. Es fallen aber auch ernste Töne.

Jubel über Jubel. Als am Ende der „Falstaff“-Premiere, seiner vorletzten Premiere als Intendant der Komischen Oper, Barrie Kosky auf die Bühne kommt, taucht flüchtig der Gedanke auf, wie viel von ihm in dem närrische Falstaff der Inszenierung steckt? Schließlich wurde Kosky zu einem international führenden Opernregisseur, weil er irgendwie immer ein Stück Seele einbringt. Es schwankt zwischen tiefen Abgründen und hemmungslosem Humor. Und es ist meist Theater vom Feinsten. Diesmal aber wird die Premiere vor allem wegen der Dinge jenseits der reinen Verdi-Komödie in Erinnerung bleiben. Hausherr Kosky machte also am Sonnabend dem Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Linke) auf der Bühne Platz, der zwei langjährige Solisten des Opernhauses zu Berliner Kammersängern ernannte.

Kammersänger Günter Papendell war zuvor in der Rolle des schnöseligen Ford zu erleben und zweifellos ein Star des Abends. Der Kavalierbariton weiß die Facetten des eifersüchtigen Ehemanns auszusingen, darstellerisch steht er immer ein klein wenig steif neben der Figur. Dadurch wirkt sie noch stärker. Kammersängerin Karolina Gumos war als Mrs. Meg Page eine der beiden von Falstaff angebaggerten Frauen. Die Mezzosopranistin singt im Tross der wehrhaften „Weiber von Windsor“ mit. Nach dem Kultursenator tritt der ukrainische Tenor Oleksiy Palchykov, der in der Inszenierung als jugendlicher Fenton mit Nannetta bis zum Happy-End herumturtelt, an die Rampe und hält eine kleine, aber sehr ernste Rede. Anschließend singt er mit seinem lyrischen Tenor-Atem ein ukrainisches Lied a cappella.

Die Rezepte lassen sich nicht bei Shakespeare nachschlagen

In Barrie Koskys Inszenierung von Giuseppe Verdis Alterswerk „Verdi“ gehört auch nicht alles zum Stück. Eine im wahrsten Sinne des Wortes köstliche Regieidee lässt sich weder bei Shakespeare noch dem Librettisten Boito nachschlagen. Vielleicht fühlte sich der ein oder andere im Publikum an Johannes Mario Simmels Roman „Es muss nicht immer Kaviar sein“ erinnert, in dem sich der durch den Kalten Krieg getriebene Bankier und Spion Thomas Lieven am liebsten den Frauen und dem Kochen zuwendet. Seine Rezepte sind im Buch abgedruckt. Leckere Rezepte gehören auch zum dystopischen Roman „Manaraga. Tagebuch eines Meisterkochs“ von Vladimir Sorokin. Demnach werden Bücher in der Zukunft nicht mehr gelesen, sondern dienen als Brennmaterial für die Zubereitung exklusiver Speisen. Nur die ganz Reichen können sich das leisten.

In seinem „Falstaff“ lässt Kosky zwischen den Akten und Bildern minutenlang Rezepte auf Italienisch einsprechen. Erst von einer Frau, dann einem Mann, danach von beiden gemeinsam. Es ist eine sinnliche Verführung im Dunklen. Dabei handelt es sich nicht um Shakespeare, sondern um Kalbsfond und Esslöffel mit Irgendwas. Das Publikum lacht zwischendurch herzhaft.

Irgendwann landet die Torte im Gesicht von Fenton

Die Idee ist deshalb so köstlich, weil sie auf etwas aufmerksam macht, was im Gasthof „Zum Hosenband“ und in der Gesellschaft um Falstaff herum fehlt: Liebe, Erotik oder Berührung. Überhaupt die Sehnsucht. Wenn Falstaff die Alice, die nur zwischen 2 und 3 Uhr nachmittags Zeit hat, in ihrem Schlafzimmer besucht, dann ist sie von Torten umstellt und dadurch vor dem unbeholfenen Liebhaber geschützt. Es gehört zur Klamotte, dass irgendwann auch eine Torte zum Einsatz kommen muss. Kosky lässt sich reichlich Zeit damit. Schließlich erwischt es Fenton. Und man muss tatsächlich lachen, weil es so albern ist.

Die Grüppchen von Männern und Frauen treten im szenischen Hin und Her meist getrennt voneinander auf. Katrin Lea Tag hat für die Komödie das Bühnenbild und die Kostüme aufeinander abgestimmt. Sir John Falstaff trägt zwischendurch einen clownesken Anzug, der das selbe Muster wie die Tapete hat. Und der Ritter trägt gerne Perücke, die man heute eher aus der Popkultur kennt.

Scott Hendricks ist der am Ende bejubelte Falstaff. Er ist alles andere als ein altgewordener Ritter, der im modernen Zeitalter keinen mehr Platz findet. Falstaff ist bei Kosky ein Genussmensch, der zu Beginn mit Schürze und nacktem Po köstliche Speisen zubereitet. Er hat die besten Jahre hinter sich, ist ein Saufkumpan und irgendwie auch ein Lebenskünstler, der beiläufig an eine Mischung aus Andreas Gabalier und Thomas Gottschalk erinnert. Scott Hendricks kann mit seinem wandelbaren Charakterbariton dem Außenseiter unter den Neureichen Statur verleihen. Falstaff kann melancholisch, aufdringlich fröhlich oder sehnsüchtig klingen. Man muss die Titelfigur nicht mögen, aber man kann es.

Der Regisseur setzt auf Komik und Dauerbeschleunigung

Kosky setzt auf Situationskomik und Dauerbeschleunigung. Der Regisseur kann mit Ruzan Mantashyan als anmutige Alice Ford, Alma Sadé als quirlige Nannetta oder Agnes Zwierko als vollmundige Mrs. Quickly auf eine überzeugende Sängerschar zurückgreifen. Dazu gehört auch der Chor des Hauses. Verdis Parlando, der schnelle Sprechgesang, macht es im Stück niemandem leicht. Am Pult hat der scheidende Generalmusikdirektor Ainars Rubikis einige Mühe, Verdis musikalisch ausgefeilte Opernkomödie zwischen Pointierung und Eleganz auszubalancieren. Das Ganze wird sich wohl noch einspielen.