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„Madama Butterfly“ an der Oper Frankfurt: Alle sehen es, nur er sieht es nicht

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Frauen, die den Dingen ins Auge sehen: links Kelsey Lauritano als Suzuki, rechts Heather Engebretson als Cio-Cio-San. Foto: Barbara Aumüller
Frauen, die den Dingen ins Auge sehen: links Kelsey Lauritano als Suzuki, rechts Heather Engebretson als Cio-Cio-San. Foto: Barbara Aumüller © Barbara Aumüller

Eine bezaubernd todernste und in jeder Hinsicht schlanke „Madama Butterfly“ in Frankfurt.

Noch nie so scharf gesehen, dass diese Geschichte nicht in erster Linie eine Liebesgeschichte ist. Das ist sie auch, die Liebe ist wichtig, aber Cio-Cio-San, genannt Butterfly, wirft sich deshalb in sie hinein, weil sie ihrem Leben eine Wendung geben muss. Es hat sich nach dem Ruin der Familie und dem erzwungenen Suizid des Vaters katastrophal entwickelt. Sie ist noch ein Kind – als sie ihr Alter nennt, 15, sind die beiden Amerikaner auf der Bühne bewegt – das ist sehr jung, wow –, aber sie hat als Geisha gelernt, mit Männern umzugehen. Jetzt soll es anders sein, überhaupt soll es anders sein, nicht derb, sondern würdevoll, trotz der äußeren Umstände, bei denen es sich letztlich um einen Frauenkauf handelt, garniert durch eine Eheschließung. Allein Cio-Cio-San glaubt an diese Eheschließung, aber sie glaubt so sehr daran, dass es unmöglich ist, ihr zu widersprechen.

Unfassbar die Intensität, mit der Heather Engebretson das spielt und verkörpert, eine Teenagerin, die die etwas zerfahrene Situation der Hochzeit (der „Hochzeit“) in den Griff bekommen will und die jeden mitreißt, der ein Herz hat. Und ihr frisch angetrauter Ehemann Pinkerton, auch er noch jung, hat ein Herz, so dass diese Szene in großer Zärtlichkeit endet. Wie Butterfly es will. Als sie sich mit dem Tross der gleichfalls völlig ungläubigen, übrigens auch peinlichen, in Frankfurt sogar sehr peinlichen Verwandtschaft nähert, hat der Tenor Vincenzo Costanzo, eben noch den Blick in die Zukunft mit einer Amerikanerin gerichtet, an der Wand auf ihre Stimme gelauscht. Er ist betört, er ist viel verliebter, als er glaubt. Er hat ein Herz, er wird nicht darauf hören. Was für ein Fehler!

Vielleicht braucht diese Musik, vielleicht braucht dieses Musikdrama im Hintergrund zwei Debütanten wie jetzt an der Oper Frankfurt, damit noch die Letzten endlich loskommen von der immer schon falschen, ewig weiter ventilierten und dadurch nicht richtiger gewordenen Annahme, Giacomo Puccinis Oper habe irgendetwas mit Sentimentalität oder Kitsch zu tun, mit Unehrlichkeit. Das Gegenteil ist der Fall, und „Madama Butterfly“ liefert selbst den Beweis, wenn Pinkertons späte Reue in eine kleine, wehleidig verheulte Arie („Addio, fiorito asil“) mündet.

Eine wohlklingende Arie, aber die Verlogenheit trieft aus jeder Zeile. Oder wie es der Regisseur R. B. Schlather im Programmheft formuliert: „In diesem Augenblick möchte das Publikum ihn sowieso am liebsten umbringen; die gefühlvolle Arie macht ihn nur noch unsympathischer.“

Schlather, Jahrgang 1986, hat, wie man liest, noch nie zuvor eine Puccini-Oper inszeniert. Der 52-jährige Antonello Manacorda, das ist überraschender, hat noch nie zuvor eine Puccini-Oper dirigiert. Jetzt lassen Schlathers Personenführung und Manacordas grandios schlankes, straffes Dirigat keinen Moment Zweifel an der Tiefe des Dramas und der Macht des musikalischen und dramaturgischen Subtextes: der Subtext, mit dem Puccini Pinkertons späte Weinerlichkeit desavouiert (nicht ohne Mitleid, ohne Selbstmitleid, kannte er sich doch selbst als treuelos); der Subtext, mit dem aber umgekehrt Cio-Cio-San sich verrät, wenn sie in der großen Arie „Un bel di vedremo“ so optimistisch ist und im (an sich bloß scherzhaft angebrachten) Wort „sterben“ doch schon die ganze Wucht des tragischen Endes liegt.

Sie weiß es schon, sie muss sich selbst vom guten Ausgang überzeugen, was soll sie machen. Die Ruhe und Süße, Manacorda lässt es hören, sind immer erzwungen, darunter flattert es nervös und ist es dunkel wie der Tod, den Cio-Cio-San schon kennengelernt hat. Der Dirigent lässt das ausgezeichnet konzentriert mitgehende Orchester voranstreben, modelliert den großen Bogen des Dramas, übergeht glücklicherweise die meisten Zwischenapplausgelegenheiten. Als die Leute endlich dazwischenkommen, in jenem Moment des Atemholens nach „Un bel di vedremo“, nutzen sie ihre Chance. Ärgerlich, aber für Engebretson, die sich die Seele aus dem Leib gesungen hat, sicher auch toll und gut.

Auch der Konsul und Suzuki werden von Schlather in das Wissen um den Ernst der Lage von vornherein einbezogen. Es ist der Tenor, der wieder keine Ahnung hat. Es gibt Konstellationen, in denen man Pinkertons berühmte „Butterfly“-Rufe als Heuchelei empfindet. Hier sind sie von abgrundtiefer Ehrlichkeit.

Weder er noch Butterfly sind in diesem Moment allerdings zu sehen, der Suizid findet beiseite statt, der kleine (trotzdem natürlich etwas zu große) Sohn sitzt einsam da. Sieht er die Mutter?

Der schwarze Stuhl, auf den sie ihn gesetzt hat, ist das einzige Möbelstück des Abends. Der Amerikaner Schlather, der sich dem Frankfurter (und dem europäischen) Opernpublikum 2019 im Bockenheimer Depot mit Händels „Tamerlano“ vorgestellt hat, arbeitet mit so wenig Dekor wie möglich, sucht sich immer neue White-Cube-Situationen. Diesmal reichen ihm zwei japanisch leichte Wände, die ihm Johannes Leiacker entworfen hat, hinten eine weiße, vorne eine dunkle, die sich still nach links und rechts bewegen lassen. Beide haben quadratische Fenster für Aus- und Durchblicke. Vieles – alles japanisch Dekorative und Religiöse – muss man sich immer dahinter vorstellen, es gibt sonst lediglich ein paar Trinkbecher und Dinge wie DEN BRIEF, den Pinkerton dem Konsul schreibt und in dem steht, dass er nicht zu Butterfly zurückkehren wird. DAS MESSER, mit dem sich Butterfly umbringen wird. Oder auch eine Steppdecke, mit der Cio-Cio-San wirklich zum Schmetterling wird, zum geknickten. Die Kostüme von Doey Lüthi orientieren sich am Schwarz-Weiß, sind für den von Àlvaro Corral Matute vorbereiteten Chor etwas rätselhaft (japanische Alltagskleidung, denn die Familie feiert nicht mit?) und haben nur für Pinkerton und seine amerikanische Frau (Karolina Makula) einige Buntstiftfarben. Cio-Cio-San wird noch schöner, als sie schon ist. Blutrot ihr nicht kimono-, sondern ganz abendkleidhaftes Hochzeitskleid. Für die Nacht und den Rest ihres Lebens trägt sie einen Traum in Weiß und Paillettensilber.

Die Amerikanerin Engebretson, die in Frankfurt ihr Rollendebüt gibt, kennt man vielleicht schon aus dem Staatstheater Wiesbaden, wo sie unter anderem als Mimi in Puccinis „La Bohème“ hinreißend und doch stimmlich etwas silbrig-leicht war. Das ist aber einige Jahre her, und schon damals galt und gilt auch jetzt, dass sie der Rolle zugleich doch gewachsen ist, nicht so groß und dramatisch, aber fit. Die Töne sitzen, und der Schwung, den sie dafür nehmen muss, hat etwas Bezauberndes.

Fabelhaft an ihrer Seite nun die japanisch-amerikanische Mezzosopranistin Kelsey Lauritano als todernste, ungemein präsente Suzuki. Sie trägt Kammerzofenmontur, denn alles Japanische ist abgedrängt, die Fremdheit der Kulturen, die gerade in Suzukis ersten Auftritten mit Pinkerton glasklar sich spiegelt, entwickelt sich von selbst, nicht durch exotisierende Accessoires. Das ist mutig, und es funktioniert weitgehend.

Konsul Sharpless ist der andere kluge, mitleidige Beobachter (natürlich viel mächtiger als Suzuki, aber als amerikanischer Mann dann doch auf der Seite des amerikanischen Mannes), mit milder Noblesse gesungen und gespielt von Domen Križaj. Als Ersatz für Evan Leroy Johnson als Pinkerton sprang der Italiener Vincenzo Costanzo kurzfristig in die Produktion ein, macht das gut, wirkt stimmlich zunächst leicht gebremst, bietet aber starke, reine Höhen und ist auch für die nächsten zwei Vorstellungen eingeplant. Schlathers Sympathien, um das noch einmal zu sagen, gehen nicht mit diesem Landsmann, beide übrigens in kurzen Hosen, Pinkerton bei seiner Hochzeit, Schlather beim Premierenbeifall.

Jenseits des zentralen Quartetts zahlreiche teils feine, teils flüchtigere Vignetten, Hans-Jürgen Lazar wird in Erinnerung bleiben als markanter, ungemütlicher Goro, weit entfernt von der possierlichen Karikatur, als die der Heiratsvermittler sonst oft auftritt. Mit Kihwan Sim als wutschnaubendem Onkel Bonze nimmt der kulturelle Clash einmal wirklich Fahrt auf.

Schlathers Reduktion wirkt als subtile Intensivierung, wie Manacordas schlacken- und schlagerfreies Dirigat die Musik in ihrer Größe und Bedeutung zeigt. Man wird perfekte Besetzungen brauchen, dann könnte das ein Repertoire-Dauerhit werden. Engebretson am Ende in Tränen (oder?), der Applaus für die musikalische Seite riesig, für die Regie etwas schmaler als verdient.

Oper Frankfurt: 26. Mai, 4., 6., 10., 16., 30. Juni, 3., 9., 16. Juli. www.oper-frankfurt.de

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