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„A Midsummer Night’s Dream“ von Benjamin Britten mit der Oper Frankfurt: Wenig Lärm um alles

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Kateryna Kasper als Tytania. Foto: Monika Rittershaus
Kateryna Kasper als Tytania. © MONIKA RITTERSHAUS

Die Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot bietet lupenreines Glück mit Benjamin Brittens „A Midsummer Night’s Dream“.

Der Zauber von Drama und Komödie kann sich wie der Zauber eines Zaubertricks nur entfalten, wenn jemand zugeschaut und zugehört hat. Es vielleicht (hoffentlich) nicht durchschaut hat, aber staunt, lacht, weint. Ein Allgemeinplatz im Theater, aber nicht mehr unbedingt in einer Welt mit verringerter Aufmerksamkeitsspanne und erhöhtem Eigenredebedarf.

Shakespeares „Sommernachtstraum“ als eines der fundamentalen Werke der darstellenden Kunst stößt uns zudem andauernd darauf: Zwischen den diversen Sphären, in denen die dollsten Dinge geschehen, kann es keine direkte Verbindung geben. Wohl treffen oben und unten schließlich aufeinander – Handwerker, Patriziersprösslinge, das Herrscherpaar –, und dies in einiger Ambivalenz. Aber vom Feenreich bekommen die Menschen bis zum Schluss nicht mehr als einen Hauch mit. Gleichwohl ist der „Sommernachtstraum“ eine Komödie des Sich-gegenseitig-Beobachtens. Mindestens so wichtig wie das, was geschieht, ist die Reaktion des jeweiligen Publikums.

Am offensichtlichsten in der Theater-auf-dem-Theater-Szene am Ende: Lachen Athens obere zehntausend mit den Handwerkern und ihren Missgeschicken auf der Laienbühne oder über sie? Oder lachen sie gar nicht, sondern ärgern sich? Oder weint vielleicht doch einer – oder eine – über das traurige Schicksal von Pyramos und Thisbe?

Eine gute „Sommernachtstraum“-Aufführung bewahrt sich in jeder Minute die Aufmerksamkeit für die, die gerade zuschauen (nie ist hier einer wirklich alleine, mancher aber einsam). Eine sehr gute „Sommernachtstraum“-Aufführung achtet zum Beispiel auch darauf, was der hyperaktive Puck treibt, wenn er nicht herumzischt. Im Bockenheimer Depot imitiert er die großen Gesten seines Chefs Oberon und auch die der Menschen, die sich hierher verirrt haben. Puck probiert Gefühle an wie Jacken. Keiner kümmert sich um ihn, nur die kleineren Elfen kann er scheuchen, sonst muss er sich selbst ducken oder treibt seinen nicht immer freundlichen Schabernack ungesehen. Indem also nur wir hier draußen ihm zusehen – und jedes Theaterpublikum liebt Puck, und Frank Albrecht ist einer der lebendigsten, die Sie jemals gesehen haben werden, und Puck ist der einzige, der seinerseits uns auf der anderen Seite bemerkt –, wird die vierte Wand durchstochen, zwanglos, beiläufig. Die ganze Welt ist ein Theater.

Nicht dass es im Bockenheimer Depot eine vierte Wand gäbe. Zu sehen ist auch nicht das Shakespeare-Original, sondern die Oper Frankfurt mit Benjamin Brittens „Midsummer Night’s Dream“ auf den komprimierten Text von ihm und Peter Pears. Fabelhaft, wie man Ballast abwerfen kann (die mühselige Entwicklung am Anfang zum Beispiel), ohne Substanz zu verlieren. Die Musik erzählt den Rest, der kein Schweigen ist, sondern Sehnsucht und Geheimnis, angefangen von den gar nicht besonders süßen, sondern durchaus bedrohlichen, sanft alptraumhaften Glissandi für die Elfenwelt. Das topfitte kleine Orchester unter der Leitung des Briten Geoffrey Paterson, rechts von der Bühne platziert, sorgt dafür, dass man das spürt, dieses Herbeitippeln der Elfen schon zur Ouvertüre. Das Tippeln ist außerdem echt zu hören, mausehaft, und wenn das nur ein durch die Schlappen verursachter Zufall ist, ist es ein genialer Zufall.

Während die Musik flirrt, ahnt man im Dämmer zuerst auch nur die weiß-schwarz-roten (rot wie Blut) Kostüme von Anna-Sophie Lienbacher, die die Elfen in eine andere Spezies transformieren: die Trikots spinnenwebhaft bemalt, auf den Köpfen Hörnchen, Beulchen und Dekoration nach außerirdischer Mode, die Gesichter zu lustigen, aber nicht nur lustigen Masken übermalt. Der Chor (gut präpariert von Álvaro Corral Matute), ein besonders wichtiges Publikum, bleibt in Bewegung. Und auch Elfen sind am Ende Menschen, zart und fein singende Menschen mit unterschätzten Gefühlen. Die besonders kleinen konkurrieren mit dem gestohlenen indischen Kind um Tytanias Liebe. Chancenlos.

Puck ist einer von ihnen, eine diabolische Alien-Hörnchenreihe auf dem Scheitel. Bei Tytania und Oberon geht es durch opulente Frisuren ins Barocke. Christoph Fischer hat die Welt dazu gebaut, weiße Elemente auf Rollen, auf denen eine abwegige Vegetation in Schwarz, Rot, Rosa befestigt ist. Auch wenn die Elemente bei Bewegungen mehr knirschen, als es der Illusion bekommt (was seinen Reiz und seine Bodenständigkeit hat), ist das eine überzeugende Fantasterei. Ferne Welten, kein europäischer Märchenwald.

Die Menschen hingegen stehen auf dem finsteren Boden der Tatsachen und des spannend ausgeleuchteten (Jan Hartmann), aber nackten Depots: Junge Leute halt, aber das ist auch nicht wenig. Denn unter der Regie von Brigitte Fassbaender bleibt es nicht beim neckischen Ausstattungstheater, das ist lediglich die Grundlage für das pulsierende zwischenmenschliche Miteinander, das Einander-Umkreisen, das Neugierig-Sein und, ja, auch die Angst voreinander. Puck, der Frechdachs, hat in Frankfurt fast immer Angst.

Die Feenwelt ist durch die äußere Transformation zugleich aller herkömmlicher menschlicher Regulierungen enthoben, während die Menschen sich selbst zu spielen scheinen, so natürlich (jedenfalls: vertraut) wirken sie. Jede Sphäre bleibt für sich: Monika Buczkowska und Danylo Matviienko, Tamara Gura und Michael Porter sind Helena und Demetrius, Hermia und Lysander, die sich alle im Wald verlieren und wiederfinden oder überhaupt finden müssen. Der (irrtümliche) Spaß der Elfen ist bloß ein Katalysator wie der Zaubertrank im „Tristan“, und Britten, das ist enorm, hebt die Herumirrenden im Wald musikalisch bisweilen auf ein Wagner-Emotionsniveau. Gura, wenn sie alleine erwacht und ihren Lysander sucht, ist eine Sieglinde, deren Siegmund verschwunden ist, und so singt sie auch. Es könnte gewaltig tragisch enden, und die vier haben die Stimmen, um das zu beglaubigen.

Keine Knallchargen, sondern Menschen bei Fassbaender auch die Handwerker. Menschen, die etwas können, aber schauspielern können sie nicht. Mit mächtigem Bass führt Barnaby Rea sie als „Lasst mich den Löwen auch noch spielen“-Zettel an. Ihm wird diesmal besonders derb mitgespielt, indem die Inszenierung die Doppelbedeutung des englischen Wortes „Ass“ ausnutzt. Seine Kumpane, Magnús Baldvinsson und Brian Michael Moore, Gabriel Rollinson, Theo Lebow und Jonathan Macker, sind ihrerseits auf Draht. Wie in der insgesamt erstklassigen Besetzung nichts vergeudet wird, keiner beiseite bleibt (in einem Stück, in dem andauernd jemand beiseite bleibt). Ein Kabinettstück für sich: Die Elfen probieren eines der Klappstühlchen aus, die die Handwerker mitgebracht haben. Ein Stuhl, menschliches Wunderding.

Der geschmeidige Countertenor Cameron Shahbazi und die Sopranistin Kateryna Kasper stellen das pompöse Elfenkönigspaar dar, Thomas Faulkner und Zanda Svede sind nachher das hier friedfertige weltliche Paar Theseus und Hyppolita. Kurz währen die Irritationen – fängt Theseus doch noch an, sich über die Handwerker zu ärgern? können Demetrius und Lysander den Clinch wegstecken wie Hermia und Helena? –, lange währt das Happyend.

Fassbaender klärt sogar auf, was aus dem indischen Knaben wird. Das hat einen immer ein wenig belastet, das Kind, das in der Gemengelage überflüssig wird. Einmal aber muss alles gut werden. Diesmal ist es so weit. Das Glück, sieh an, ist nicht banal, es ist zum Weinen schön.

Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot: 13., 15. (15.30 Uhr), 16., 18., 20., 23., 25. Mai. www.oper-frankfurt.de

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